Share this...
Facebook
Twitter

Die Bewohner des Dorfes Schabo nennen ihn Monsieur. Ein energischer 64-jähriger Franzose Christophe Lacarin de Fabiani arbeitet und lebt mit seiner Familie seit 16 Jahren in der Ukraine und feiert jeden Tag seines Lebens. Als Unternehmer, Parfümeur und Weinbauer hat er im bekannten bessarabischen Dorf eine Ecke aristokratischer Gastfreundschaft und der besonderen, handgemachten Weine geschaffen.

Obwohl Weintrauben auf fast allen Kontinenten angebaut werden, haben manche Regionen ein besonderes Potenzial für die Herstellung von wirklich ausgezeichneten Weinen.

Die Gebiete, die sich auf den Parallelen zwischen 30° und 50° Nord- und Südbreite befinden, gelten als besonders für den Weinanbau geeignet. Im kalten Klima werden die Trauben nicht reif und bei zu warmen Temperaturen reifen sie dagegen zu schnell und haben einen spezifischen Geschmack.

Man glaubt, dass die besten Weine auf der 45-er Parallele hergestellt werden können. Deshalb nennt man sie „Weinparallele“. Auf dieser Breite befinden sich die bekannten Weingebiete Burgund und Bordeaux, sowie das italienische Piemont.

Aber das Klima ist nur einer der wichtigen Faktoren, die für den Anbau hochqualitativer Weintrauben eine Rolle spielen. Der Wein ist immer das Produkt der jeweiligen Landschaft. In der Landwirtschaft gibt es dafür einen Begriff — „Terroir“. Das bedeutet eine Kombination der geographischen und biologischen Faktoren wie Klima, Bodentyp, Geländeform, andere Pflanzen, die auf dem Gebiet wachsen. Alle Faktoren haben einen Einfluss auf den Geschmack der Weintrauben und des Weines. Die Weinbauer suchen seit Jahrhunderten nach Gebieten mit der einzigartigen Kombination von allen natürlichen Faktoren.

Schabo

Bessarabien ist eine der Weinregionen der Ukraine, zusammen mit Nieder-Podniprowja, Transkarpatien und der Krym. Ein wichtiges Zentrum des Weinbaus ist das Dorf Schabo. Es befindet sich am Ufer des Dnister Limans, nicht weit von der Stelle, wo der Fluss in das Schwarze Meer mündet; 8 km von Bilhorod-Dnistrowskyj und 70 km von Odessa entfernt.

Schabo gilt seit langem als Weingebiet, weil das Dorf sich zwischen „Winzer-Parallelen“ 46 und 47 befindet. Außerdem hat Schabo weiches Klima, warme Steppen-Luft und sandigen Boden – das sind ideale Bedingungen für den Weinanbau und die Reifung der Trauben.

Die Geschichte von Schabo begann vor 500 Jahren, als die türkisch-tatarischen Nomaden hier ein Dorf gegründet und es Ascha-Abag genannt haben, was „die unteren Gärten“ bedeutet. Im 19. Jahrhundert sind die Einwanderer aus dem Schweizer Kanton Vaud auf der Suche nach dem perfekten Ort für den Weinbau hierher gekommen. Wegen der Besonderheiten der Aussprache haben die Schweizer die Siedlung zuerst Schaba genannt, danach auf eine französische Art — „Schabo“.

Der erste Einwanderer und Gründer der Kolonie war der Schweizer Botaniker und Winzer Louis Tardent, der 1822 nach Schabo gezogen ist. Dieses Datum gilt auch als erstes Gründungsjahr der Siedlung Schabo.

Allmählich wurde das ganze Ufer des Dnister Limans zu einem einzigen Weinbaugebiet ausgebaut.

Christophe

Die Familie von Christophe Lacarin hat seit mehreren Generationen einen Adelstitel. Von der mütterlichen Seite trägt er den Titel Marquis de Fabiani. Die Familie hatte ein Unternehmen für die Produktion der Waren für Foto- und Kinoindustrie. Außerdem hat Christophe seit seiner Kindheit auf dem Familienbauernhof gearbeitet, wo er gelernt hat, Vieh zu versorgen, Traktor zu fahren, Tabak anzubauen und, was für seine Heimatregion Bordeaux selbstverständlich ist, Wein zu produzieren. Lacarin hat Wirtschaft studiert. Danach hat er eine bankrotte Fotogeräte-Fabrik gekauft und nach 7 Jahren als erfolgreiches gewinnbringendes Unternehmen wieder verkauft. Damit hat der Marquis sein Startkapital verdient.

Christophe hat sein erstes Aroma mit 10 Jahren erfunden, indem er zwei Parfüms seiner Mutter gemischt hatte. Die Mutter hat sich damals sehr aufgeregt, wie er sich erinnert. Aber er hat seine Leidenschaft nicht aufgegeben. Drei Jahre lang hat er bei einem Parfümerie-Unternehmen in Paris gearbeitet, wo er neue Aromas kreierte. Lacarin hat als Partner mit den Experten aus der Lwiwer Kosmetikfabrik zusammengearbeitet. Dort hat er innerhalb von anderthalb Jahren 21 Aromas erfunden. Jedes Aroma hat er mit den Namen aus der „Liebesliste“ von Puschkin genannt: Anna, Maria, Jelisaweta, Natalija… Die Idee dieser Kollektion hatte der Franzose nach dem Besuch des Museums von Puschkin in Odessa.

Share this...
Facebook
Twitter
Share this...
Facebook
Twitter
Share this...
Facebook
Twitter

Zum ersten Mal kam Christophe in die Ukraine in 2001 nach der Einladung seines Freundes — eines französischen Mäzens, der einen Wettbewerb der Trompeter in Ternopil organisiert hatte. Dort hat der Marquis seine zukünftige Frau — die Konzertmeisterin des Konservatoriums in Odessa, Pianistin Marianna kennen gelernt.

Ein Jahr lang hat Christophe zwischen Lwiw und Odessa gelebt. An seinen ersten Besuch in Odessa erinnert er sich, als ob es gestern gewesen wäre:

„Ich erinnere mich an Odessa in 2002. Das Taxi kam und es war ein altes Auto „Pobeda“. Ich frage den Fahrer: ‚Wie alt ist Ihr Auto?‘. Er sagt: ‚Ich habe nicht gerechnet, aber ich weiss, dass es 1953 hergestellt wurde‘. Ich dachte damals, dass es ein sehr gutes Zeichen ist!.“

Später zieht Christophe nach Odessa, heiratet Marianna und sie gründen eine Familie. Jetzt hat das Ehepaar zwei Töchter: die ältere Sofia und die jüngere Maria. Christophe hat insgesamt 7 Kinder aus verschiedenen Ehen.

Christophe Lacarin
Wurde 1953 geboren

Fontäne mit Parfüms

In 2004 wurde im Stadtgarten von Odessa eine Fontäne installiert, die im Sommer nicht nur Wasser, sondern auch Parfüms versprüht. Christophe hat diese Fontäne als Geschenk zum 210-jährigen Jubiläum von Odessa und als Ehrung seiner geliebten Marianna gespendet. Der Autor der Skulptur „Die Fontäne der Liebe – die lebendige Fontäne“ war der Maler Olexander Tokarew. Die Skulptur bildet einen Mann und eine Frau ab und darunter ein Gefäß mit Wasser, wohin man täglich 250 ml Parfüm hinzugefügt hat.

Das Aroma für die Fontäne wurde durch eine Abstimmung der Bewohner von Odessa gewählt. Das „Testen“ der vom Parfümeur vorgeschlagenen Aromen hat das Puschkin-Museum organisiert. Die Frau von Christophe, Marianne, hat die Vorführung musikalisch begleitet. Am Ende haben die Teilnehmer eine Variante mit dem Hauch des Meeres und der Akazie ausgewählt.

Share this...
Facebook
Twitter
Share this...
Facebook
Twitter
Share this...
Facebook
Twitter
Share this...
Facebook
Twitter

Man sagt, dass Christophe durch das Poem von Puschkin „Die Fontäne von Bachtschisaraj“ inspiriert wurde. Das mag stimmen, da Lacarin die nächsten zwei Fontänen – „Die Fontäne der Liebe“ und „Die Hoffnung von der Krym“ in Bachtschisaraj kreiert hat. Die Grundlage für den ersten Springbrunnen war ein würziges Aroma, für den zweiten wurde das Aroma der Krym-Lavendel ausgewählt.

Im Frühling 2008 hat Christophe eine weitere Fontäne im Strandpark von Aluschta geschaffen. Die Skulptur zeigte eine Meerjungfrau neben drei großen Muscheln. Für diese Fontäne wurden die Parfüms mit einem süßlichen Aroma erfunden.

Heute funktioniert keine der drei Fontänen mehr.

Сhateau

Christophe Lacarin ist oft mit seinem Auto rund um Odessa gefahren, um die Sehenswürdigkeiten anzusehen. Nach dem Lesen des Poems von Puschkin „Die Weintrauben“ hat er sich entschieden, nach Schabo zu fahren:

„Ich habe solch eine wundervolle Erde gesehen. Hier gibt es wunderbares Klima und solche frische Luft! In weniger als einer Woche habe ich mich entschieden, etwas hier zu unternehmen.“

Lacarin hat erfahren, dass man einen Teil der Weinanbauflächen, welche vorher der Lenin-Kolchose gehört hat, vernichten will. Als er gehört hat, dass es dort die Rebe der seltenen Sorten erhalten geblieben ist, war er schockiert und hat sich entschieden, das Land zu pachten. Die Landeigentümer haben ihm 150 Hektar verpachtet und er hat angefangen, die Weinberge zu verarbeiten.

Auf dem Territorium des Weinbergs gibt es einen Weinkeller, eine Kantine, einen Stall und eine Scheune, wo früher die Traktoren standen. Christophe war von der Tatsache fasziniert, dass die Scheune von den Schweizer Kolonisten in 1822 erbaut wurde. Faktisch ist es eines der ersten Gebäude im Dorf, welches auf dem historischen Land steht. In seinem Bauernhof hat Marquis Lacarin selber die Wasserleitung und die Kanalisation eingerichtet.

Share this...
Facebook
Twitter
Share this...
Facebook
Twitter
Share this...
Facebook
Twitter

Christophe zeigt das Weinhaus — das Gebäude, in dem Wein hergestellt und gelagert wird. Hier wird der Wein nach alten französischen Rezepten gemacht. Außerdem stellt Lacarin den Wein auf eine ökologisch verträgliche Art her. Er fügt prinzipiell keine chemischen Zutaten hinzu.

Im Weingut Schabo findet der ganze Zyklus der Weinherstellung statt: die Ernte der Weintrauben, die Herstellung des Getränkes, die Abfüllung, die Reifung, die Verpackung und die Lieferung fast in die ganze Ukraine. Solche Weine nennt man „Schlossweine“. Das bedeutet, dass das Produkt vom Anfang bis zum Ende in einem Weingut hergestellt wird – dem sog. Chateau.(Fr. сhâteau).

In Schabo beträgt die minimale Reifezeit der Weine 9 Monate. Der Marquise zeigt den Keller mit den Flaschen aus den Jahren 2013-2015. Je nach Sorte und Zusammensetzung der Weintrauben wird der Wein auf verschiedenen Stadien der Herstellung in verschiedenen Positionen und verschiedenen Winkeln aufbewahrt. Manche Flaschen muss man mehrmals am Tag wenden.

Das Weingut hat Christophe Lacarin eher als ein Hobby, als ein Geschäft gegründet. Für ihn ist das ein großes kreatives Experiment.

„Jedes Mal muss man überlegen, was man besser machen kann.“

Lacarin baut 14 Sorten der Weintrauben an, von welchen 7 bis 8 die wichtigste Rolle spielen: Cabernet, Sauvignon, Rkaziteli, Chardonnay, Odessa Black…. An seinem Bauernhof hat er Hunde, Katzen, Hühner, Ziegen, Schafe etc…

Geschäftsfallen

Innerhalb der letzten Jahren hat Lacarin Dokumente und Weinproben eingereicht, um eine Lizenz für den Weinverkauf zu bekommen und die Produktion zu legalisieren. Anfang 2016 hat die Steuerbehörde gegen Lacarin im Fall des illegalen Alkoholhandels ermittelt. Seine technische Einrichtung wurde konfisziert und das Lager mit den Fertigerzeugnissen wurde verschlossen. Als er anfing, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, erfuhr er, dass man für die legale Weinherstellung und den Verkauf mindestens 14 Genehmigungen benötigt.

Im Frühling 2016 hat Christophe Lacarin eine Lizenz und Banderole für die manuelle Weinherstellung und kurz danach eine Exportlizenz bekommen. Außerdem hat das Parlament 2016 die Gebühr in Höhe von einer halben Million Hrywnja für den Weingroßhandel aus dem Rohstoff eigener Herstellung abgeschafft.

Damit waren die Probleme von Marquis aber nicht beendet. Seine Beziehung zu den Verpächtern, mit denen die Pachtverträge abgeschlossen wurden, haben sich verschlechtert. Ende 2016 haben Unbekannte auf Planierraupen versucht, das Weingut von Christophe Lacarin zu zerstören. Die Kriminellen haben versucht, Betonsäulen aus seinem Weinberg zu stehlen. Lacarin hat die Polizei benachrichtigt, aber weder Diebe noch die Plünderer der Weinberge wurden bestraft:

„In der Ukraine mag man keine Konkurrenz. Das ist ein Monopolsystem. Außerdem die Korruption… Leider muss ich sagen, dass die Korruption ein genetischer Bestandteil nicht nur der Ukraine, sondern der ganzen Region ist. Das hat einen historischen Hintergrund, als in den 30er Jahren Roskurkulennja (Dekulakisierung — eine politische Repressionskampagne in der Sowjetunion, insbesondere gegen wohlhabende und Mittelbauern in der Ukraine. Folgen: rund 30 000 erschossen, 2,1 Mio. deportiert, 2,5 Mio. zwangsumgesiedelt, insgesamt mehr als 600 000 Menschen ums Leben gekommen) und Kollektivierung (Zwangsüberführung der Bauer in Kolchosen mit der Anwendung der ökonomischen, physischen und psychischen Gewalt) stattgefunden haben. Die Leute hatten keine Mittel, um zu leben und sich zu ernähren. Um zu überleben mussten sie klauen.“

Christophe Lacarin meint, dass für die Lösung des Problems die Löhne erhöht werden müssen, so dass sie zum Leben ausreichen und es keinen Anreiz für Diebstahl gibt:

„Ich erinnere mich an die Mai-Unruhen 1968 (Studentendemonstrationen in Frankreich und der Streik, an dem fast 10 Millionen Menschen teilgenommen haben, welcher zum Regierungswechsel und Veränderungen in der französischen Gesellschaft geführt ha). Das war ein kolossales Chaos. Was macht der Staat? Der Mindestlohn wächst um 60%. Es gab auch eine Inflation, aber generell war es der optimale Weg, die Krise zu überleben. Man kann nicht behaupten, dass bei einer derartigen Lohnerhöhung alle Unternehmen Pleite gehen würden. Die Unternehmen müssen lernen, produktiver und qualitativer zu arbeiten. So können sie teurer verkaufen und exportieren.“

Ich sage ehrlich, ich habe darüber nachgedacht, im Dezember 2013 die Ukraine zu verlassen, als die Unruhen anfingen. Ich habe gefühlt, dass etwas Ungutes für das Land stattfindet. Ich habe nach einem Rat gefragt – meine Freunde sagten, dass alles gut wird. Wir hoffen, dass vielleicht nicht morgen, aber in einigen Jahren die Ukraine besser werden kann. Ich finde, es gibt bestimmte Reformen, ich sehe den Wunsch das Land strukturell zu verändern. Nicht so wie Europa oder USA zu sein, sondern die echte Ukraine zu bleiben, mit weniger Korruption.

Die Geschichte von Christophe Lacarin de Fabiani setzt sich dank seinem stürmischen und romantischen Charakter, dem Wunsch nach Experimenten und Entdeckungen fort. Und was man von dem adligen Franzosen, außer seinen zahlreichen Begabungen, lernen kann, ist seine Lebensfreude.

„Das Leben ist nicht nur Arbeit, verstehen Sie? Man darf nicht nur über das Geld nachdenken. Man muss glücklich sein. Ich genieße das Leben selbst wenn es Probleme mit den Behörden, den Verpächtern, dem Staat gibt. Und Probleme gibt es in jedem Land, sogar in einem sehr erfolgreichen.“

Wie wir gefilmt haben

Mehr über unseren Besuch in Odessa, den Weg zum Bauernhof von Lacarin in Schabo und Hände, die nach Krebsen riechen, erfahrt ihr in unserem Videoblog:

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Natalija Ponedilok

Redakteurin:

Jewhenija Saposchnykowa

Fotograf:

Serhij Korovajnyj

Kameramann:

Pawlo Paschko

Andrij Rohosin

360-Grad-Kameramann:

Serhij Korovajnyj

Julija Rublewska

Mykola Nossok

Regisseur:

Mykola Nossok

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

Übersetzerin:

Daryna Arjamnowa

Folge der Expedition