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Kann eine lokale Wirtschaft nach dem Prinzip 2+2=5 funktionieren? Utkonossiwka ist eines der Dörfer im Süden von Bessarabien, welches beweist, dass es möglich ist. Ein günstiges Klima, Nähe zum Süßwasser und der Zusammenhalt rund um eine gemeinsame Sache machen Utkonossiwka zu einem der am meisten exportierenden Dörfer in der Ukraine.

Ein Cluster: eine Gemeinschaft für die Entwicklung

Darüber, wie man eine stabile wirtschaftliche Entwicklung und eine hohe Wertschöpfung im Rahmen einer kleinen Ortschaft schafft, wird lange und an vielen Orten der Welt diskutiert. Eine der Lösungen ist ein sogenannter Cluster.

Der Begriff „Cluster“ wurde vom Wissenschaftler Michael E. Porter eingeführt. Ende des letzten Jahrhunderts hat er erforscht, wieso einige Regionen erfolgreicher als andere sind, und er hat gezeigt, dass Konkurrenzfähigkeit des Produzenten in vielerlei Hinsicht durch seine Umgebung bestimmt wird.

So ist, laut einer der Definitionen, das Cluster-Modell – das Zusammenschließen von Organisationen und Betrieben nach geografischen Prinzipien rund um ein gemeinsames Tätigkeitsfeld. Auf diese Weise konkurrieren und kooperieren sie gleichzeitig.

Zum Beispiel, gibt es im US-Bundesstaat Kalifornien ein Tal der Weinbauer – Napa Valley. Es ist eines von vielen amerikanischen Bergtälern. Dieser Cluster vereint 9 Kleinstädte mit etwa 125 Tausend Einwohnern und gehört zu den besten Weinbaugebieten der Welt. In den 1950-er Jahren haben sich die Besitzer von einigen Weingütern zusammengeschlossen und das Projekt des Winzer-Tales entwickelt. Von damals und bis heute gab es viele Entscheidungen, die zum Resultat beigetragen haben. Die Weinhauptstadt der USA vereint heute 400 Weingüter, 100 Hotels und Restaurants. 2014 haben über 3 Millionen Touristen diese Gegend besucht und 1,63 Mrd. dagelassen. Hiervon ausgeschlossen sind die 3 Mrd. US-Dollar, welche das Tal jährlich mit dem Weinexport verdient. Eine Flasche Wein kostet hier im Schnitt um 10 € mehr als ähnliche Weine aus den Nachbartälern. All das sind Effekte der Entwicklung nach dem Cluster-Prinzip, bei dem die Summe deutlich größer ist, als die einfache Addition der einzelnen Anteile.

Ein weiteres Beispiel ist die Food Valley in den Niederlanden. In der kleinen Provinz Gelderland rund um die Stadt Wageningen existiert ein eigenes „Tal“, in dem Vertreter der Landwirtschaft, der Bildungsbranche und Softwareentwickler zusammenarbeiten. Den Kern des Clusters bildet die Universität Wageningen, welche als die beste Agrarhochschule der Welt gilt. Rund um sie haben sich wissenschaftliche Labors, 60 Unternehmen, Produzenten von Agrartechnik, Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, Entwickler von Technologien für die Produktion, Abwasserreinigung, Biokraftstoffe, Energiespeicherung, für die IT- und Nanobranche zusammengeschlossen. Dank diesem Cluster hat ein Land, dessen Fläche 15 Mal kleiner ist, als die der Ukraine, den Status des „Gemüsegartens“ Europas und ist der weltweit zweitgrößte Exporteur von Agrarproduktion.

Was Osteuropa betrifft, so funktionieren in Polen lokale touristische Cluster, solche wie „Honey and Milk land“, welche sich auf Agrartourismus spezialisieren. In der Ukraine gibt es im 700-Mann-Ort Snitkiv, der in Podillja (Oblast Winnyzja) liegt, einen „Beeren-Cluster“.

„In Bessarabien stellt Utkonossiwka ein Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung des Cluster-Modells dar.“

Utkonossiwka

Der Ort Utkonossiwka liegt im Süden von Bessarabien am großen See Katlabuch. Diese Siedlung wurde von moldauischen Bauern im 18. Jahrhundert gegründet.

Bis 1947 hieß sie Ördek Burnu, was aus dem türkischen übersetzt „der Entenschnabel“ bedeutet. Als Resultat eines Übersetzungsspaßes entstand so der heutige Name des Ortes (Bem.: „Utkonossiwka“ bedeutet frei übersetzt „Das Entennasendorf“).

Bis zur Donau sind es 16 km von hier und zum Schwarzen Meer und dem Donau-Biosphärenreservat – 50 km. In Utkonossiwka leben ca. 4000 Menschen und die absolute Mehrheit von ihnen baut Gemüse an: überwiegend Tomaten, einige auch Weißkohl, Paprika und Gurken. Es ist schwierig, hier auch nur einen Hof ohne Gewächshaus zu finden, obwohl es nicht auf die Nachbarorte zutrifft. Der „Tomaten-Cluster“ ist hier einmalig.

Halyna

Die Einwohnerin von Utkonossiwka Halyna Mychajlowa zeigt ihr Gewächshaus, in dem ihre Familie eine Frühsorte Tomaten anbaut. Im Juni haben sie bereits über die Hälfte der Ernte gesammelt. Hier wachsen auch Weinbäume. Diese Kulturen beeinträchtigen einander nicht, denn während die Tomatenpflanzen bereits wachsen, keimen die Weinreben noch nicht mal auf.

Das Gewächshaus der Familie Mychajlow hat eine Heizung. Das hat es ihnen ermöglicht, bereits Ende Februar die ersten Tomaten zu pflanzen und schon Anfang Mai sie in Odessa zu verkaufen:

„Eine Tomate wog 350-400 Gramm, wenn nicht ganze 450 Gramm. So große Tomaten waren das! In Odessa wollten die Leute sie teilweise nicht haben, drei Tomaten seien doch schon ein Kilo, meinten sie.“

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Aber die Ernte ist von Mal zu Mal unterschiedlich. Dieses Jahr, erzählt Halyna, sei die Ernte gut, und im letzten sind viele große Tomaten verdorben. Jedenfalls habe sie nicht das Ziel genau zu überwachen wie viele Tonnen an Tomaten jährlich geerntet werden:

„Solange ich denken kann, und ich bin schon 55, schon seit meiner Kindheit, hatten wir Gewächshäuser. Zuerst, in den 60ern, fing man an ohne Gewächshäuser anzubauen. Und später, unter Ausnutzung der Tatsache, dass das Dorf Zugang zum guten Trinkwasser hat, fingen die Leute an Tomaten, Paprika und Auberginen zu pflanzen und sie einzudecken. Zunächst waren die Gewächshäuser aus Holz, später aus Metall. So ist es selbstverständlich viel besser, denn mehr Luft und Sonnenlicht ist das, was die Tomatenpflanze braucht.“

Halyna sagt, dass es in Utkonossiwka in beinahe jedem Haushalt ein Gewächshaus gibt. Die einen haben 5 Tausend Pflanzen, die anderen sogar 20 Tausend. Alle produzieren für den Weiterverkauf:

„Wir fahren überwiegend nach Odessa zum Verkaufen. Auf dem Priwos (Bem.: berühmter Markt in Odessa) kostet ein Verkaufsplatz 600-700 Hrywnja. Und das ist unabhängig von der Größe des Umsatzes, am nächsten Tag musst du wieder bezahlen. Ich weiß nicht warum es so ist. In anderen Städten darf man solange verkaufen bis die Ware weg ist.“

Die Tomaten transportiert jeder eigenständig, denn es müssen 20 bis 100 Kisten verkauft werden. Am meisten wird in Utkonossiwka die Sorte „Primadonna“ angebaut. Sie stammt aus Prydnistrowja:

„Diese Sorte zeichnet sich durch diese Buckel oder Nasen aus. Übrigens ist sie in der ganzen Ukraine und besonders in Odessa sehr gefragt. Auf dem Priwos schreiben schon alle ‚Utkonosiwka, Primadonna‘. Eine sehr leckere und süße Tomate.“

Die Saison in Utkonossiwka sieht so aus: zuerst kommen die frühen Weißkohlsorten, danach Tomaten und die späten Gurken. Es gibt einige Familien, welche nur Gurken anbauen. Denn sie gelten als weniger anspruchsvoll bezüglich der Wettereinflüsse, als Tomaten und ganz besonders der Kohl. Bei Temperaturen unter +14 Grad erleiden sie Schaden. Halyna sagt, dass sie nicht vorhabe ihre Spezialisierung zu ändern. Einige ihrer Mitbürger versuchten sich mit Erdbeeren oder Kartoffeln zu beschäftigen. Aber mit Tomaten kenne sie sich schon gut aus. Sie verlangen zugegebenermaßen Fleiß und Fürsorge, aber auch der Gewinn ist nicht schlecht.

In die Supermärkte gelangen die hiesigen Tomaten selten, denn sie werden Tonnenweise verkauft und die Läden brauchen meist bis etwa 100 Kilogramm. Öfter kommen private Händler mit Kleinbussen, kaufen die Tomaten und fahren dann weiter nach Winnytsja, Khmelnytskyj, Bila Tserkva etc.

Nach Moldau zu fahren ist unrentabel für die Produzenten. Es bedeutet Ausgaben für den Kraftstoff sowie das Passieren von zwei Grenzkontrollen – moldauische und die ukrainische. Eine Fahrt nach Odessa lohnt sich mehr:

„Früher in den 80ern sind wir nach Bendery, Tiraspol, Chişinău und Kagul gefahren. Wir hatten unsere kleinen Autos und haben die Tomaten in solche kleinen Kartons mit 12-13 Kilo verladen. Damals haben wir auch nicht so viel gesät wie heute.“

„Ich weiß noch wie meine Eltern mit Koffern die Ware transportiert haben. Haben die Tomaten einfach in die Koffer gepackt und sind losgefahren.“

Halyna erzählt, dass nur wenige Haushalte im Dorf in die Wärmedämmung investieren. An die 50, aber auch nicht mehr. Der Rest dämmt nicht, sondern betreibt einfach seine Gemüsegärten.

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Utkonossiwka bezeichnet sie als ein moldauisches Dorf. Hier sprechen die Leute auch meist Moldauisch und in der Schule wird auf Moldauisch unterrichtet, auch wenn es ukrainische Klassen gibt. Einige Monate nach unserem Gespräch, im September 2017, ist das neue ukrainische „Bildungsgesetz“ in Kraft getreten. Es definiert, dass die Sprache des Bildungsprozesses die offizielle Staatssprache ist, also Ukrainisch:

„Die Einwohner von Utkonossiwka sehen sich als Moldauer, die in der Ukraine leben. Die moldauische Sprache ist unsere Muttersprache, und die Ukraine – ist der Staat, das ist die Heimat.“

Oleksandr

Oleksandr Herhyschan führt das „Ukraїner“-Team zu seinem Wohnsitz, an dem ein Schild platziert ist „Vorbild-Haus“:

„Das sind Auszeichnungen, welche diejenigen vom Kulturrat am 21. November, dem Tag der Utkonossiwka, bekommen, deren Häuser und Höfe ordentlich und schön aussehen.“

In der Familie von Oleksandr wachsen 7,5 Tausend Tomatenbüsche und für die zweite Ernte – Gurken. Viele im Ort machen es nicht hauptberuflich. Oleksandr ist zum Beispiel ein Jurist im Dorfrat. Aber das Kümmern um die Pflanzen raubt mehr Zeit, denn wenn man es einmal sein lässt, gibt es keine Ernte.

Zuerst hatten die Großeltern von Oleksandr 500 Tomatenpflanzen für den Eigenbedarf. Und später haben sie gemerkt, dass sie so viel gar nicht brauchen und haben angefangen, sie mit dem Auto in den GUS-Staaten zu verkaufen.

Oleksandr baut Tomaten seit der Kindheit an, so wie seine Eltern. Teilweise, da das Leben einen dazu zwingt, sich irgendwie selber zu helfen, teilweise aber, da er diese Arbeit als seine Leidenschaft wahrnimmt:

„Ich arbeite das ganze Jahr. Ab Oktober bringen wir neuen Grund für die Saat. Füllen die Kassetten, in welche wir das Saatgut einbringen. Fangen an, zu heizen. Lassen das Saatgut wachsen und pflanzen im März die Sämlinge.“

Um die Tomaten in Supermärkten zu vermarkten, erzählt der junge Mann, muss man mit ihnen über ein pausenloses Zuliefern verhandeln. Und da kann das Wetter einen Streich spielen – die Tomaten werden mal zu früh und mal zu spät reif. Außerdem kaufen die Läden türkische Tomaten, da sie billiger sind.

Ewhenija

Ewhenija Kiru erklärt uns, wie sich der Tomatenanbau mit und ohne Heizen unterscheidet. Das sind beides gleiche Ernten, jedoch kann man mit Heizen die Tomaten früher ernten und damit teurer verkaufen. Das deckt die zusätzlichen Ausgaben für das Heizen. Außerdem brauchen die Besitzer von beheizten Gemüsegärten mehr Zeit und Anstrengungen für die Überwachung der Ernte.

Evhenija hat mit ihrem Mann 3 Tausend Tomatenpflanzen. Sie sagen, es wäre ein wenig anstrengend für zwei Rentner, aber im Sommer kommen zwei Töchter aus Moldau zum Unterstützen.

Früher ist die Familie für den Vertrieb auch immer nach Odessa gefahren und heute arbeiten sie nur mit privaten Händlern zusammen, welche zwei Mal die Woche kommen:

„Es kommen Autos aus der ganzen Ukraine. Das freut uns sehr. Heute habe ich 300 kg für 20 UAH je Kilo abgegeben. Vor Ort werden sie für 25-27 UAH verkauft. Da sind auch die Ausgaben für den Tarnsport, den Kraftstoff und die Verkaufsplatzgebühren mit drin.“

Ewhenija hat zusammen mit ihrem Mann in Chişinău studiert. Sie hätten als Mitarbeiter an der Uni bleiben können, aber haben sich für das Dorf entschieden:

„Und Gott sei Dank auch. Wissen Sie, es ist harte Arbeit. Aber ich würde ‚Danke‘ sagen. Wenn wir nicht unseren Garten hätten, hätten wir auch kein Geld für die medizinische Versorgung, die Nebenkosten, die Lebensmittel. Wir bekommen eine Rente, aber das wäre zu wenig für uns. Und so würde, glaube ich, ganz Utkonossiwka ‚Danke‘ dafür sagen, dass wir unsere Gemüsegärten haben.“

Ewhenija erzählt, dass es hier früher einen Betrieb für das Sortenerkennen gab. Sie bekamen aus dem Agrarinstitut die Samen verschiedener Kulturen und haben bestimmt, welche Sorte besser für diejenige Zone passt. Jetzt hat dieser Betrieb zugemacht, obwohl die Untersuchungen jährlich gemacht werden müssen:

„Ich habe nicht aufgehört, diese Untersuchungen zu machen, da wir Verbindungen zu Tiraspol haben und von dort das Saatgut bekommen. So pflanzen wir 5 – 10 Arten und bestimmen, welche für unser Dorf am besten geeignet ist. Vor 4-5 Jahren haben wir so ‚Primadonna‘ bestimmt. Früher gab es ‚Sojus‘, ‚Morgen‘, ‚Supernowa‘ aus Mykolajiw.“

Die Tomaten werden zweimal wöchentlich bewässert. Es gibt im Dorf ein zentralisiertes Wasserleitungssystem aus dem Liman – dafür arbeiten ein Mechaniker, ein Elektriker und zwei Hilfsarbeiter, die die Pumpen einschalten. Ewhenija zeigt, mit welchem Druck das Wasser aus der Leitung kommt:

„Das ist ein gutes, süßes Wasser. Früher haben die Leute es getrunken. Jetzt hat jeder ein 25-30 Meter tiefes Bohrloch.“

Ewhenija sagt, dass es ihr gefällt, Tomaten anzubauen. Und obwohl die Pflanzen nicht sprechen können, kümmert sie sich um sie, wie um Lebewesen:

„Wissen Sie, ich komme manchmal morgens ins Gewächshaus und sage: ‚Guten Morgen, Tomaten! Wie habt ihr geschlafen, wie geht es euch, was fehlt euch?‘. Wie geht es denn auch anders, wenn du möchtest, dass sie gut wachsen, dass es eine gute Ernte wird? Du erwartest etwas Gutes von den Pflanzen und sie scheinen dich zu verstehen, wachsen und werden nicht krank.“

Wie wir gefilmt haben

Schaut euch in unserem Videoblog an, wie wir durch die Ismailer Gemeinde gereist sind. Unser Tag hat auf der Insel Kleiner Tataru angefangen und ist in der großartigen Utkonossiwka zu Ende gegangen.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Natalija Ponedilok

Redakteurin:

Jewhenija Saposchnykowa

Kameramann:

Pawlo Paschko

Andrij Rohosin

Fotograf:

Oleksandr Ratuschnjak

Filmeditorin:

Julija Rublewska

Regisseur,

Filmeditor:

Mykola Nossok

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

Transkriptionistin:

Daryna Salo

Folge der Expedition