Das Dorf Panassiwka befindet sich am linken Ufer des Flusses Psel in Myrhorod Rajon in Poltawschtschyna. Auf der Landkarte kann man es schwer finden und noch schwieriger ist es, das entfernte Dorf mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Im Dorf wohnen nur 90 Leute. Man könnte meinen, es gibt nichts besonderes in Panassiwka, bis man beim Spaziergang auf einem der Höfe die Skulpturen der mythischen Figuren sieht und die Antike auf Poltawa-Art begegnet.
Neben dem Ortsschild mit dem Aufschrift „Panassiwka“ weht die ukrainische Flagge. Für die Besucher des Dorfes ist das eine Orientierung – hier wohnt ein Bildhauer und ein Maler Walerij Jermakow. Er ist sogar in Künstlerkreisen unbekannt, aber er gibt zu, dass die Berühmtheit nie sein Ziel war. Er wohnt alleine in einem unauffälligen selbstgebauten Haus seit dem Tod seiner Frau. Das Hof seines Hauses kann mit mit keinem anderen verwechseln – der Bildhauer hat hier seine Skulpturen aufgestellt und eine Art Galerie im Freien geschaffen.
Der Hausherr scheint sich über den Besuch der unerwarteten Gäste zu freuen, und lädt uns in sein Haus ein.
„Oh, das Auto mit dem Brot ist vorbeigefahren. Ich habe es verpasst. Kein Problem, nächste Woche kommt es nochmals vorbei. Ich habe noch ein bisschen.“
Das Brot kommt einmal pro Woche mit dem Auto angeliefert. Ehemals ein größeres Dorf, Panassiwka ist eine kleine Siedlung geworden. Walerij ist einer der jüngsten Bewohner. Er ist erst 79 Jahre alt.
Die Frau ist mehr als eine Muse
Walerij wohnt in Panassiwka seit 11 Jahren.
Früher hat er in Poltawa gewohnt, aber seine Frau wollte auf dem Land wohnen. Walerij gibt es offen zu: Er hat alles gemacht, um seine Frau glücklich zu machen:
„Alles war wie sie wollte.“
„Sowohl hier als auch dort ist ein Dorf. Mir war es egal – die Hauptsache war, ich konnte an meinen Skulpturen arbeiten.“
Der Bildhauer gibt zu: Seine Frau war nicht seine Muse, wie es in den Künstlerkreisen üblich ist. Aber sie war für ihn etwas Größeres: Sie hat ihn nicht gestört und eine Möglichkeit gegeben, sich künstlerisch auszudrucken. Solch eine Freiheit kann der Künstler wirklich schätzen. Walerij erzählt über das kreative Tandem mit seiner geliebten Frau mit einer großen Dankbarkeit, ohne Schmerz und Trauer zu verbergen:
„Ich habe immer nach ihrer Rat gefragt, wenn ich jemanden gebraucht habe, der sagen konnte, was besser oder schlechter ist. Dann hat sie mir empfohlen, Wakula zu erschaffen. Das habe ich gemacht. Sie hat ein Bild im Magazin gesehen – mach es. Kein Problem. Es ist so schlecht ohne sie.“
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Von griechischen Götter bis Charaktere von Nikolaj Gogol
Walerij redet über die Skulptur von Wakula aus einem Werk von Nikolaj Gogol viel, was seine mehrdeutige und kontroverse Kreativität wie ein roter Faden durchdringt. Er hat eine Geschichte darüber zu erzählen. Ein junger Mann ist im Dorf vorbeigekommen, damit er die Abmessungen machen kann:
„Seine Mutter schrie: ‚Warum machen Sie einen Teufel aus Ihm?‘. ‚Nein, nein, kein Teufel, Wakula!‘.“
Wir finden eine Skulptur der Frau mit blauen Haaren, die wie eine Nixe aussieht.
„Ich weiß nicht mehr genau, wer sie ist. Die einen sagen, sie sei eine Nixe, die anderen – eine Nymphe. Ich widerspreche nichts.“
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Auf dem Hof steht auch die Skulptur eines griechischen Gottes. Walerij erzählt eine Geschichte dazu:
„Er ist auf dem Olymp geboren, genauso wie Zeus. Seine Mutter – eine Göttin hat ihn verlassen, aber er ist ein Liebling unter den Göttern geworden. Wenn er erwachsen geworden ist, hat er Apollo auf ein Wettbewerb in der Rohrflöte-Spielen herausgefordert und hat dabei verloren. Apollo war ein starker Gott und hat ihn an den Ohren gefasst und die Ohren gedreht, wie bei einem Esel. Der Gott war beleidigt und ging in die Wald, um dort die Rohrflöte zu spielen. Jetzt spielt er schöne Lieder.“
Das Geheimnis der Kreativität
Der Künstler verheimlicht die Geheimnisse seiner Technik nicht. Er sagt, dass wenn das Werkzeug vorhanden ist, dann kommen die Hände auch hinterher. Er schlitzt seine Skulpturen nur mit einem scharfen Messer, sonst sind die Linien nicht so scharf. Walerij hat keine spezielle Ausbildung. Er hat nur die kostenlosen Amateuren-Kurse besucht. Er hat diese aber nicht länger als 2 Monate ausgehalten – es fehlte ihm die Geduld. Er hat am meisten aus Magazinen gelernt.
Der Bildhauer lädt uns in sein Haus ein. Es ist überall grün- die Blumen hat seine Frau hinterlassen. Seitdem versorgt er diese. Es stehen viele Bilder und Skulpturen. In der Ecke steht ein unvollendetes Werk. Walerij sagt, er kann es kaum Winter erwarten, dann kann er zu Hause bleiben und seine Werke fertigstellen:
„Hier hält Amor seine Pfeile. Diese Skulptur wird etwa 2 Meter hoch sein, sogar höher. Ich mag die Mythologie sehr, ich lasse mich von den Charakteren inspirieren.“
Obwohl Walerij ein Fan von Antike und Mythen ist, hat er keine Bücher. Auf dem Tisch liegt nur eine schwarze Bibel.
„Ich habe nie eine Bibliothek gewollt. Es braucht so viel Platz. Ich habe immer eine Stadtbibliothek besucht. Ich hatte ein Abo dort. Ich habe viel Literatur über technische Details gelesen.“
Stattdessen sammelt der Künstler Magazine und Zeitungen. Er hat keine Modelle, deshalb ist alles, war er erschafft, ein Sammelbild aus Zeitungsartikeln.
„Die Gesichter sind eine Zusammensetzung. Es gefällt mir diese Nase von hier, die großen Augen von dort. Ich nehme zum Beispiel eine griechische Nase für die armlose Venus und überarbeite es auf meine eigene Art.“
Das gleiche ist mir dem Körper der Skulptur. Er schaut sich die Bilder im Magazin an, wählt was ihm gefällt aus und misst ein Durchschnitt, ein Koeffizient.
Die Kunst nicht für den Verkauf
Der Künstler verkauft seine Werke nicht. Er sagt, dass er das einfach nicht will.
„Ich war bei den Ausstellungen, auf der Sorotschynzer Messe – meine Seele ist dagegen, die zu verkaufen. Das wäre kleinlich finde ich. Ich gebrauche viel Energie dafür. Meine Seele ist da drin. Deshalb möchte ich das nicht unter dem Wert verkaufen. Ich werde das auch nicht teuer verkaufen- nur verschenken.“
Walerij sagt, dass er seine Werke vor kurzem an eine Schule und eine Kirche verschenkt hat. Keiner fragt nach seinen Werken auch:
„Sie wissen nicht, dass es sie gibt. Ich mache keine Werbung dafür – nur mit Ihnen habe ich ein langes Gespräch geführt. Vielleicht weil ich hier alleine wohne.“
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Der Bildhauer hat viel Selbstkritik. Er gibt seine Fehler offen zu und hat keine Angst davor, seine Werke zu vervollständigen.
„Hier ist die Mawka aus ‚Dem Waldlied‘. Als ich über sie gehört habe, hat das mich bis zu Tränen gerührt. Jetzt machen viele Regisseure Filme diesem Motiv nach. Ich wollte auch etwas eigenes dazu machen. Ich kann nicht sagen, dass sie mir sehr gelungen ist. Ich möchte sie überarbeiten, zärtlicher machen – jetzt gefällt sie mir nicht. Es war lange her, als ich sie aus Plastilin gemacht habe, sie ist auf der Sonne geschmolzen. Danach habe ich sie rekonstruiert und aus Zement gemacht. Jetzt droht ihr nichts mehr.“
Was dem Bildhauer am meisten fehlt, ist die Zeit.
„Geben Sie mir etwas Zeit und ich werde alles machen.“
Er zeigt auf eine Skulptur in der Ecke des Zimmers dabei, die schon seit etwa einem Jahr unvollendet ist.
Jetzt macht er sich sorgen um Holz, das er aus seiner ganzen Rente nicht kaufen kann. Seine ganze Zeit verwendet er dafür, das Holz selber vorzubereiten: sägen, aus dem Wald transportieren. Er sagt, dass es die Arbeit für mehrere Wochen oder sogar Monaten sei. Manchmal geht die Brunnenanlage kaputt, dann muss er alles renovieren. Walerij bleibt aber positiv und beruhigt sich:
„Alles ist gut. Eins nach dem anderen.“
Das wichtigste im Leben sind die Details
Walerij nennt seine Bilder „Salonkunst“. Er ist nicht beleidigt, wenn diese Genre unterbewertet und mit Verachtung behandelt wird. Im Gegenteil – er sagt, das sei die Basis seiner Fertigkeiten:
„Zum Beispiel Pikasso als Kubist hat seine früheren Werke wie im 18. Jahrhundert gemalt. Also, um etwas besonderes zu machen muss man zuerst akademisch malen können. Das konnte er sehr gut.“
Walerij gibt zu, dass er Kubismus nicht mag. Er möchte, dass die Leute seine Werke anschauen und bewundern und etwas bekanntes dabei finden können. Er kennt auch seine Schwächen: Es gibt kein Volumen und keine Helligkeit in meinen Bildern. Zuletzt erzählt Walerij seine Meinung über sein künstlerisches Schaffen.
„Ich mische die Farben zu stark. Das ist meine Schwäche und ich werde daran arbeiten. Man müsste viel malen und ich mache das selten. Man muss dafür brennen! Ich brenne für Skulptur und sie gelingt mir sehr gut. Aber die nächste, wenn ich noch so lange leben werde, wird zum Meisterwerk.“
„Man muss sich in alles, was man macht, vertiefen und sich alle Details merken. Für mich sind absolut alle Details in diesem Leben wichtig.“
Walerij zeigt uns noch ein Bild. Die Aufschrift darauf hat unser Interesse geweckt: „Ich bin nicht alleine, bis die Bäume, Vögel und Himmel mit mir sind.“ Früher war die Liebe zu seiner Frau das Leitmotiv seines Lebens. Jetzt ist das dieser Satz. Er sagt, dass alleine sein nicht so einfach ist, wenn lediglich die Skulpturen im Leben geblieben sind.
Wie wir gefilmt haben
Die Geschichte über das Treffen mit Walerij, eine Drohne über Panassiwka und Besuch in einer der Niederlassungen der ukrainischen Akademie der Führung findet ihr in diesem Videoblog.