„Du wolltest diese Erde, nun vermische dich mit ihr.“ – Diese Zeilen aus dem Lied „Schlaflied für den Feind“ der ukrainischen Sängerin STASIK wurden für tausende russische Soldaten zur Realität. Die „zweitstärkste Armee der Welt“, die einen großangelegten Krieg gegen die Ukraine begann, verschweigt seit den ersten Tagen der Invasion die Anzahl der Gefallenen und weigert sich, die Leichen abzuholen, damit diese von Verwandten in deren Heimat begraben werden können.
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Das Material beinhaltet Links zu russischen Websites, die in der Ukraine nur über VPN erreichbar sind.In 135 Kriegstagen hat Russland in der Ukraine ca. 36.900 Soldaten verloren. Diese Anzahl gab der Generalstab der Streitkräfte der Ukraine am 08.07.22 bekannt. Und die Zahl wächst täglich weiter.
Dennoch hat Russland es nicht eilig, die realen Verluste anzuerkennen und seine Bürger darüber zu informieren. Die Außenkommunikation des russischen Verteidigungsministeriums ist, gelinde gesagt, inkonsistent. Und der Fisch stinkt bekanntermaßen vom Kopf her.
Obwohl der Name des ersten in der Ukraine gefallen Soldaten bereits am dritten Kriegstag bekannt wurde (die Information wurde durch das Oberhaupt der Republik Dagestan, von wo der Soldat stammte, in sozialen Medien veröffentlicht), gab es eine ganze Weile lang gar keine offiziellen Angaben.
Erst am 2. März, einer eine Woche nach dem Beginn des großangelegten Krieges, machte das russische Verteidigungsministerium die ersten offiziellen Angaben – 498 Tote. Zu echter Verwirrung führte dabei, dass der russische BBC-Dienst zur gleichen Zeit von 557 Gefallenen sprach, während etwas später eine Information über 501 offiziell begrabenen Soldaten erschien. All das passte nicht recht mit den Meldungen des russischen Verteidigungsministeriums zusammen.
Erst am 25 März, fast einen Monat nach dem Beginn der Invasion, nannte Russland endlich eine neue offizielle Zahl: 1.351 Tote, eine ebenfalls von der Wahrheit weit entfernte Angabe.
„Leider kam es im Laufe der militärischen Spezialoperation zu Verlusten bei unseren Kampfkameraden. Stand heute sind 1.351 Soldaten gefallen, 3.825 wurden verwundet“, so die Meldung des russischen Verteidigungsministeriums.
Wie es scheint, möchte Russland den Traditionen der Kriegsmythen bis zum Schluss treu bleiben und stellt seine Armee als stark und gar unsterblich dar. Der Vorsitzende des Verteidigungskomitees des Staatsduma behauptete nämlich Anfang Juni, dass Russland praktisch keine Verluste mehr habe. Die Zählung der gefallenen Soldaten hörte in März bei 1.351 Personen auf. Die gleiche Zahl wurde von einigen russischen Massenmedien sogar am 100. Tag des Krieges angegeben, welcher von Russland als „Spezialoperation“ bezeichnet wird.
Betrachtet man andere durch Russland geführte Kriege, kann man davon ausgehen, dass die realen Verluste wohl auch weiterhin vor der russischen Bevölkerung verborgen bleiben werden. Nicht umsonst gibt es das bekannte russische Sprichwort: „Je weniger man weiß, desto besser schläft man“.
Und für den Fall, dass Russen mehr erfahren oder davon erzählen möchten, gibt es im russischen Kriminalgesetzbuch einen neuen Paragrafen, nach dem man für Fakes über die russische Armee oder Taten, die zu ihrer Diskreditierung führen können, zu drei bis fünf Jahren Strafkolonie verurteilt werden kann.
Es wurden bereits die ersten Strafverfahren eröffnet. Alles läuft nach Plan, so der blutige Diktator.
Zu Beginn der russischen großangelegten Invasion leugneten Putin und die russische Militärführung die Beteiligung von Wehrdienstleistenden an den Kämpfen in der Ukraine. Doch die ersten Informationen über den auszuzahlenden Betrag an Familienmitglieder der im Laufe der sog. „Spezialoperation“ gefallenen Militärangehörigen kann man als Anerkennung der tatsächlichen russischen Kriegsverluste betrachten.
Der von Putin für das Leben seiner Soldaten festgelegte Betrag war anfangs sehr bescheiden, um nicht zu sagen, knauserig. Für den Tod jedes tapferen russischen Kämpfers sollte den verbliebenen Familienangehörigen 11.000 Rubel ausgezahlt werden, was nach dem damaligen Wechselkurs 50 US-Dollar entsprach. Zwei Tage später änderte sich der Betrag: Für jeden in der „Spezialoperation“ gefallenen Soldaten versprach Putin eine Einmalzahlung von 7.421.000 Rubel (ca. 30.000 USD).
Über Tote nur Gutes, oder nichts. Am besten nichts
Eine Besonderheit der russischen Kriegskommunikation ist das Bottom-up-Schema der Meldungen über den Tod der Soldaten in der Ukraine. Das heißt, dass die Information nicht durch die Regierungsquellen, sondern durch lokale Medien oder durch Menschen, die mit dem Gefallenen zu tun hatten oder ihn persönlich kannten, veröffentlicht wird.
Alle medialen Erwähnungen der gefallenen russischen Soldaten zeichnen sich durch die Lobpreisung der Soldaten und der „Befreiung“ von „ukrainischen Nazis“ aus.
Fragmentierte Informationen, ständige Betonung der Tapferkeit der russischen Armee und Widerlegung der Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums gehören zu den typischen Kommunikationsmethoden Russlands.
Dadurch bekommen die Russen ein verzerrtes, jedoch für die Regierung bequemes Bild. Sogar die mehr oder weniger oppositionellen Medien scheuen sich offenbar davor, als „Vierte Gewalt“ zu fungieren, da sie die Strafverfolgung nach dem neuen russischen „Gesetzes über Fakes“ fürchten.
Ein interessanter Medienvorfall ereignete sich am 21.03.2022: Das Propagandablatt „Komsomolskaja Prawda“ veröffentlichte und löschte kurze Zeit später einen Artikel darüber, dass im Krieg in der Ukraine bereits etwa 10.000 russische Soldaten getötet und zudem mehr als 16.000 verletzt wurden.
In diesem „temporären“ Artikel berief sich „Komsomolskaja Prawda“ auf das russische Verteidigungsministerium. Ukrainische Medien und Militäranalytiker bewerteten den Artikel als einen informationellen Einwurf, der die russische Öffentlichkeit auf weitere ähnliche Meldungen vorbereiten sollte, denn es wird immer schwieriger, die Anzahl der Opfer zu verbergen: Ukrainische Informationstruppen sind aktiv, die Zahl der Nutzer solcher Telegram-Kanäle wie „Cargo 200“ (Codewort für gefallene Soldaten) und „Horjuschko“ (übersetzt: „Kummer“) wächst ständig. Auch die Hotline „Komm lebendig aus der Ukraine zurück“ bekommt schon seit ihrer ersten Arbeitsstunden zahlreiche Anrufe von Verwandten der Militärangehörigen.
Wie werden russische Soldaten in der Ukraine begraben?
Russland weigert sich immer noch, alle Leichen ihrer Gefallenen entgegenzunehmen. In internationalen Medien verbreiteten sich Meldungen darüber, dass die russische Armee mobile Krematorien nutzt, damit die wahre Anzahl der Opfer bereits vor Ort verborgen werden soll. Einige Medien behaupten, dass Russland solche mobilen Krematorien – getarnt als gewöhnliche Fahrzeuge — schon seit vielen Jahren in der Nähe von Militärtechnik platzierte. In sozialen Netzwerken und renommierten Medien kursierte ein Foto eines solchen mobilen Krematoriums, das möglicherweise durch die russische Armee verwendet wird. Das Wort „möglicherweise“ wird an dieser Stelle benutzt, da weder ukrainische noch internationale Medien bisher über zuverlässige Beweise verfügen, die diese Information bestätigen. Das Foto des mobilen russischen Krematoriums ist ein Screenshot aus einem bereits 2013 im Internet veröffentlichten Video.
Das Ganze sieht eigentlich ziemlich ironisch aus. Ukrainer, die von Russen oft als „Brudervolk“ bezeichnet wurden, begraben nun russische Soldaten in nicht markierten Massengräbern. Dies wird in erster Linie aus hygienischen Gründen durchgeführt, denn die Verwesungsprozesse die Gesundheit der Bewohner ukrainischer Städte und Dörfer, wo der Feind umgekommen ist, nicht beeinträchtigen sollen.
Russische Soldaten lassen ihre gefallenen Kameraden häufig auf dem Schlachtfeld zurück. Einige der Leichen werden vermint, deshalb arbeiten ukrainische Bestatter und Soldaten häufig mit Minenräumern zusammen, wenn sie die Überreste einsammeln und sie zu improvisierten Leichenhallen transportieren. Die normalen Leichenhäuser sind nämlich längst mit den Körpern russischer Soldaten überfüllt.
Laut Aussagen von ukrainischen Soldaten und Mitarbeitern des staatlichen Notdienstes sterben einige der russischen Militärangehörige namenlos: Ihre Papiere werden vor dem Angriff von den Befehlshabern weggenommen. Deshalb versucht man im nachhinein, die Leichen mithilfe von Bankkarten oder anderen Dokumenten, die eventuell in Fahrzeugen geblieben sind, zu identifizieren. Danach führt man eine schnelle Suche in den sozialen Netzwerken durch, denn nur so lässt sich das Puzzle häufig zusammensetzen. Nicht jeder Gefallene hat aber das Glück, in kürzester Zeit identifiziert zu werden.
Tote russische Soldaten sind übrigens nicht nur wunderbarer Dünger für ukrainische Schwarzerde. Sie helfen auch dabei, lebende ukrainische Soldaten, die in Gefangenschaft geraten sind, zu retten. Laut unserem Militär sind die Regeln dieses inoffiziellen Umtausches wie folgt: Für sechs russische Leichen werden zwei lebende Gefangene zurückgegeben.