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Bakota ist ein unter Wasser gesetztes Dorf in Podillja, in der Nähe von Kamjanez-Podilskyj. Heute ist dieser Ort für seine unglaubliche Aussicht und Stille bekannt. Vor einem halben Jahrhundert haben hunderte Familien ihre Häuser und Höfe da verlassen. Die Menschen wurden vertrieben und das Dorf wurde unter Wasser gesetzt, um hier ein Reservoir für ein leistungsfähiges Wasserkraftwerk zu errichten. Taras Horbnijak wurde in Bakota geboren und er war 27 Jahre alt, als er mit seiner Familie aus ihrem Haus vertrieben wurde. Heute führt er Ausflüge an Orte, an denen er einst lebte.

Ganz am Anfang war Bakota eine Stadt. Zum ersten Mal wird die Stadt in der Chronik von 1240 als größtes administratives Zentrum der historischen Region Dnipro Ponysja (Tal) mit mehr als dreitausend Einwohnern erwähnt. Im 13.-16. Jahrhundert hieß die Gegend zwischen dem Dnister und dem Buh Rus Dolna, und Bakota war die Hauptstadt dieser Provinz. Die Land- und Wasserhandelsrouten kreuzten sich auch hier über. Das Wort „Bakota“ kommt in Kulturen verschiedener Völker vor. In Gabun und Kongo gibt es ein Stamm Bakota (oder Kota), in Indien gibt es zwei Siedlungen mit diesem Namen. Ein Drittel der Einwohner des Dorfes Fitki, das in der Karpatenregion liegt, hat den Familiennamen Bakota, in Wolhynien befindet sich das Dorf Bakoty und in Transkarpatien – das Dorf Bakti.

In keltischer Sprache bedeutet „Bakota“ „ein Tal“, im Spanischen ist es „ein tiefer Boden“. Im Rumänischen – „ein Stück Brot“, im Türkischen – „weit zu sehen“. Taras Horbnijak listet alle Optionen auf: „ ‚Und Sanskrit?‘. Nehmen wir das Wort ‚kot‘ als Basis – das bedeutet ‚eine Festung‘. Und ‚baka‘ ist ‚ein Kranich‘. Wenn Sie ‚bakhata‘ nehmen, ist dies ‚ein Übermaß an etwas, zu viel‘. Wenn Sie zwei Wörter ‚phata‘ und ‚attata‘ nehmen, bedeuten diese ‚eine scharfe Kurve des Flusses unter dem Berg‘. Und schließlich ‚phaty‘ bedeutet ‚ehrlich, treu‘. Nun geben Sie mir die Antwort: ‚Was entspricht diesem Ort nicht und was ist das Erste?‘ Jede Hauptstadt hat einen großen Tempel. In Bakota war dieser Tempel das Bakotaer St. Mychajlo-Höhlenkloster, das im 12.–13. Jahrhundert auf dem Bila Berg entstand. An der Stelle des Klosters befand sich einst ein alter Tempel, die ältesten archäologischen Funde kommen aus dem zweiten Jahrtausend v.Chr“.

Es scheint, dass der Bila Berg dank einem weißen Stein, dank dem Kalkstein, einen solchen Namen hat. Im Sanskrit bedeutet „bila“ jedoch „ein Höhle“. Anscheinend gab es einmal im Berg Karsthöhlen oder so, die den Menschen Schutz vor Wind und Regen gaben. Die Mönche des Klosters nutzten bis heute eine der erhaltenen Höhlen, um dort zu wohnen. Während des Baus vom Pumpspeicherkraftwerk Dnister wurde 1981 die gesamte Bevölkerung der Region in benachbarte Städte umgesiedelt. Bakota selbst zusammen mit anderen Dörfern wurde unter Wasser gesetzt.

„16 Tausend Hektar fruchtbares Land, 100 Hektar Wald, viele Weinberge und Gärten und 28 Dörfer. Das ist der Preis. Der Preis ist der beste Ort, und den haben die Leute bezahlt.“

Derzeit ist dies ein 200 km langer Stausee, die Auenfläche ist um 1590 Hektar groß.

Der Bau des Pumpspeicherkraftwerks Dnister begann mit einem Auftrag aus Moskau, eine Wasserkaskade am Dnister zu bauen. Die Bewohner von Bakota konnten sich die gesamte Kaskade kaum vorstellen, obwohl damals nur drei Wasserkraftwerke gebaut werden sollten. Die Nutzung von Wasser als Energieressource sieht den Betrieb von zwei Turbinen vor: Eine arbeitet als Generator und die andere – als Pumpe, die Wasser aufpumpt. Das System ist einzigartig und beeinflußt die Umwelt nicht. Laut Taras war Bakota ein einzigartiger natürlicher Ort, bevor man sich für den Bau eines Wasserkraftwerks entschieden hat. Die Schluchten beschützten das Dorf vor Flut, Wind und heftigen Regenfällen, das Land war sehr fruchtbar, das Tal hatte ein eigenes Mikroklima, das Wasser war extrem sauber: Es konnte getrunken werden, Forellen und Krebse lebten dort und der Fluss selbst konnte an einigen Stellen gefurtet werden.

Das Höhlenkloster

Die Geschichte des Bakotaer St.Mychajlo-Höhlenklosters geht auf vorchristliche Zeiten zurück. Alter der Höhlen ist fast viertausend Jahre. Fast die ganze Zeit dienten sie der Anbetung natürlicher Elemente. Bis jetzt sind einige heidnische Artefakte gefunden worden: Ein auf Stein gemeißelter Fuß eines Mannes, steinerne Götzen und Altäre. Diese Seite der Geschichte ist am wenigsten untersucht. Das Christentum, so Taras Horbnijak, kam erst im 11. Jahrhundert hierher.

Das Bakotaer St.Mychajlo-Höhlenkloster hat eine umgekehrte Struktur: Normalerweise befindet sich die Kirche höher als die Zellen. Im Fall von Bakota entstanden die Höhlen viel früher, und zum Zeitpunkt der Gründung des Klosters befand sich dort ein Platz für Gebete. Im 15. Jahrhundert befand sich Bakota an der Grenze zweier Staaten: Polen und Litauen. Eines der ersten Zentren des Christentums in dieser Region wurde aufgrund des aggressiven Verhaltens der Katholiken gezwungen, seine Existenz aufzugeben. 1620 gab es ein Erdbeben und das Kloster wurde mit der Erde vergraben. Viele Jahre später wurde an der Stelle von Klosterhöhlen eine Kirche errichtet, die im 20. Jahrhundert mehrmals umgestaltet wurde: Je nach Regime wurden Gottesdienste da gehalten. Von 1918 bis 1944 wurde der Weg, der jetzt zur Kirche führt, nur von Grenzsoldaten benutzt. Damals lag Bakota an der Grenze zu Rumänien:

„Ja, es gab hier eine Grenze zu Rumänien, 22 Jahre lang. Wissen Sie, heute ist es für uns lustig, aber es gab solche Lebensbedingungen, die man sich heute kaum vorstellen kann. Es war verboten: schwimmen, angeln, Kühe beweiden. In jedem Dorf gabt es Check-Points, gegenüber jedem Dorf – eine 2 m Wand. Sie könnten nicht singen, Sie könnten nicht pfeifen, Sie könnten auch nicht in bunten Kleidern raus gehen. Überall gab es Grenzsoldaten.“

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In diesem Tal sind die Großeltern von Taras Horbnijak geboren und aufgewachsen. Aufgrund der Grenznähe des Dorfes wurden sein Großvater in den 1930er Jahren in den GULAG geschickt und von dort aus auf den Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals. Dann glaubte man, wenn man in der Nähe der Grenze lebt, dann ist man mit Schmugglerei beschäftigt. Bei der Rückkehr stand der Mann vor einem weiteren Problem: Damals war bereits der Erlass in Kraft, dass die zuvor Verurteilten kein Recht hatten, sich in der 50-Kilometer-Zone von der Grenze aufzuhalten. Zurück in der Heimat gelang es ihm erst in den Kriegsjahren. Der kleine Taras besuchte die örtliche Kirche, er konnte aber die Höhle nicht betreten, weil sie als Altar diente. Ein paar Jahre später zerstörten Schüler der Sekundarstufe unter den Slogan „Religion ist ein Opium für das Volk“ den Tempel anstelle des Unterrichts. In die Höhle konnte Taras betreten, nachdem da alles zerstört worden war: Beteten könnte da schon niemand.

Heute funktioniert die Kirche frei. Es gibt keinen Priester, es gibt keine konfessionelle Trennung. Die orthodoxen, die griechisch-katholischen Ikonen und die Ikone von Gott-Vater stehen nebeneinander da:

„Heute ist es ein Denkmal von nationaler Bedeutung, das eine einzige Funktion erfüllt: Menschen nicht durch Glauben zu trennen, damit jeder da sein kann. Dies ist heute eine Touristenattraktion, für Touristen nicht nur aus der Ukraine. Wissen Sie, genau diese Einzigartigkeit, die Spiritualität dieser Höhlen zieht viele Menschen an. Sie sehen hier keine Überwachung. Der Ort funktioniert.“

Taras ist überzeugt, dass der Ort weiterlebt, weil Energie hier extrem stark ist. Er sagt, dass die Leute hierher kommen, um geheilt zu werden:

„Das erste ist reines Wasser, gut. Das zweite ist der angebetete Energieort. Und das dritte ist der Glaube des Menschen. Das alles zieht die andren Menschen hier an.“

Austreibung

Taras Horbnijak arbeitet als Reiseführer und erklärt die wesentlichen Mythen über Bakota. Er verließ das Tal mit 27 und erzählt nun den Touristen seine eigene Geschichte:

„Der entstandene Stausee gilt als bester natürlicher Ort der Ukraine in der Liste ‚7 Naturwunder‘. Wie soll ich es erklären? Ich verlor meine Heimat, und gleichzeitig ist da der beste Ort der Ukraine entstanden. Ist das ein Plus oder ein Minus? Wie teilt man das auf?“

Die Umsiedlung der Dorfbewohner dauerte acht Jahre lang und das Füllen des Tals mit Wasser dauerte weitere sechs Jahre lang. Der Staat entschädigte dann nur einen kleinen Teil der Ausgaben, und den Menschen im angesehenen Alter, die weder ein neues Haus kaufen noch bauen konnten, teilte der Staat das Land zu:

„Die Umsiedlungsbedingungen für die Menschen, die hier lebten, waren tatsächlich etwas steif. Sie haben bis 20% Entschädigung nicht zugeteilt bekommen, die der Staat zurückgegeben hat, bis sie ihr eigenes Haus zerstören und die Bäume in ihrem Garten fällen. Damit haben sie tatsächlich das Familiennest mit ihren eigenen Händen zerstört, was ihre Großväter, ihre Eltern und sie selbst gewonnen haben. Und deshalb bin ich einer von denen, die ihr Haus selbst zerstört haben. Andernfalls erhalten Sie keine 800, 1000 oder 700 Rubel. Dann dauerte es ein Jahr oder länger, dass man für dieses Gehalt arbeiten muss.“

Die meisten Bewohner von Bakota sahen den Zug bis dahin noch nie im Leben. Mehrere Male im Laufe ihres Lebens sahen sie ein Flugzeug, das über die Schlucht fliegen konnte und sie waren eigentlich nie außerhalb des Tals. Ihr Land war das teuerste für sie, weil sie ihre Seele darin investiert haben.

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Die Menschen kamen zum Fest Maria-Schutz zum fast zerstörten Dorf: Jemand war bereits von hier weggezogen, und jemand traute sich nicht, es dauerte noch. Taras erinnert sich, dass sie getanzt hatten, Spaß hatten, aber es herrschte Spannung, denn jeder von ihnen verstand, dass dieser Abend im Tal der letzte für sie alle hier war:

„Jemand sagte: Lassen wir uns ins Dorfzentrum gehen. Sie gingen alle mit Kindern zusammen und weinten viel dabei. Das Dorf hatte damals keinen Strom schon. Sie gingen und gingen, erreichten das Dorfzentrum, sie versammelten sich alle im Kreis, sie knieten nieder und gingen dann weg. Verstehen Sie, wie es sich anfühlt, wenn es sich mit dem Boden anfühlt, dass das alles immer noch genetisch da ist.“

Wo heute man schwimmen geht, war eine Stadt. Dort, wo die Touristen zelten, war eine Straße. Seit 37 Jahren existiert das Dorf nicht mehr, und Taras hat bereits zwei Treffen von Bakota-Bewohnern, den Intern-Vertriebenen, organisiert. Er liebt diesen Ort, für ihn ist Bakota alles:

„Wissen Sie, für mich ist jedes mit Bakota verbundene Wort heute von so einer großen Bedeutung. Es ist mir am wichtigsten.“

Wie wir gedreht haben

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Walerija Didenko

Redakteurin:

Jewhenija Saposchnykowa

Projektproduzentin:

Olha Schor

Fotograf:

Oleksij Karpowytsch

Kameramann:

Pawlo Paschko

Oleksandr Portjan

Filmeditorin:

Julija Rublewska

Regisseur:

Mykola Nossok

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

Transkriptionistin:

Marija Hluch

Übersetzerin:

Elina Fojinska

Folge der Expedition