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Beton, Zement, Bewehrung, Mineralwolle, Styropor. Wir sind es gewohnt diese Wörter zu hören, wenn es um das Bauen geht. Hanf. Klingt weniger gewöhnlich? Diese Geschichte handelt sich um ein ukrainisches Start-Up, das Baustoffe auf Basis von Nutzhanf herstellt und seine Technologien bereits ins Ausland exportiert.

Ein Haus, das aus 100 Kubikmeter Beton erbaut wurde, setzt allein bei der Herstellung des Betons bereits 20 Tonnen CO2 in die Atmosphäre frei. Genau so viel betragen zum Beispiel die Emissionen eines PKWs beim Zurücklegen von 100 Tausend Kilometern.

Kohlenstoffdioxid (CO2)
Einer von den Treibhausgasen, die zum Klimawandel beitragen. Seit dem Beginn der industriellen Revolution im 20. Jahrhundert wächst seine Konzentration in der Atmosphäre stetig. Pflanzen und Ozeane schaffen es nicht die CO2-Ausstöße aufzunehmen, was den CO2-Kreislauf beeinträchtigt und unkontrollierbare Klimaveränderungen beschleunigen kann.

Ökologisches bzw. „grünes“ Bauen unterscheidet sich vom gewöhnlichen Bauprozess durch eine viel kleinere Menge an Abfällen während der Herstellung von Baumaterialien, sowie durch den geringeren Energieverbrauch während des Bauens, der Nutzung, der Renovierung und des Abbruchs.

Seit 2014 entstehen immer mehr ukrainische Öko-Bauunternehmen. LifeHouseBuilding ist bspw. spezialisiert auf Häuser aus Strohpaneelen auf einem Holzgerüst. Neoacre baut Häuser mit Wärmedämmung und einer hermetischen Außenhülle, die Energie mithilfe von Solarpaneelen produzieren. Das Start-Up PassivDom produziert modulare, komplett vom Strom- und Gasanschluss unabhängige Wohnhäuser.

Häuser aus Hanf

Seit 2015 ist in der Ukraine das Unternehmen „Hempire“ tätig, welches ökologische Baumaterialien auf Basis des industriellen (technischen) Hanfes herstellt. Der Gründer Serhij Kowalenkow ist sicher, dass die Nachfrage nach „grünen“ Häusern in der Ukraine steigen wird:

„Wir sind nicht das einzige Unternehmen, welches ökologische Häuser in der Ukraine baut. Es gibt Unternehmen, die mithilfe von Schilf und Stroh bauen. Diese Richtung ist sehr vielversprechend, weil die Menschen angefangen haben daran zu denken, in welchem Haus ihre Familie und Kinder wohnen werden. Wir müssen einander unterstützen und nicht miteinander konkurrieren.“

Im Öko-Bauen werden die Materialien mit Basis aus natürlichen Komponenten und Rohstoffen verwendet, die keine toxischen Stoffe enthalten. Es kann Holz, Stroh, Hanf, Bambus, verdichtete Erde, Pilzmyzel etc. sein.

Hanfschäben des Industriehanfes, die früher als Abfallprodukt bei der Herstellung von Textilien und Seilen galt, können als wertvolles Baumaterial und als Alternative zu herkömmlichen Dämmstoffen, wie Mineralwolle oder Polyschaum, dienen.

Hanfschäben
Holzige Stängelteile, die während der Primärverarbeitung entstehen.

Industriehanf — ist eine Hanfsorte mit einem extrem niedrigen Gehalt an Tetrahydrocannabinol (im Folgenden — THC). Nach dem Strafgesetzbuch der Ukraine ist der Industriehanf kein Rauschmittel und darf daher angebaut und verwendet werden, da sein THC-Gehalt unter 0,08% liegt. Zum Vergleich: in den meisten europäischen Ländern beträgt der maximal zulässige THC-Gehalt 0,2%.

Tetrahydrocannabinol
Der psychoaktive Hauptbestandteil von Cannabis.

Produkte aus technischem Hanf sind in fast jedem Haushalt erhältlich: vom üblichen Werg bis zum Papier. Bis zu 60% der Hanffasern werden in der Papier- und Zellstoffindustrie verwendet. Die Samen werden auch häufig in der Lebensmittelindustrie eingesetzt, das Hanföl — in der Kosmetik.

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Ein Baumaterial auf Basis des technischen Hanfes nimmt beliebige Form an, trocknet schnell, und die Schalung (temporäre Struktur, die beim Gebäudebau verwendet wird — Red.) kann schon nach einer halben Stunde nach dem Einbauen des Materials entfernt werden.

Innerhalb eines Jahres entsteht aus Hanf mehr Biomasse, die aktiv das Kohlenstoffdioxid bindet, als aus einem 50-jährigen Wald. Ein Hektar Hanf kann in der Wachstumsphase bis zu 10 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen.

Serhij Kowalenkow zeigt ein Foto seines Teams während einer der Bauphasen bei der Errichtung eines Kuppelhauses mithilfe einer Mischung aus Industriehanf.

In den 1960er Jahren wurde Hanf in der Ukraine auf einer Fläche von 100 Tausend Hektar angebaut. Später verringerten sich die Anbauflächen aufgrund des verstärkten Fokus auf die Rauschmittelwirkung des Hanfes. In dieser Zeit wurde weltweit eine Reihe an Vorschriften eingeführt, die den Anbau von Hanf begrenzten oder gar verbaten. Das waren beispielsweise die UN-Konvention über Betäubungsmittel von 1961, Konvention über psychotrope Mittel von 1971 u.s.w.

Nach Angaben des Instituts für Bastfaserpflanzen von Hluchiw wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von ukrainischen Pflanzenzüchtern erstmals Hanfsorten gezüchtet, die praktisch keine betäubenden Inhaltsstoffe beinhaltete (THC). Eben diese Sorten werden nun als Industrie— oder Nutzhanf bezeichnet.

Bis 2012 gehörten die Auflagen für den Anbau von Industriehanf in der Ukraine zu den strengsten weltweit. Die Anbauflächen mussten bewacht werden, weswegen die Produktion sich um 30% verteuerte. Damals verringerten sich die Hanfanbauflächen auf 270 Hektar. Doch im August 2012 wurde vom Kabinett ein Abkommen beschlossen, das die Bedingungen erleichterte. So wurde 2016 Hanf bereits auf ca. 5 Tausend Hektar ausgesät. Seitdem wächst diese Zahl schrittweise weiter.

Um Nutzhanf anzubauen, benötigen Ukrainer eine Lizenz. Es dürfen nur die Sorten ausgesät werden, die im ukrainischen Staatsregister der Anbaukulturen eingetragen sind. Heute sind dort 12 Sorten von Nutzhanf aufgelistet.

Anstatt des Betons

Das Unternehmen Hempire entwickelte das Material Hempire-mix, das beim Bauen als Wärmedämmung oder anstelle von Beton und Mauerwerk eingesetzt werden kann. Es wird aus zerkleinerten Stängelteilen von Nutzhanf (Hanfschäben), Wasser sowie einem Bindematerial auf Basis von Kalk hergestellt, ohne Verwendung jeglicher toxischen Komponenten. Um so eine Dämmung zu produzieren, müssen die Bestandteile schnell vermischt und lagenweise mit einer Dicke von 10 bis 15 cm in die Schalung eingebracht und verdichtet werden.

Die Einzigartigkeit von Hempire-mix liegt im Bindematerial, das kein Zement enthält. Denn der Hanfbeton (engl. hempcrete) wird bereits von diversen Firmen weltweit eingesetzt, er darf aber nach anderen Formeln gemischt werden.

Serhij Kowalenkow hat die Carleton University von Ottawa im Studiengang Bauingenieurwesen abgeschlossen und leitete einige Jahre Bauprojekte in Kanada, in den USA und der Schweiz.

Über das Bauen aus Hanf hat Serhij in Australien erfahren, wo er an Wohnbauprojekten mitwirkte. Während der Arbeit mit diesem Material bei verschiedenen Objekten sammelte Serhij Erfahrung und begriff, dass er eine eigene Rezeptur für ein Gemisch ohne Zement entwickeln konnte. Nach dem Erhärten einer Wärmedämmung aus Hanf, die auch Zement beinhaltet, kann sie nicht mehr (oder nur sehr kostspielig) erneut verwendet werden. Und ein Gemisch auf Grundlage von ausschließlich natürlichen Komponenten kann zerkleinert, wiederverwendet und zu einem neuen Wärmedämmgemisch hinzugefügt werden.

„Das ist das Werk meines Lebens. Ich sehe, dass wir erstklassige, effiziente Materialien aus organischen Stoffen in der Ukraine produzieren können. Man sagte uns einst: ‚Wozu machst du das? Vermische den Hanf mit Zement und alles wird gut!‘. Aber wir sind einen anderen, schwierigeren Weg gegangen.“

Der Firmengründer sagt, das Baugemisch hätte eine Menge Vorteile. Es ist nicht nur ökologisch, sondern auch effizient:

„Einer der Vorteile solcher Häuser ist die Ersparnis beim Heizen und Klimatisieren. Dieser Dämmstoff kann das Feuchtigkeitsniveau steuern, Wärme speichern und sie später zurückgeben. Er ist weiterhin auch ein effektiver Schalldämmstoff.“

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In der Ukraine ist diese Technologie relativ neu, deswegen hat sie zunächst für Fragen und Zweifel gesorgt, sagt der Unternehmer:

„Die erste Frage potenzieller Kunden lautete: ‚Gibt es bereits fertiggestellte Projekte in der Ukraine?‘. Und wir konnten nichts vorzeigen.“

Zum Jahresbeginn 2020 hatte Hempire bereits ca. 60 Projekte in der Ukraine, den USA, Polen und Schweden realisiert. Im US-Bundesstaat Kalifornien bauten sie ein mobiles Wohnhäuschen aus lokalen Materialien und ukrainischem Bindematerial.

„Das war unser Hanf, aus der Ukraine. Von Beginn an gab es das Ziel aus regionalen Produkten zu bauen, um unabhängig vom Import zu bleiben. Die Anzahl der Felder und der landwirtschaftlichen Betriebe wächst jährlich. Also gibt es aktuell keine Probleme mit dem Hanf.“

Der Hanf reduziert den CO2-Fußabdruck sogar im verarbeiteten Zustand, denn während der Erhärtung nimmt das Hempire-mix das Kohlenstoffdioxid weiter auf:

„Wir sehen, dass der Dämmstoff jede Minute und jeden Tag immer härter wird. Später wird er steinhart, sodass wir ihn mithilfe von Kalk oder Lehm verputzen.“

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Hanf kann als Dämmung für Fassaden, Böden, Fundamente und Dächer verwendet werden. Er kann sowohl für private Häuser als auch für Bürogebäude, Schulen und Kindergärten eingesetzt werden.

„Wir haben vor, neue Baumaterialien auf Basis von Hanf zu entwickeln, um mehrgeschossige Gebäude zu dämmen. Das ist ein großes Problem in der Ukraine: Wir haben viele Gebäuden aus Beton, die gedämmt werden müssen. Wir entwickeln bereits Wärmedämmplatten und haben fertige Beispiele.“

Dank der neuartigen Rezeptur eines wiederverwendbaren natürlichen Dämmmaterials erhielt Hempire einen Voucher (finanzielle Unterstützung — Red.) für die Entwicklung von grünen Technologien im Rahmen des von der EU finanzierten Programms “Climate Innovation Vouchers” der EBWE (Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung). Das ermöglicht die Zertifizierung für den späteren Einstieg in die lokalen und europäischen Märkte. Serhij Kowalenkow sagt, das Team werde in Kürze die Protokolle der Laboruntersuchungen erhalten, die für die Zertifizierung des Produkts nötig sind.

„Als die Gaspreise stiegen, verstand man in der Ukraine den Begriff ‚Energieeffizienz‘. Seit 2014 sind in der Ukraine viele Start-Ups entstanden, unter anderem in dieser Branche. Unsere Mitbürger realisieren langsam, dass wir alles selbst schaffen können.“

Besitzer von Ökohäusern

Dmytro Tereschtschenko ist einer der ersten Kunden von Hempire. Er hat sich an das Unternehmen gewendet, um das zweite Geschoß seines Hauses nach neuer Technologie zu Ende zu bauen. Während der letzten zwei Jahre, in denen er mit seiner Familie nun in diesem Haus wohnt, hat Dmytro den Unterschied in der Wärmeisolierung der beiden Geschosse bemerkt. Im zweiten Geschoss wird die Wärme viel länger gespeichert.

„Als ich das Haus baute stand für mich die Umweltfreundlichkeit an erster Stelle. An zweiter Stelle war der Komfort.“

Der Hausbesitzer erinnert sich, dass er in der Anfangsphase der Errichtung des Hauses Zweifel an dieser Art von Gebäuden hatte:

„Im November, als wir das zweite Geschoss überdacht hatten und die Kälte kam, hatte ich meine Zweifel. Ich schaute auf die Öffnungen in der Wand und meine Ehefrau sagte zu mir: ‚Macht nichts, wenn es sein muss kleben wir alles mit Styropor zu‘. Aber das war dann doch nicht nötig.“

Dmytros Haus hat keine Klimaanlage, denn er meint die Wände würden „atmen“ und eine zusätzliche Abkühlung sei nicht notwendig. Außerdem helfen Wände aus Hanf wirklich beim Sparen: ein Haus mit 150—200 m² kann laut Dmytro mithilfe eines elektrischen Heizkessels für 1000 Hrywna im Monat beheizt werden.

Sehij Kowalenkow sagt, dass die Wärmedämmung aus Hanf außerdem die Luftfeuchtigkeit im Gebäude auf 50—55% stabil halten kann (optimale Luftfeuchtigkeit beträgt 40—60%. — Red.)

„Der Hanfdämmstoff ist in der Lage die Wärme zu speichern und sie später wieder zurückzugeben. Während der Heizkessel heizt, wird die Wärme in den Wänden gespeichert, wird er ausgeschaltet — wird die Wärme zurück ins Gebäudeinnere abgegeben.“

Kuppelhäuser

Einen gesonderten Bereich des Bauens von Wohnhäusern mit geringer Geschoßanzahl stellen Kuppelhäuser dar. Die sphärische Bauweise in ihrer jetzigen Form verbreitete im 20. Jahrhundert der amerikanische Architekt Richard Buckminster Fuller. Ein Bauwerk in Form einer geodätischen Kuppel entsteht dank besonderer Verbindung von Balken und ermöglicht die Erhöhung des Raumvolumens unter Erhaltung des minimalen Eigengewichts der Konstruktion.

Serhij Kowalenkow erzählt, dass Hempire als erstes Unternehmen Wohnhäuser in Kuppelbauweise aus Hanf errichtet hatte und dass sie nun im Ausland gefragt sind.

Einer von ukrainischen Kunden von Hempire, der Besitzer eines Kuppelhauses in Kyjiw, Serhij Bojko, erinnert sich, dass er über ein solches Projekt bereits 2009 nachgedacht hatte. Er arbeitet auch in der Baubranche und hat während seiner ehemaligen Tätigkeit im Verkauf von organischen Lebensmitteln sein Interesse am Umweltschutz entdeckt:

„Ich dachte damals ausschließlich an den gesundheitlichen Aspekt. Ich habe vier Töchter und sie inspirieren mich. Nach einiger Zeit realisierte ich, dass die Form passt, die Wände aber nicht ökologisch sind. So ergab sich die Frage: ‚Wo bekomme ich ein ökologisches Baumaterial her? Alles was ich fand, war auf Zementbasis‘.“

Laut Serhij Bojko bleibt die Temperatur in einem Haus mit einer Wärmedämmung aus Hanf ohne zusätzliches Heizen eine Stunde lang konstant. Die 30 cm starke wärmespeichernde Dämmschicht aus natürlichen Materialien ermöglicht eine Ersparnis bei den Heizkosten.

Serhij Kowalenkow erzählt, dass dieses Projekt einzigartig sei, da hier zwei Technologien zum Einsatz kamen:

„Ein Kuppel wurde aus Polystyrolbeton (eine Art von Leichtbeton — Red.) errichtet und die andere aus Nutzhanf. Das ist ein sehr symbolisches Gebäude, da Serhij ein Bauunternehmen besitzt und als er von unserer Technologie erfuhr baute er die zweite Kuppel unter Verwendung von natürlichen Materialien. Also haben wir ihn quasi auf die gute Seite, die Seite des Hanfes geholt.“

Serhij Bojko erinnert sich, dass das Hanfgemisch teurer als herkömmliche Baumaterialien gewesen ist. Doch trotz der Fragen seiner Freunde: „Warum sollte man mehr bezahlen?“, entschied sich der Hauseigentümer aus der Langzeitperspektive dafür, dieses Material auszuprobieren:

„Aus der Kurzzeitbetrachtung ergeben sich keine Fragen. Aber was ist mit den Kindern? Ich schaffe das noch irgendwie, und was dann? Dann ist das so: Der Vater baut ein gutes Haus, aber aus gewöhnlichen Materialien?“

Diese Geschichte wurde dank der Unterstützung von der Botschaft der Ukraine in Österreich ins Deutsche übersetzt und publiziert.

unterstützt durch

Diese Geschichte wurde dank der Unterstützung von der Botschaft der Ukraine in Österreich ins Deutsche übersetzt und publiziert.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Jana Mohontschuk

Natalija Ponedilok

Redakteurin:

Jewhenija Saposchnykowa

Projektproduzentin:

Karyna Piljugina

Kameramann:

Mychajlo Schelest

Mykola Nossok

Fotograf:

Olexandr Chomenko

Regisseur:

Mykola Nossok

Bildredakteurin:

Kateryna Akwarelna

Transkriptionistin:

Halyna Resnikowa

Anna Lukasewytsch

Polina Bodnaruk

Transkriptionist:

Witalij Krawtschenko

Grafiker:

Kateryna Schmyhol

Content-Managerin:

Kateryna Jusefyk

Übersetzer:

Petro Jurkewych

Übersetzungsredakteurin:

Solomija Hussak

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