Es gibt viele Volksinstrumente, die mit der Zeit vergessen werden und deren Herkunft man manchmal nicht feststellen kann. Wenn niemand sich mit ihrer Anfertigung und Rekonstruktion beschäftigt, besteht die Gefahr, dass sie völlig verloren gehen können. Zu den seltenen Volksinstrumenten zählt man auch das Buhaj, das in der Ukraine erst einige Jahre zum Gesprächsstoff wird. Wie viele Meister es gibt, die die Buhajs anfertigen, ist unbekannt, aber Andrij Lopuschynskyj ist einer von ihnen.
Andrij Lopuschynskyj ist vor 10 Jahren ins Dorf Darjiwka aus Cherson umgezogen, wo er mit seiner Ehefrau 8 Jahre lang gewohnt hat, nachher sind sie aber in die Stadt zurückgekommen. Jetzt wohnt er sowohl in der Stadt, als auch im Dorf. Andrijs Leben ist mit der Geschichte und Museumskunde eng verbunden. 15 Jahre lang arbeitete der Mann beim Chersoner Heimatkundemuseum, jetzt ist er ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Naturschutzgebietes „Chortyzja“, dessen Filiale „Kamjanska Sitsch“ in Tawrija ist. Hier arbeitet er, einen Traum nährend, das Verhältnis von Menschen zu einem Museum als zu einer Aufbewahrungsstelle von alten Dingen zu ändern.
Zum ersten Mal hat der Meister über Buhaj, nicht das Instrument, sondern den Vogel, gerade in Darjiwka erfahren, wo diese Vögel den Fluss Inhulez bewohnen (*der Name des Vogels Rohrdommel und des Volksinstrumentes Buhaj klingen gleich auf Ukrainisch, daher entsteht die Homonymie – Üb.).
„Ich hab’ einmal solch einen Klang, wie Pumpe, gehört. Und das war am frühen Morgen, um 6 Uhr. Ich fragte die Frau danach: ‚Warum macht der Landwirt die Pumpe so früh an? Alle pumpen das Wasser aus dem Fluss‘. Und sie antwortete: ‚Das ist nicht der Landwirt, das ist die Rohrdommel (Buhaj)‘. Ich denke mir: ‚Was ist diese Rohrdommel eigentlich?‘ Sie erklärte, dass die Rohrdommel ein Vogel ist, der im Röhricht lebt. Nachher habe ich im Internet gefunden, dass es wirklich solche Rohrdommel gibt. ‚Nun gut‘ — hab’ ich gedacht und das dann völlig vergessen.“
Es ist schwer, Andrij mit jemandem zu verwechseln. Er trägt einen Oseledez (die traditionelle Frisur der Kosaken – Üb.) und hat einen dichten Schnurrbart, was auch die Assoziationen mit Kosaken hervorruft. Und nicht ohne Grund. Etwa 10 Jahre lang beschäftigt er sich mit historischer Rekonstruktion. Zusammen mit seinen Mitarbeitern und Freunden macht er Kostüme und Alltagsgegenstände der Kosakenzeit. Und vor 7 Jahren hat ein Freund, der Geige spielt, ihm vorgeschlagen, ein Buhaj zu machen.
Andrij wusste damals nur über den Vogel (Rohrdommel – ukr. „Buhaj“ – Üb.), über das Instrument hat er von Bildern und Ausdrücken erfahren. Mit der Erfahrung von Anfertigung der Trommeln und der Halbzeuge von Körpern für die historischen Klubs hinter sich machte der Mann sein erstes Musikinstrument Buhaj. Dabei hatte er keine Ahnung, ob solche Instrumente überhaupt existieren. Er sagt, dass hier kein Geheimnis steckt:
„Man sieht, dass es aus Holz, Eisen und Leder gemacht ist, nimmt also Holz, Eisen, Leder und macht es einfach. Wenn man versteht zu arbeiten, ist die Anweisung nicht nötig. Wenn jemand wissen will, wie es gemacht werden soll, findet er sich selber zurecht, da steckt kein Geheimnis. Man braucht nur einige spezifische Materialien dafür. Das Holz, zum Beispiel, ist leicht zu finden, man kauft das bloß auf dem Markt. Das Leder soll man schon aus einer alten Trommel nehmen oder selber gerben, was schon kompliziert ist.“
Die Materialien fand ich mithilfe der Freunde und durch Zufall. Einst kam zu Andrij ein Freund und brachte eine Tüte mit Rosshaar:
„Zwei Tage lang saß ich und sortierte jedes einzelnes Härchen aus dieser Masse. Man braucht ungefähr 150 Stück, um alles normal zu machen. Im Prinzip ist 1 Härchen schon genug, aber wenn es abreißt, ist dessen Ersatz etwas kompliziert. Deshalb fixiert man üblich ein Bündel, die Haare reißen dabei allmählich mit der Zeit ab. So ist es.“
Gewöhnlich meistern die Musiker dieses Instrument leicht, denn sie haben rhythmisches Gefühl und rhythmische Töne gelingen ihnen sofort. Andrij ist nicht ganz sicher, ob er Buhaj wirklich spielen kann. Er lacht und sagt, dass irgendwelche Töne, einem Vogel im Röhricht ähnlich, gelingen ihm zwar, aber es steht noch in frage, ob man das für wahres Spielen halten kann:
„Gebe einem Menschen eine Sopilka (die Rohrpfeife), dann geht das doch nicht. Oder Mundharmonika. Oder ein anderes Instrument. Und das Buhaj ist ein Instrument, das jeder irgendwie spielen kann. Ich bin kein Musiker selbst. Ich mache diese Instrumente, aber kann nicht behaupten, dass ich sie wirklich beherrsche.“
Buhaj
Buhaj, eine Schnur-Reibtrommel, die zu Friktionsinstrumenten gehört (aus dem Italienischen „frictio“ – die Reibung), in denen die Klänge durch Reibung mit den Fingern auf das Membran oder das Rosshaarbündel (selten auch Pflanzenstängel) erzeugt werden. Man spielt Buhaj mit nassen Fingern, das Rosshaarbündel mit Streicheln ziehend. Die Tonhöhe hängt davon ab, an welcher Stelle des Bündels die Hand stehengeblieben ist. Und der Name des Instrumentes selbst stammt von der Klangfarbe.
Es ist nicht bestimmt bekannt, wann dieses Instrument erschien. Im 19. Jahrhundert benutzte man es in der moldawischen, polnischen, tschechischen und rumänischen Kultur als rituelles Instrument. In der Ukraine wird es am meisten in Transkarpatien als Instrument für Musikbegleitung der Ensembles benutzt. Zeberko, Berbenyzja, Berbenyha, Berbenjatko – das sind andere Namen von Buhaj, je nach der Größe und Konstruktion. Außer den Volksensembles wird es bei Koljadnyky (Weihnachtssänger) für Musikbegleitung eingesetzt. Buhaj kann man im nationalen akademischen Volksmusikorchester der Ukraine, in der nationalen verdienten Kapelle der Banduraspieler der Ukraine und so weiter sehen.
Man begann Buhaj aktiv nach dem Auftritt vom musikalischen Projekt ONUKA im Rahmen der Eurovision 2017 zu besprechen. Gerade damals erschien das Interesse für dieses Instrument mit solch einem komischen Klang. Andrij Lopuschynskyj hatte aber eine Vorliebe für Anfertigung dieses Instrumentes viel früher:
„Lange Zeit wusste ich überhaupt nicht, wer ONUKA war und dass sie Buhaj hatte. Man sagte mir: ‚Weißt du das nicht? Sehe dir ihren Auftritt an‘. Und ich sah, dass es wirklich Buhaj war. Ich denke, dass sie Buhaj vom irgendwelchen Konzertensemble nahm. Mit Rücksicht darauf, dass dieses Instrument dem nationalen Orchester der Ukraine gehört, ist irgendeine Anzahl dieser Instrumente seit der Zeit ihrer Industrieproduktion in den Orchestern erhalten.“
Der Anfertigungsprozess
Der Körper des Instrumentes ist ein konusartiges Fass in Form eines Bechers oder Zylinders aus den Fichtenbrettern mit den Holz- oder Metallringen zusammengezogen.
„Der Körper, sehen Sie, ist hier dicker und hier schon schmäler. Er wird mechanisch gebogen. Dampf setzt man nicht ein, man hobelt nur die Bretter, an einer Stelle macht man sie dicker, und an der anderen – schmäler. Und wenn man all das zusammenzieht, hat dann die dickere Stelle den größeren Durchmesser, und die schmalere – den kleineren. Und diese Metallringe halten all das zusammen.“
Die untere Öffnung des Fasses kann mit dem Fichtenboden bedeckt werden oder einfach offen bleiben. Historische Körper dieses Instrumentes wurden, wie Andrij behauptet, aus Ölfässer gemacht:
„Ich sah ein Foto, auf dem neben dem Sattel eines Reiters solch ein Fass diagonal hing. Das heißt, dass er dieses Öl irgendwohin holte. Die Menschen nahmen schon fertige Fässer und spannten das Leder drauf.“
Die obere Öffnung des Instrumentes wird mit dem Leder bespannt, das mit dem speziellen Ring oder mit den Nägeln fixiert wird. Auf solche Weise wird die Membran gemacht. Am besten passt das Ziegenleder, weil es eines der dünnsten ist. Der Meister kauft es auf dem Zentralmarkt und verarbeitet dann selbst. Er hat das aus entsprechender Literatur erlernt. Er scherzt, dass am besten überhaupt das Hundeleder passt:
„Im Volksmund sagt man, wenn ein Hund bellt: ‚Sei still, sonst mache ich Tamburin aus dir!‘ Die Hunde haben also das beste Fell, so dünn. Ich würde aber die Hunde dazu nie einsetzen. Und das Ziegenfell passt ja gut. Für die Verarbeitung des Leders benutzt Andrij den mit Wasser verdünnten Kalk, in dem er es für drei Tage einweichen lässt. Dann wird die Seite mit Fett gereinigt und bleibt unbedingt auf natürliche Weise austrocknen. Wenn man den Trockner benutzt, kann das Material einfach die Risse bekommen. Das Garleder kann viele Jahre lang aufbewahrt werden. Um Leder, das lange in Verwahrung war, zu benutzen, braucht man es ungefähr für einen Tag wieder auszuweichen.“
Im Mittel der Membran befestigt man das Bündel der Haare aus dem Pferdeschwanz. Im Zentrum der Membran schneidet oder brennt man ein Loch ein, dessen Ränder mit den leichten Leder- oder Metallscheiben verstärkt werden. Durch dieses Loch zieht man von innen die Haare, die mit den Knoten von beiden Seiten der Membran befestigt werden. Für Lederscheiben benutzt Andrij den Schuhzwirn, mit dem man das Oberleder an die Sohle annäht.
Der Schwanz soll immer nass sein, sonst macht man keinen Knoten aus ihm. Dazu benutzt der Meister gewöhnliches Wasser, keinen Kwass (*ein kaltes Getränk aus dem slawischen Raum, das durch Gärung aus Brot hergestellt wird.) oder Bier, wie es früher üblich war. Er sagt, dass die Qualität von Kwass und Bier nicht mehr so wie einst ist. Er benutzt das Haar von mongolischen Pferden, das auch ein Bestandteil der Geigenbögen ist. Für Buhaj ist es wichtig, gerade das Haar eines Hengstes statt einer Stute zu benutzen:
„Das ist kein Vorurteil, es ist wirklich besser. Das ist kein Sexismus. Ein Hengst uriniert nach vorne und macht den Schwanz dabei nicht nass. Sein Haar ist deshalb hochwertiger.“
Die Größe dieser Fässer kann unterschiedlich sein. Ein kleines Buhaj hat den Körper mit der Höhe von 350 bis 400 mm und dem Durchmesser einer Membran von 180 bis 200 mm. Die Höhe der großen Instrumente beträgt 700 bis 900 mm und der Durchmesser – 250 mm und mehr. Die Größe des Körpers beeinflusst den Klang nicht, wichtigere Rolle spielt hier der Durchmesser. Andrij erzählt, dass es früher nur zwei Größen der Fässer gab – klein und groß, weil man schon die vorgefertigten Fässer einsetzte. Der Mann hat den Traum, das große Buhaj mit Durchmesser bis 1 Meter zu machen.
Die Hauptquelle des Klanges ist im Buhaj die Membran. Sie dient als Lautsprecher: Sie gibt die Vibration über und erzeugt auf solche Weise den Klang. Um die Vibration zu bekommen, braucht man den Schwanz. Man kann auch einen Maisstängel benutzen, aber er wird schnell austrocknen und brechen. Viele Menschen denken, dass der Schwanz den Klang erzeugt, diese Meinung ist aber fehlerhaft:
„Wenn der Schwanz mit der Hand gestreichelt wird, ergibt sich die Vibration. Man zieht ihn an und er kommt zurück. Das ist eine Art von Kampf: die Kraft einer Hand hebt die Membran auf und sie rutscht. Dieses Haar ist nicht auszureißen, sondern zu ziehen. Man zieht sie nach oben und die Membran kommt zurück. Dieses Auf und Ab gibt uns gerade den Klang.“
Andrij erzählt, dass er seine Nachbarn erschreckte, als er den Klang in der Garage prüfte. Sie dachten dann, dass es donnerte. Als er den zweiten Mal das machte, versteckte er sich schon in der Sommerküche, dann aber begannen die Hunde zu bellen. Eben deshalb macht der Mann die letzten Etappen der Arbeit und Prüfung des Klanges zu Hause in Cherson, im Dorf arbeitet er meistens mit Leder und Brettern. Er erzählt, dass man in Cherson und Darjiwka schon weiß, wie dieses Instrument eingesetzt werden soll:
„Obwohl dieses Instrument auf der Staatsebene als Volksinstrument anerkannt wird, kennen die Leute es nicht, sie denken, dass es etwas afrikanisches ist. Wie man damit spielt, wissen auch nur ganz wenige. Dank der Bildungstätigkeit in Cherson, im Laufe deren wir die Gelegenheit bieten, dieses Instrument zu spielen, wissen die Menschen schon, wie es überhaupt darauf gespielt werden soll. Andernfalls schlagen sie es, wie eine Trommel, und verstehen ja nicht, wozu man diesen Schwanz überhaupt braucht.“
Die Geografie von Buhaji
Andrij macht die Instrumente nur auf Bestellung, insgesamt gibt es jetzt elf. Das erste war für den Freund, das zweite bestellte der Professor für Botanik, er wollte die Hymne der Ukraine auf Buhaj spielen lernen. Populär sind die Buhaji des Meisters auch in der Theatergemeinschaft. Ein Instrument, das der Mann „auf Vorrat“ gemacht hat, geriet auf die erste Aufführung:
„Meine Freunde, die Musiker und Theaterliebhaber, beschlossen, eine Aufführung mit Titel ‚Elefant‘ zu veranstalten. Das Buhaj war groß und in Form eines Zylinders, dem Elefantenbein ähnlich. Ihnen hat der Klang einfach gefallen und sie haben gebeten, ihm für die Aufführung zu haben. Und jetzt ist es schon ungefähr 3 Jahre, als dieses Instrument in den Gastspielen eingesetzt wird.“
Nach kurzer Zeit empfahlen die Freunde des Meisters das Buhaj ihren Freunden aus der Theatergemeinschaft in Kyjiw, die es seitdem in ihre Gastspielreisen nehmen. In Chersoner Kulturfachschule gibt es auch ein Buhaj, das Andrij geschenkt hat. Die ersten fünf Buhajs hat Andrij tatsächlich für seine Bekannten gemacht. Mehr Bestellungen bekam er, als das lokale Fernsehen ein Video über den Meister, der ungewöhnliche Instrumente macht, gefilmt hat:
„Seitdem hab’ ich die Ruhe verloren. Die Menschen begannen, mit den Anfragen nach Buhajs im Internet zu schreiben. Ein Buhaj fuhr nach Schepetiwka, dort gibt es eine Kindertheatergruppe, das andere fuhr nach Großbritannien – das war das kleinste von allen. Es sollte weit fahren, deshalb wollte man das kleine haben.“
Ein weiteres großes Buhaj reiste nach Kanada. Der Mann erzählt, dass er immer fragt, wozu man dieses Instrument braucht. Abhängig davon, ob man das einfach für sich oder als Geschenk kauft, kann er dekorative Elemente hinzufügen. Der Preis hängt auch von der Größe des Instrumentes ab. Für Andrij geht es hier nicht um Verdienst, sondern um eine neue und interessante Beschäftigung:
„Ich machte sie nie mit dem Ziel, das Geld zu verdienen. Und als man mich aus Großbritannien angerufen hat, nach einem kleinen Buhaj fragend, sagte ich: ‚Nun ja, das kleine wird etwa zweihundert Hrywnja kosten‘. Am anderen Ende der Leitung lachte man lange. Ehrlich gesagt, bin ich nicht bestrebt, so viele Instrumente zu machen und sie zu verkaufen. Aber wenn die Menschen mir schreiben, dass sie es brauchen, muss ich irgendwie helfen.“
Jede Bestellung ist für Andrij eigenartige Herausforderung. Erstens, bestellt man häufig für ein bestimmtes Ereignis und er ist also zeitlich begrenzt. Und zweitens, bietet man manchmal etwas zu machen, was er früher nie gemacht hat:
„Man findet im Internet irgendein Buhaj, ein Museumsexponat, das ich noch nie gemacht habe. Zum Beispiel, wie dieses, mit solchem Körper. Als ich diese Arbeit ausführte, wusste ich noch nicht, ob ich es mir gelingen würde. Das ist sehr interessant, denn ich weiß, dass jemand es schon gemacht hat, dass er, genauso wie ich, zwei Hände und einen Kopf hat. Das Wichtigste ist, selbstverständlich nicht die Hände, sondern der Kopf. Man spricht gewöhnlich über geschickte Hände. In Wirklichkeit aber steckt das Geheimnis doch im hellen Kopf.“