Das Dorf Kalyny in Tjatschiwer Rajon kann als typisches transkarpatisches Dorf bezeichnet werden. Die Einheimischen beschäftigen sich hier hauptsächlich mit der Holzverarbeitung und mit dem Sammeln von Heidelbeeren zum Verkauf. Aber es gibt einen Ort in Kalyny und einen Mann, der dieses Dorf einzigartig macht und immer mehr Touristen anzieht.
Im Jahre 2005 schuf Juri Kuzin ein ungewöhnliches ethnographisches Museum in Kalyny. Jeder will was Exotisches erleben, ohne Grenzen zu überschreiten, so kann man dann hier die Atmosphäre der Tropen erleben oder nach Japan reisen, und die Geschichten des Museum-Eigentümers über seine Reisen in ferne Länder hören. Im Museumsgarten wächst ein Zitronenbaum, und im Frühling ist das Land unter japanischem Sakura mit rosa Blütenblättern gesäumt.
Ein One-Man-Museum
Eine neue Art von Tourismus gewinnt an Bedeutung weltweit – immer mehr Menschen sind davon begeistert, die lokalen Erfahrungen zu sammeln, sich mit der lokalen Bevölkerung bekannt zu machen, zu sehen, was sie leben, arbeiten und wie die sich erholen. Das heißt, aus eigenen Erfahrungen das Land kennen lernen. In diesem Zusammenhang gibt es sogenannte One-Man-Museen. Ein solches Format des Museums einer Person erlaubt es, dass gewöhnliche Menschen, oft bloß zu Hause, thematische oder Kunstausstellungen schaffen und Touristen dorthin führen.
Zum Beispiel, sammelte ein Singaporer Koh Nguang How eine Sammlung von über 1 Mio kultureller Artefakte aus Südostasien und platzierte sie in seiner eigenen Wohnung.
Eine andere Art davon ist ein thematisches Museum, so, zum Beispiel, ist das Museum vom Rentner Charles Evans, der in den USA lebt. Nach dem Tod seiner Frau im Jahre 2011 beschloss der Mann, das Museum zu ihrem Ehren zu bauen. Die Exposition besteht aus gemeinsamen Fotos, Sachen und Musikplatten, zu den das Ehepaar einst getanzt hat.
Solche Museen inspirieren viele Menschen dazu, Hunderte von Kilometern zu überwinden, um die Geschichte der Eigentümer zu hören und die einzigartige Energie des Ortes zu erleben. So ist es nicht verwunderlich, dass das ethnographische Museum von Juri Kuzin auch bei Ausländern beliebt ist.
Juri
Juri Kuzin erzählt die Geschichte seines Lebens so, als ob es ein Anekdote oder eine lustige Fabel wäre. Wenn nicht Fotos und Souvenirs, aus fernen Ländern gebracht, wäre es schwer zu glauben, dass dieser Opa aus einem Bergdorf seiner Zeit in 15 Jahren 76 Länder bereist hat und sogar mal ein Teil der sowjetischen Intelligenz gewesen war:
„Es war mal in Moskau, dass es beim Abflug Minus 25 Grad Frost war, ich war in der Nacht in Delhi und dort war es schon Plus 42 Grad Hitze bei der Ankunft. Ich fuhr nach Süden, wie man nach Odessa hier reist, nach Madras, und dort war es Plus 56 Grad Hitze. Und ich ging nach Kalkutta (Kolkata – Aut.) — dort am Flughafen gab es damals einen Krieg, alle mit Schusswaffen. Wir wurden dort von der Polizei unter der Betontreppe reingebracht und überwacht.“
Alle Lebensgeschichten von Juri sind wahr und unzensiert:
„Ich war bei drei Hochzeiten in Indien: bei den Reichen, bei der Mittelklasse und bei den Armen. Da wurde ich von einer indischen Dame so umgearmt, dass ich so tausend Volt durch meinen Körper laufen spürte!“.
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Vor drei Jahren haben die Kuzins ihre goldene Hochzeit mit dem ganzen Bezirk laut gefeiert. Juri erzählt gerne eine Geschichte, wie sorgfältig er seine Frau gewählt hat. Er hat sich Mädchen aus vier benachbarten Dörfern angeschaut, aber schließlich hörte er seiner Mutter zu. Das Ehepaar sammelt Kräuter im Gebirge, aus denen sie Karpaten-Tee nach ihrem eigenen Rezept machen. Die Kuzins sind auch bei der Imkerei tätig. Ihre Bienenstöcke können auch sicher als Exponate des Museums betrachtet werden:
„Das ist so ein Bienenstock, den weder in der Ukraine noch in Europa jemand hat. Er ist so wie ein Kloster: Dort leben zwei Familien. Und das ist eine Imkerei für 100 Familien. Im Allgemeinen gibt es keinen Unterschied, nur eine andere Form. Schwingen Sie Ihre Hände nicht, die beißen. Sie müssen dann 10 Hrywnja für einen Biss zahlen: ein Impfstoff, eine Spritze, eine Krankenschwester – alles ist dabei inkludiert.“
Juri Kuzin ist gerne Nummer eins überall. Als erster im Dorf hat Juri „Schiguli Sieben“ erworben. Als der Ho-Chi-Minh-Flughafen in Vietnam und das KKW Buschehr im Iran gebaut wurden, war er als Baumeister auch dort. Als die maltesische Botschaft einen Rundfunk-Fachmann benötigte, ging Juri auch dorthin:
„Das sind Fotos, wo ich war, welche Länder ich besucht habe. Überall wo ich war, von Moskau bis… Mit Breschnew, dann half ich beim Kommunismusaufbau. Und mit Gorbatschow habe ich zum Kommunismusende beigetragen.“
Die Kommunikationserfahrungen mit älteren Menschen zeigen, dass diejenigen, die einst mit sowjetischen Geheimnissen Vertraut wurden, selten die damit verbundenen Geschichten teilen. Die Macht der Propaganda und die Angst vor System machen es schwierig sogar jetzt, nach mehr als einem Vierteljahrhundert, darüber zu reden. Juri ist aber sehr offen, macht viele Witze und scheint alles so zu erzählen, wie es war:
„Im Dorf bin ich Juri Iwanowitsch. Im ukrainischen Pass habe ich den Namen Georgij Januschowytsch, und in Moskau habe ich zwei ausländische Pässe. Ich bin Cäsar Maricone dort. Also keine Kritik an mich bitte. Ich habe hier ein Geheimtelefon auch zu Hause.“
Von seinen Auslandsreisen brachte Juri Kuzin einige Souvenirs auf einmal, obwohl er zu dieser Zeit wenig Geld für Ausgaben hatte: 58 Dollar für 5 Länder. Einmal schaffte ich es, meiner Frau eine Ikone und einen Diamantenring zu bringen, und ein anderes Mal – die leichten Kräuterdrogen:
„Ich kaute die und gab meinen Freunden. Er gab seinem Chef, er kaute diese und ging nach Hause. Die Frau kam nach der Arbeit und fragte: ‚Was hast du getrunken?‘ – ‚Nein, spinnst du?‘ – ‚Warum lügst du denn?!‘ Dann kommt er zur Arbeit und fragt: ‚Was war denn das, Juri Iwanowitsch? Ich bin so fröhlich, ich bin so lebhaft‘. Und ich sagte ‚Drogen‘. Er hatte dann Angst.“
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Schon jetzt, Jahrzehnten später, erinnert er sich voller Enthusiasmus an eine andere Geschichte, die schon lange und weit weg ist, Tausende von Kilometern von Kalyny entfernt:
„In der Nähe des Sees ging ich einfach so vorbei und sah: Sechs Amerikaner kommen. Ich erkannte sie nach ihren Baretts und amerikanischen Fahnen. Und ich ging ohne Wache dorthin, aber ich hatte kein Recht, ohne zusätzlichen Schutz die Botschaft zu verlassen. Als ich sie sah, wurde es mir klar, dass ich Probleme haben könnte. In der Nähe gab es einen See und im See wuchsen grüne Butter, so breit. Ich konnte mich nicht verstecken, und ich sprang ins Wasser, und da drinnen gab es Schlamm. Ich riss eine Butter und bedeckte meinen Kopf, nahm sie in meinen Mund. Sie gingen leise weiter, zum Glück bemerkten sie mich nicht. Ein Vietnamese (nicht weit war sein Haus) sah diese Episode von Ferne. Als die Amerikaner gegangen sind, wollte ich raus, konnte aber nicht: Meine Füße saugten tief in Schlamm. Dann kam der Vietnamese, gab mir einen Bambusstock, zog mich raus und führte mich zu seinem Haus. Ich könnte mich waschen, meine Kleidung trocknen, und sofort die Botschaft anrufen, um das Auto zu holen, und ich wurde dann abgeholt.“
Das Abenteurertum und die Furchtlosigkeit sind die ersten Worte, die nach den Geschichten von Juri in den Sinn kommen. Auch jetzt, obwohl mehr und mehr geistlich, ist er bereit, die Berge zu versetzen:
„Vor nichts habe ich Angst, nur vor dem Gott. Jetzt bin ich seit 20 Jahren wieder da, ich wurde schon 5 Mal operiert: Mein Hüftgelenk wurde getauscht. Und davor hatte ich ebenso keine Angst: in Paris ertappte ich einen schwarzen Mann auf frischer Tat. Er stahl Dollar von einer russischen Frau. Ich stand ein bisschen weiter und sah, wie dieser Dieb seine Hand in ihre Tasche steckte und erst vom zweiten Mal das Erwünschte auszog. Das sah ich. Die Dollar nahm ich nicht, aber ich griff seine Hände und sagte auf Russisch: ‚Mädchen, nimm deine Dollar weg!‘.“
Das Museum in Kalyny
Die Geschichte von Juri ist auch ein Beispiel für ideologische Flexibilität. Trotz seiner Integration in das sowjetische System werdet ihr von ihm keine Klagen über moderne Politik hören. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kehrte er nach Hause zurück und machte weiter, was er am besten konnte, und zwar: bauen.
Es gibt keine Sentimente über sowjetische Symbole bei Juri Kuzin, obwohl die symbolische und mythologische Abhängigkeit von der Entkommunisierung gewöhnlich darin besteht, das Schwierigste loszuwerden:
„Dies ist das Wappen der Ukraine. Und auf der anderen Seite stand ein Wappen mit Hammer und Sichel, das russische. Eines Tages kam ein Tourist zu mir und sagte: ‚Es ist nicht Hammer und Sichel, es ist Tod und Hunger‘. Dann ging ich am Abend schlafen und ich dachte: ‚Der Mann hat aber recht!‘. Als Lenin die Union startete, war die Revolution ungefähr zur gleichen Zeit, und in jedes Haus kamen auch Hunger und Tod. Der Mann hat richtig gesagt. Und ich erzähle schon so meinen Touristen, dass es Tod und Hunger ist.“
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Neben dem Emblem von „Tod und Hunger“ kann man im Museum eine völlig unerwartete Sache sehen – ein holzgeschnitztes Gemälde, das den indischen Taj Mahal darstellt. In seiner freien Zeit bastelte Juri auch gerne mit Holz und malte. Im Museum stellte Juri nur einige von seinen Gemälden aus: das Bild der Jungfrau Maria, die Landschaften von Indien und von Kaukasus. Viele Gemälde, so Juri, gingen ins Ausland. Und Materialien für die Arbeit waren ganz unterschiedlich: Mahagoni, Buche, Schafgarbe, Walnuss, Linde. Sie geben Bildern ganz einzigartige Farbtöne.
Am Eingang des Museums gibt es mehrere Holzskulpturen, darunter – Karpatenräuber, Opryschok Pintjo Chruschtsch. Es gibt eine Mühle, die noch funktioniert, und hier ist eine Berghütte aus Transkarpatien, die laut Juri Ende des 18. Jahrhunderts erbaut wurde. Unter anderen Exponaten: eine Sammlung von Nationaltracht, Waffen von Opryschky, Haushaltsgegenstände, alte Musikinstrumente, insbesondere Trembita. Der Besitzer hat mehr als 4.000 Artikel im Museum. Und alle haben ihre eigene Geschichte. Juri zeigt uns ein kleines Objekt, das nicht nach einem altem Huzul- oder Boyko-Artefakten aussieht:
„Es ist ein Barometer, das eine Woche im Voraus zeigt. Schau, hier ist die Flüssigkeit beweglich. Hier sind drei Anteile der Flüssigkeit. Ich werde nichts mehr sagen. Das ist ein Geheimnis. Eine davon bewegt sich beim guten Wetter. Wenn sie hochgeht, wird es heftige Regenfälle geben. Sie scheint sogar, von oben rauszufließen. Bei klarem Wetter geht sie unter. Das ist eine Erfindung von mir.“
So haben wir unerwartet gelernt, dass der Beruf „Baumeister“ und das Hobby „Künstler“ zum Titel „Erfinder“ hinzugefügt werden können. In der Tat ist es so, nachdem man einige Zeit an diesem Ort verbracht hat, wenn man auf dem Tisch eine Erfindung des Museum-Besitzers sehen kann und an der Wand hängen indische Landschaften und im Garten wächst Afrikanischer Knoblauch, kann man nicht mehr überrascht werden.
Das Museum von Juri Kuzin ist ein lebender Organismus. Hier herrscht die Arbeitsatmosphäre, nichts liegt einfach so, es gibt keinen Staub. Die Person schafft hier eine besondere Atmosphäre, und Sachen und Geschichten ergänzen die.