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Die Stadt Cherson liegt am rechten Ufer des Flusses Dnipro im Süden der Ukraine. Historisch betrachtet ist es die Stadt der Schiffe und Seeleute, in der die Schwarzmeerflotte ihren Ursprung hat. Heutzutage ist es ein recht großer See- und Flusshafen am Dnipro. Hier hängt generell viel mit Wasser zusammen. Es scheint, Wasser wäre eine Sehenswürdigkeit, ein Haupterholungsraum, eine Hilfe im Job, der beste Freund für Kinder und Erwachsene. Hier gibt es sogar ein Wassertaxi und zum Pilzesammeln wird hier nicht mit einem Auto, sondern mit einem Segelboot gefahren. Junge Segler werden von einer Chersoner Familie betreut: Vater, Mutter und zwei Töchter sind Trainer einer Segelschule auf einer Insel in Cherson.

Segeln ist eine junge Sportart in der Ukraine. Erst 2000 wurde der Segel-Verband der Kyjiwer Oblast gegründet, und nachher auch der Segelverband der Ukraine. In verschiedenen Städten des Landes wurden Ausbildungsstätte für Segelsport eröffnet. Trainiert werden die ukrainischen Segler im Kyjiwer Meer, einem Stausee bei Kyjiw, sowie im Schwarzen und Asowschen Meer. Dort werden auch Sportwettkämpfe durchgeführt. Seit über 10 Jahren finden in der Ukraine internationale Wettkämpfe mit Teilnehmern aus unterschiedlichen Ländern statt. Cherson ist eines der Zentren für Segeln in der Ukraine.

Laryssa

Laryssa Schyschka und ihr Mann sind Gründer und Trainer der Segelschule auf einer Insel in Cherson. Als Trainer in diesem Sportclub sind beide ihre Töchter tätig. Laryssa erinnert sich, wie sie zu dieser Tätigkeit kam:

„Ich habe einen Segler geheiratet und das war es. Damit hat es sich erledigt. Wir haben eine sehr große Kreuzeryacht aber zurzeit ist sie am Bootssteg angelegt. Ich musste lernen. Und das ist interessant, denn man lernt nie aus. Ich lernte, wir waren segeln, am Anfang hatte ich Angst, aber nach einer Weile habe ich es hingekriegt.“

Das war in den 80er Jahren. Und in den 90ern ist alles verschwunden – Trainingsstätten wurden nach und nach verkauft, beraubt. In Nowa Kachowka beispielsweise wurde alles zerhackt und weggebracht. Demzufolge hat Laryssa mit ihrem Mann erst 2005 selbst das Zentrum für Segelsport an der Schule wiederaufgebaut.

„Mein Mann hat schon immer Kinder trainiert und zwar ohne Gehalt, ohne jegliche Unterstützung. Wir hatten andere Jobs aber trainierten Kinder weiter… Zehn Jahre lang ,kämpften‘ wir für das Zentrum für Segeln, damit zumindest die Trainer bezahlt werden können. Und als wir angefangen haben, Trainer zu engagieren, hat es sich festgestellt, dass es keine Trainer für Segelsport gab. Da musste ich es lernen.“

An der Stelle der heutigen Segelschule war früher eine Bootshalle für Renovierung und Bau der Ruderboote. Laryssa und ihr Mann haben mit Unterstützung von Eltern und Trainern hier alles selbst neu eingerichtet. Sie haben selbst eine Hobelbank gebaut, wo Boote renoviert und zum Fahren fertiggestellt werden:

„Gestern habe ich ein Boot zum Fahren bereitgestellt, nun kann es zu Wasser gelassen werden. Denn zuvor war es nicht nutzungsfähig. Daher habe ich gestern geschraubt, mit dem Winkelschleifer Schrauben abgesägt, neuen Beschlag angebracht – nun funktioniert alles. Nun kann ein Kind mit dem Boot durchs Wasser fahren.“

Segelschule

Die Segelschule in Cherson ist ein Trost für viele Kinder und ihre Eltern. Hier segelt man, fährt Kanu und Kajak. Das ist ein wundervoller Ort, dessen Schönheit beeindruckt:

„Den Dnipro lang zu fahren ist sehr interessant – Mündungsgebiet, schöne Natur, kleine Wasserarme zwischen Seen und Flüssen…Vögel zwitschern, es ist wunderschön. Und wenn sich dann noch Fische fangen lassen, das ist der Hammer!“

Zurzeit hat die Schule circa 30 Schüler. Sie müssen selbstverständlich betreut werden, auf Disziplin darf man nicht verzichten. Segeln bedeutet Adrenalin, Spaß, aber Sicherheit zuerst:

„Unsere Regel Nummer 1 besagt: Ohne Rettungsweste geht niemand aufs Wasser. Rettungsweste vergessen – 100 Liegestützen.“

Auf dem Wasser gelten eigene Regeln, an die sich alle Trainer und Schüler halten müssen. Für Sportwettbewerbe gibt es spezielle Anweisungen:

„Gestern wurden mir aus Kyjiw zehn Hefte mit Vorschriften zugeschickt. Sie umfassen Regeln für Sportler, für Richter – internationale Regeln, an die sich Menschen halten…Wie auf den Straßen gibt es Verkehrsregeln, so auch auf dem Wasser.“

Schüler besuchen die Segelschule nicht nur in den warmen Jahreszeiten. Viele beginnen schon im März, entfernen Eis vom Ufer, räumen… Sinken die Temperaturen im Winter nicht auf unter 0 Grad, so kann man auch in warmen Winterklamotten segeln. Das Wichtigste ist, dass man einen Ort hat, wo man sich nachher wärmen und einen warmen Tee trinken kann.

Segeln ist eine vielseitige Sportart, die sowie körperliche, als auch mentale Entwicklung von Kindern fördert. Zudem zeigen Chersoner Sportler Erfolge auf der internationalen Ebene:

„Das ist schön und gesund. Kinder, die segeln, kennen sich mit Physik, Mathe, Geometrie – allem möglichen – aus. Alle unseren Sportler haben eine akademische Ausbildung bekommen. Zahlreiche Sportler sind zu Meistern des Sports und Kandidaten zum Meister des Sports (ukrainische Sporttiteln) geworden. Die ersten ukrainischen Teilnehmer bei Olympischen Spielen waren Sportler aus Cherson: Sofia Laritschewa, Pascha Babytsch in Singapur 2010. In China 2014 war unser Trainer Oleksandr Blummer, der in Odessa eine Weltmeisterin trainiert hat.“

Zudem fördert diese Sportart Allgemeinentwicklung des Kindes, bringt ihm Ordnung und Disziplin, Freundschaft und Teamarbeit bei:

„Wenn wir einen Ausflug in die Natur machen – wir haben noch eine große Kreuzeryacht – sind wir eine Woche oder zehn Tage im Mündungsgebiet des Dnipros unterwegs. Mit Übernachtung und Lagerfeuer. Kinder lernen kochen. Einige Eltern rufen nach solchen Ausflügen an, besonders Eltern von Jungs, und sagen: ,Laryssa Wassyliwna, vielen lieben Dank dafür, dass Sie unseren Kindern beigebracht haben, wie man Kartoffeln schält‘. Es scheint, einige Kinder wussten nicht mal, dass Kartoffeln vor der Suppe geschält werden müssen. Und dass sie nicht in einem Laden wachsen, sondern eben so…“

Die Segelschule hat eigene kleine Traditionen. Jeden Herbst segeln sie zusammen Pilze sammeln:

„Es gibt eine Stelle, im Bezirk Goloprystanski, da gibt es einen großen See, die Yacht kann direkt am Ufer angelegt werden. Wir legen das Boot mit dem Bug ans Ufer an und gehen in den Wald Pilze sammeln, am Abend – Lagerfeuer. Dabei geht es uns nicht so sehr um die Pilze. Kinder toben sich aus, schreien sich aus. Mal ist eine Mutter mit uns mitgekommen und meinte: ,Gott, wie können Sie dieses Geschrei aushalten?‘. Ich sage nur: ,Und wo sonst dürfen die Kinder laut werden? Auf den Straßen darf man es nicht, in der Schule auch nicht, hier können sie aber herumschreien, wir sind doch im Wald‘.“

Kinder haben gewöhnlicherweise Dienste – sie decken den Tisch, spülen ab, putzen, räumen auf, legen Lagerfeuer an. Zudem wissen Sie, man darf kein Müll liegen lassen, von klein auf wissen sie aufzuräumen. Jedem Kind ist bewusst, dass sein Boot gepflegt werden muss. Denn ein gut gepflegtes Boot dient länger und lässt sich später teurer verkaufen:

„Kinder erlernen den Aufbau des Bootes und die Bezeichnungen für alle seemännischen Begriffe. Sie müssen das alles auswendig können, denn wenn man auf dem Wasser Anweisungen gibt, müssen die Kinder verstehen, was von ihnen verlangt wird und welches Manöver ausgeführt werden muss.“

Laut der Trainerin beginnen viele Kinder und Eltern viel zu spät an Sport zu denken. Ein großer Anteil der Kinder beginnen erst mit 16-18 Jahren zu segeln. Allerdings um mit großen Booten fahren zu können, müssen Jugendliche bestimmte Vorbereitung durchgemacht und schon einige Erfahrungen gesammelt haben. Oft kommen sie auch nur für ein Saison – für den Sommer.

Kinder, Trainer und Eltern im Segelclub sind eine große Familie. Sie helfen und unterstützen die Schüler, die sich kein eigenes Boot leisten können. Sie kaufen ein Boot und leihen es für Fahrten und Wettbewerbe für diejenige aus, die kein eigenes Boot haben. Sie unterstützen einander gegenseitig auch mit Autos, wenn Boote transportiert werden müssen. Sie trainieren zusammen, aber auch verbringen gemeinsam ihre Freizeit. Kinder bringen den Eltern auch etwas bei, beispielsweise, wie man Spiele spielt und wie man sich amüsiert:

„Sie können es sich nicht vorstellen, wie lustig es mit ihnen ist. Da platzt einer vor Lachen. Kinder sind generell witzig.“

Herausforderungen

Leider stehen die Schule und die Trainer vor großen Herausforderungen. Mehrere Jahre versucht Lasyssa mit dem Team das Thema ins Blickfeld der lokalen Verwaltung sowie der Öffentlichkeit zu rücken, um zu verdeutlichen, wie wichtig ist es, Kindersport, unter anderem auch Segelsport, zu entwickeln:

„In die Sportart muss viel Geld investiert werden, um ein gutes Sportzentrum aufzubauen. Aber unsere Gebietsverwaltung unterstützt das nicht. Diese Anlage wurde noch zu Sowjetzeiten gebaut… Wie gesagt, würdest du eine Million gewinnen, was würdest du mit dem Geld tun? Schulden zurückgeben, alles andere kann warten. Also ich würde das Geld lieber hier anlegen, würde ein großartiges Sportzentrum für Rudersport und Segeln ausbauen. Das wäre wundervoll. Das Territorium ist perfekt, die Wasserfläche ist ausgezeichnet.“

Keine Finanzierung und die „Jagd“ auf die Grundstücke am Uferstreifen zeigen sich:

„Geplant war einen Yachtclub zu gründen, sich den Platz zu sichern, aber wie immer kein Geld erhalten. Dafür ist in einem halben Jahr ein Restaurant am Wasser entstanden. Für alle – Erholungsgebiet 100 Meter, aber Yachtclub für Kinder – nein.“

Wegen des niedrigen Gehalts wollen Männer als Trainer in solchen Sportclubs nicht arbeiten:

„Unter den ukrainischen Trainern wird gesagt, dass ein Trainer im Segelsport wie eine dressierte Giraffe ist. Haben Sie mal eine dressierte Giraffe gesehen? Nein. So kann man Trainer im Segeln an den Fingern einer Hand aufzählen.“
Dennoch arbeiten die beiden Töchter von Laryssa Schyschka, Oleksandra und Jewhenija Blummer, als Trainerinnen in dieser Segelschule.

Es gibt viele Eltern, die sich kein Boot anschaffen können. In solchen Fällen benötigen wir Gelder für den Ausbau des Bootsbestandes. Laryssa macht sich Sorgen für die Kinder, die gesetzlich nicht geschützt sind.

„Das schneidet mir ins Herz! Verstehen Sie, schneidet mir ins Herz. Es ist sehr bitter und schmerzhaft, wenn ein erwachsener Mann kommt und sagt: ,Hey, Kleiner, würdest du nicht aus diesem Grundstück ausweichen?‘. Verstehen Sie? Und niemand nimmt diese Kinder in Schutz, und sie können sich selbst nicht beschützen.“

Träume

Die beste Lösung wäre einen privaten Förderer zu finden. Aber Menschen sind noch nicht bereit, in solche Projekte zu investieren:

„Früher bin ich mit Briefen rumgegangen. Ich bin durch die ganze Stadt gelaufen – in Banken, in Büros dieses und jenes Unternehmens, ich komme mit einer Bitte vorbei, zeige Fotos von Kindern… Ja, sieht schön und interessant aus, aber wir sind nicht interessiert.“

Laryssa, ihr Ehemann und Töchter üben ihre Tätigkeit mit großer Begeisterung aus. Sie sind sich sicher, das Wichtigste ist es, alles mit Liebe zu tun. Die Familie träumt davon, ein großes Zentrum für Segelsport in Cherson zu gründen. Die Chersoner Region hat einen großen Vorteil für diese Sportart, denn die Temperaturen sinken hier fast nie auf unter 0 Grad. Das ist ein zusätzlicher Impuls für die Entwicklung dieser Sportart:

„Es gibt Wasser, alles hat die Natur für Segelsport geschaffen. Nun die Realität ist, wie sie ist.“

Diese Geschichte wurde dank der Unterstützung von der Botschaft der Ukraine in Österreich ins Deutsche übersetzt und publiziert.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Olena Iwaschenko

Redakteurin:

Tetjana Rodionowa

Projektproduzentin:

Olha Schor

Fotografin:

Alina Kondratenko

Kameramann:

Pawlo Paschko

Oleksandr Sloboda

Filmeditorin:

Anna Kondratjuk

Regisseur:

Mykola Nossok

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

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