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Die Geschichte dieser kleinen sozialen Initiative in Transkarpatien inspiriert und gibt Hoffnung. Es ist eine Geschichte, wie sie in vielen Dörfern und Städten passieren könnte. Unglaublich Vieles entsteht momentan in der modernen Ukraine aus der Asche des Alten, und auch diese Geschichte handelt von einer Transformation. Die Umwandlung eines alten Gebäudes in eine neue Geschäftsidee, die geeignet ist, die Dorfbewohner zu vereinen und aus alten Traditionen letztlich ein attraktives Angebot für  Touristen zu machen, das Gewinn abwirft. Für eine erfolgreiche Transformation dieser Art gibt es in der Ukraine nicht viele Beispiele. Meistens lässt man hierzulande die Spuren der Vergangenheit leider komplett verschwinden, um dann an ihrer Stelle etwas neues, dann aber völlig ohne historischen Hintergrund, bauen zu können.

Alissa Smyrna und ihr Mann Vitalij, den wir leider nicht zu Hause getroffen  haben, bieten seit geraumer Zeit Radtouren durch die Karpaten an. So erkannten sie schon bald, dass man das mit ihrer eigenen Touristenunterkunft ergänzen konnte. In ihrem Besitz befand sich eine alte Getreidescheune der ehemaligen Dorfkolchose von Dubrynytschi im Rayon Peretschyn, Transkarpatien. Im Erdgeschoß richteten sie einen großen Raum her, der für Feste, Hochzeiten oder als Frühstücksraum der Übernachtungsgäste im ersten Stock genutzt wird. Übernachtet wird dort in einem komfortablen Matratzenlager. Draußen im Garten  wurde eine Sommerdusche gebaut. Nun heißt das Ganze Bed&Bike  Hostel „Dobra Nuc“ (Gute Nacht), nach dem Dorf Dubrynytschi.

Wir hatten eigentlich keine besonderen Vorstellungen, was uns in diesem ganz normalen transkarpatischen Dorf erwarten würde, als uns  die Besitzerin Alissa mit ihrem kleinen Hund empfing.

„Das ist Irokes, er bellt nur. Er verträgt sich eigentlich mit jedem, außer mit Kindern. Kinder mag er nicht. Er hält sie für Konkurrenten. Stattdessen hat er eine besondere Schwäche für bärtige Männer.“

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Von Mai bis Oktober werden hier mit Freude schmutzige und müde Wanderer, Radler und Rucksacktouristen empfangen, die gewohnt sind, bei der Unterkunft zu sparen und die oft von herkömmlichen Hotels nicht besonders geschätzt werden. Alissa empfängt nicht alle Gäste, es gibt sozusagen eine Einlasskontrolle, wie sie scherzhaft sagt. Das Klientel sind also keine Durchschnittstouristen. Es ist nur für besondere Menschen. In erster Linie übernachten hier Ausländer und einheimische Individualreisende, denen klar ist, dass sie hier kein übliches Hotel mit allem Komfort erwartet.

„Wo soll ich anfangen? Das ist hier ein altes Lagerhaus der ehemaligen Kolchose, das fünf Familien zusammen als Anteil bei der Privatisierung ausgezahlt wurde in einer Zeit, als man es nirgendwo zu Geld machen konnte. Und die neuen Besitzer wussten nicht, was sie damit anfangen sollten. Sie wollten das Gebäude sogar abreißen und Ziegelsteine verkaufen. Nach einiger Zeit hatte jemand die Idee, hier ein Sägewerk aufzumachen. Aber da sich der Getreidespeicher direkt neben dem Haus meiner Großmutter befindet, wollte ich natürlich nicht, dass sie neben einem Sägewerk lebt.“

In Transkarpatien gibt es viele Sägewerke. Es ist ein einträgliches Geschäft, und das Gebäude wäre ein perfekter Platz für noch ein weiteres gewesen, um dort zum Beispiel Holz zweifelhafter Herkunft zu verarbeiten. In der Region blühte der illegale Holzeinschlag in den letzten Jahren.

„Die Nachbarn waren schockiert: wie kann man sich etwas kaufen wo Ratten leben und dort Touristen empfangen wollen?“

„Ich begann damals im Tourismus zu arbeiten, und meine Kollegen aus Deutschland sagten, es sei ein wunderschönes Objekt, um hier ein Museum für  landwirtschaftliche Geräte und Zentrum für internationale Begegnungen zu machen. Ich habe anfangs nicht daran geglaubt, dass man hier so was organisieren kann. Aber aus irgendeinem Grund gefiel mir diese Idee. Allerdings nur mir. Meine Nachbarn und Verwandten verstanden es nicht. Genauer gesagt, waren sie schockiert und sagten: ‚Wie kann man sich etwas kaufen, wo Ratten leben und dort Touristen empfangen wollen?‘. So mussten wir zwei oder drei Jahre gegen jede Menge Vorurteile kämpfen und beweisen, dass man hier im Dorf auch etwas wirklich Interessantes entwickeln kann. Ich fand kein Verständnis, man hat mir gesagt, ich würde nur negative Seiten der Ukraine zeigen. Manchmal kam es ganz schlimm – man hat unseren ausländischen Touristen nachts Reifen zerstochen.“

Sehr oft kann man in der Ukraine erstaunliche Geschichten über den Widerstand der Einheimischen gegen jede Form von Veränderung hören, auch wenn es sich um Initiativen von Privatpersonen  auf deren eigenem Grundstück handelt. Es muss also keine Investition der öffentlichen Hand sein, um Widerstände hervorzurufen. Die Leute beschweren sich über die Regierung, Geldmangel und mangelnde Aufmerksamkeit, während andererseits jede neue Initiative, auch private, die die Situation verbessern könnte, sofort abgelehnt wird. Glücklicherweise waren Alissa  und ihr Mann nicht leicht von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie haben dem Druck widerstanden und konnten den Dorfbewohnern so beweisen, dass die Touristen für das Dorf sogar nützlich sein können.

„Es hat zehn Jahre gedauert, bis die Dorfbewohner begannen, uns Ihre Hilfe anzubieten, in unserer Scheune beim Empfang der Touristen auszuhelfen und damit Geld zu verdienen. Das sind zum Beispiel lokale Kapellen oder einfach Frauen, die verschiedene Dienstleistungen anbieten: Putzen, Kochen. Schade, dass die junge Generation sich nicht engagieren will, Bed&Bike durchzusetzen oder einfach nur beim Empfang zu arbeiten. Wir laden immer ein paar Einheimische und eine Dorfkapelle ein, wenn wir eine Lemkenhochzeit hier aufführen. Hier finden Sie alle Bestandteile des Landtourismus. Das heißt, örtliche Musikgruppe spielt auf, Nachbarn und Verwandte bereiten aus regionalen Zutaten die Spezialitäten der Gegend zu, einheimische Mädchen servieren, waschen ab usw. Ich kaufe regionales Obst, Gemüse usw. oft bei  Nachbarn, um sie mit einzubeziehen und ihnen so zu zeigen, dass auch sie vom Aufschwung des Tourismus profitieren können.“

„Als ich sechs Jahre alt war, habe ich hier mein erstes Geld verdient. Ich habe als Kind in dieser Scheune in der Zeit der Sowjetunion gearbeitet. Das Getreide wurde aus der Kolchose hierher gebracht, überall war Getreide, dann wurde es mit einer Maschine auf die zweite und dritte Etage angehoben, wo es über Winter trocknete. Die neue Geschichte von diesem Ort begann irgendwann im Jahr 2003. Es hat Jahre gedauert, bis wir das Grundstück erwerben konnten. Mit dem Gebäude war es einfacher, da alle fünf Familien mit dem Verkauf einverstanden waren, aber das Grundstück  war ein Problem. Aber jetzt ist  zum Glück alles vorbei. Wir haben versucht, fast alles hier so zu lassen, wie es war. Im ersten Stock wurden nur einige neue Wände eingezogen. Hier roch noch bis vor kurzem immer noch stark nach Getreide.“

„Die Sanierung hat sehr lange  gedauert und ist immer noch nicht zu Ende. Lange, weil ich gleichzeitig an tausend anderen Sachen arbeite. Wenn ich irgendwann nicht mehr so viele Hummeln im Hintern habe, werde ich mich nur noch mit dem Hostel beschäftigen. Während der Sanierung haben wir im Dachgeschoß die alten Holzfenster mit den kaputten Scheiben durch Plastikfenster ersetzt. Und hinterher fiel mir auf, dass Fledermäuse verschwunden waren. Ich habe also recherchiert,  was man da machen kann. Eigentlich habe ich Angst vor diesen Tieren, aber ich will auch nicht das Ökosystem stören. So haben wir das Fenster im Dachgeschoß entfernt, damit sie dort wieder leben können. Ratten gibt es nicht, weil es nichts mehr zu fressen gibt. Aber es gibt Mäuse. Auf der anderen Seite haben wir oft im Herbst einen Marder, der Nachbars Hühner stiehlt, und sie sind mir sehr böse deswegen. Es gibt viele Spinnweben, Spinnen, viele Arten von Insekten, die wir nicht töten, sondern hinaustragen. Dafür haben wir das Insektenhotel gebaut. Hier ist alles möglichst ökologisch, wir versuchen, die Natur nicht unnötig zu stören.“

Im Erdgeschoß ist das Zentrum für internationale Begegnungen. Genau wie man in Österreich zum Beispiel in solchen Gebäuden oder alten Bauernhäusern an Wochenenden Gasthäuser eröffnet, so bieten wir hier auch transkarpatische Feste für bis zu 50 Personen, nämlich Lemkenhochzeiten an. In der Reisegruppe suchen wir ein Paar aus und verheiraten es, in Volkstrachten, mit allen Traditionen.

Alissa erzählt, dass sie fast keine ukrainischen Touristen haben. Sie hat offen gesagt auch ein wenig Angst vor einheimischen Touristen. Im Hostel ist alles in mehreren Sprachen beschriftet: Englisch und Deutsch spricht man gut. Hier kann man sich ein Fahrrad mieten und eine Tour durchs malerische Transkarpatien machen.

„Meine eigene Hochzeit war auch hier. Wir veranstalten hier verschiedene Feste und Geburtstage. Es gab sogar mal ein zweiwöchiges Sommersprachcamp. Die Fotos, die sie an den Wänden sehen, zeigen das Uschtal in den Augen meiner österreichischen und deutschen Touristen. In Bayern und Österreich haben Fotoklubs mit diesen Bildern den ersten Platz gewonnen, deswegen hängen sie hier. Apropos ukrainische Touristen – ich habe ein wenig Angst vor ihnen. Ich hatte viele negative Erfahrungen. Den Ausländern kannst du die Schlüssel anvertrauen und musst dir keine Sorgen machen. Aber auf unsere Touristen musst du aufpassen. Natürlich sind nicht alle so, aber wir haben da schon viel erlebt. Ich fürchte, man setzt mir hier alles in Brand. Deswegen sind ukrainische Touristen noch nicht meine Zielgruppe, ich mache mir auch  jedes Mal Sorgen, wie sie auf unser Matratzenlager reagieren.“

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Bis jetzt finden manche Menschen die Idee verrückt. Das Hostel hat Alissa im ersten Stock eingerichtet, und im Erdgeschoß werden Hochzeiten und Begegnungen veranstaltet. Alissa und ihr Mann Vitalij, der vor kurzem von ATO (antiterroristische Organisation im Osten der Ukraine, sprich Krieg) zurückkehrte, begleiten Fahrradtouren, meist aus dem deutschsprachigen Raum. In Bed&Bike können sich die Touristen erholen, das Fahrrad reparieren lassen, man spricht hier vier Sprachen und träumt davon, dass sich die Radfahrer hier wohl fühlen.

„Was Sie oben sehen werden, heißt auf Deutsch ‚Matratzenlager‘. Matratzen haben wir so bewusst ausgesucht, weil man sie bewegen, herumschieben, umstellen, hinzufügen kann. Es sind momentan 16 Schlafplätze. Wir organisieren hier viele Events. Polen, Tschechen, Deutschen und Österreichern gefällt es wirklich gut. Als wir zum ersten Mal das Angebot bekommen haben, eine Fahrradtour zu begleiten, wussten wir noch nicht viel von  Fahrrädern. Das war vor 6-7 Jahren. Und dann haben wir uns ‚angesteckt‘. Meine bis dahin unentdeckte Liebe zum Rad erwachte und auch mein Mann wurde zum Fahrradfan. Er kann jetzt an keinem Fahrrad mehr vorbeigehen, ohne es im Detail zu begutachten. Obwohl er weiterhin hier bei einem Sicherheitsdienst arbeitet, ist er im Sommer meistens Fahrradmechaniker für Touristen. Die meisten Fahrräder kaufen wir gebraucht im Ausland, mein Mann bastelt dann daran. Die Fahrräder der einheimischen Marke ‚Ukraine‘ will uns keiner schenken, weil sie in den Dörfern immer noch im Gebrauch sind, diese Drahtesel halten ewig.“

Alissa und Vitaly arbeiten mit einigen Reiseveranstaltern in Deutschland, Österreich und in der Ukraine zusammen. Man kann sie über booking.com erreichen. Die gewiefteren Reisenden bekommen eine kostenlose Übernachtung über Anmeldung bei Couchsurfing und Warmshowers. Übrigens ist Warmshowers eine weniger bekannte Adresse für Reisende, die nur für Radler bestimmt ist.

„Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann und wie ich mich dort angemeldet habe, aber sofort kamen viele Nachfragen. Wir empfangen alle, verpflegen sie, sie können bleiben, wie lange sie brauchen. Als Gegenleistung haben wir super coole Geschichten, Erfahrungen, Bilder. Es war mal ein Mann aus Costa Rica da, der am 90. Tag seiner  Radreise durch Europa zu uns kam. Abgemagert und erschöpft hat er bei uns Kraft getankt und zum Dank für die Mädchen aus Dubrynytschi einen Salsakurs veranstaltet und uns Tanzen beigebracht. Ein anderer ungewöhnlicher Reisender kam aus der Schweiz. Er kündigte seinen Job, verkaufte alles, kaufte sich ein sauteures Fahrrad mit Zubehör dazu und brach auf ins Blaue. Wir haben ihn auf dem Weg in die Türkei kennen gelernt! Im Schnee, mit dem  25 kg schweren Fahrrad mit Taschen. Solche Geschichten inspirieren uns, man will sich schließlich entwickeln und nicht in Angst stagnieren. Jeder Mensch hat ein enormes Potenzial, er weiß es nur nicht.“

Tatsächlich ist Bed&Bike ein großartiges Beispiel dafür, wie Ausdauer und Selbstvertrauen schließlich die Bedenken anderer überwinden. An Stelle eines neuen Getreidespeichers, eines Lagerhauses oder Sägewerks wurde ein soziales Projekt eröffnet, das die Zusammenarbeit mit anderen Dorfbewohnern fördert und ein Ort ist, an dem die Reisenden mit, aber auch ohne Geld mit Freude empfangen werden.

Beitragende

Projektgründer,

Autor des Textes:

Bogdan Logwynenko

Kameramann:

Dmytro Ochrimenko

Fotograf:

Taras Kowaltschuk

Regisseur:

Mykola Nossok

Filmeditorin:

Marija Terebus

Folge der Expedition