Eine der größten Synagogen in Osteuropa befindet sich in Ostroh. Schon seit zwanzig Jahren wird sie von einem Stadtbewohner, dem ethnischen Juden, Hryhorij Arschynow, wiederaufgebaut. Hryhorij ist ein professioneller Bauingenieur, der angefangen hat, die historische Stätte zu retten, und schon über 180.000 Dollar dafür investiert hat. Nach seiner Aussage erschienen in der Stadt die ersten Juden auf Einladung des Fürsten Ostrogski schon im 16. Jahrhundert. Gemäß der Assoziation der jüdischen Organisationen und Gemeinden (VAAD) in der Ukraine gibt es heutzutage ca. 800 Synagogen auf dem Territorium der Ukraine, manche davon sind nur teilweise erhalten geblieben.
Die Eigentümer der Stadt, die Fürsten Ostrogski, luden die Juden im 16. Jahrhundert nach Ostroh ein, damit sie die Entwicklung des Handels und Handwerks förderten. Die Juden waren in der Produktion von Bier, Honig und Horilka (der ukrainische Name für Wodka — Üb.) beschäftigt. So fing die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wolhynien an, die eine der ältesten auf dem Territorium der Ukraine ist. Schon Anfang des 17. Jahrhunderts lebten dort ca. dreitausend Juden. Hryhorij Arschynow bezeichnet Ostroh als eine bedeutende Stadt für die jüdische Gemeinde, denn sie war damals ein Zentrum für die jüdischen Gemeinden.
„Es gibt diesen Begriff VAAD. Das war eine nichtstaatliche Einrichtung, die weit über die Grenzen des Landes ausstrahlte und die Interessen der jüdischen Gemeinde in anderen Ländern vertrat: Es gab sie in Lettland, Polen und Ungarn. Das ist mehr als eine Gemeinde. Dort wurde über die Steuer gesprochen, über das Studium, über die anderen Dinge. Und das Zentrum von jenem VAAD der vier Ländern war um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert Ostroh. Dazu gehörten vier Länder: Die Woiwodschaft Großpolen (gelegen im Westen Polens mit dem Zentrum in Posen — Red.), die Woiwodschaft Kleinpolen (gelegen im Süden Polens zwischen Schlesien, der Woiwodschaft Heiligkreuz und der Woiwodschaft Karpatenvorland — Red.), die Rote Rus (oder Rotruthenien, der Name zur Bezeichnung des damaligen Fürstentums Galizien-Wolhynien in den polnischen Quellen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert — Red.) und Wolhynien.“
Der Bau der Synagoge in Ostroh ist an den Namen von Rabbi Solomon Luria gebunden, der im Jahre 1550 die Jeschiwa (eine jüdische Hochschule — Üb.) leitete. Danach wurde die Schule von dem bekannten Talmudisten (einem Kenner des Codex der religiösen und juristischen Vorschriften des Judentums — Red.) Samuel Edels (Maharscha) geleitet, der 1598 nach Ostroh kam und die Synagoge auf eigene Kosten umbaute. Über diesen Rabbi gibt es Legenden.
„Zu ihm kamen kinderlose Paare, sprachen mit dem Rabbi und in neun Monaten oder nach einer gewissen Zeit bekamen sie ein Kind. Das waren keine jüdischen Familien. Das heißt, die Stadt war tolerant, multinational, multiethnisch, multireligiös, es gelang hier irgendwie, alles war gut.“
Die Synagoge
Der Talmudist Samuel Edels (Maharscha) errichtete die Frauengalerie, die Westfassade und wechselte das Dach in der Synagoge. Hryhorij Arschynow sagt, dass das Gebäude zu den Befestigungen gehörte.
„Das heißt, dass es wahrscheinlich nicht von den Juden geplant wurde, sondern vermutlich stellte die Stadt eine Forderung: ‚Wenn Ihr die Synagoge bauen wollt, dann soll sie im Kriegsfall in eine Festung umgewandelt werden‘. Es gibt viele solche Synagogen in der Ukraine, dazu zählt auch die Ostroger Synagoge.“
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Eine Synagoge ist ein Gebetshaus, in dem die Juden ihre Heilige Schrift lernen und beten. Zum Sakralbau kann jeder Raum werden, der nach einem besonderen Ritus eingeweiht wurde. Laut Talmud soll sich die Synagoge im Zentrum der jüdischen Siedlung und auf dem Hügel befinden.
Eine der größten Synagogen in Osteuropa wurde in Ostroh bis zum sowjetischen Einmarsch genutzt. In der Nachkriegszeit sollte nach den Worten von Hryhorij Arschynow im Gebäude von der Synagoge eine Brotfabrik eingerichtet werden, jedoch wurde sie anschließend (und bis Anfang der 1990er Jahre) als Lager von „Misktorh“ (der Abteilung städtischen Handel — Üb.) genutzt. Es gibt eine Legende, dass zwei Kanonenkugeln während des Russisch-Polnischen Kriegs von 1792 in die Synagoge einschlugen, die aber dank der Gebete nicht explodierten.
„Da steht die Russische Armee und knallt mit Kanonenkugeln, beschießt die Stadt, und hier sitzt die jüdische Gemeinde und fürchtet sich. Und diese Kanonenkugeln schlagen ein und sie explodieren nicht. Was für eine ungewöhnliche Rettung. Die Ostroger Gemeinde schreibt die Mahelad Tammus, eine Abhandlung über dieses Wunder, das Wunder des Schöpfers, darüber, dass er sie rettete. Sie beteten, glaubten, und er rettete sie. Die zwei Kanonenkugeln sind erhalten geblieben. Bei uns im Museum gibt es zwei Kanonenkugeln. Hier wurden sie hingehangen, neben dem Eingang, eine wurde hier auf der Decke gehängt und die andere wurde in die Südfassade eingemauert.“
Hryhorij
Hryhorij Arschynow wurde in Ostroh in der jüdischen Familie geboren. 1985 begannen er und sein Vater das Erbe ihres Volkes zu lernen.
„Wir fingen an, die Liste von den jüdischen OstrogerInnen zu sammeln, die im Holocaust umgekommen waren. So entstand ein Gedächtnisbuch, ein sogenanntes Schwarzbuch des Gedenkens, und wir begannen dies zu sammeln. Wir begannen, die Denkmäler einzurichten.“
Das Schwarzbuch des Gedenkens
Eine Sammlung von Zeugnissen und Dokumenten über den Holocaust, eine der umfassendsten Auflagen davon wurde 2002 in Jerusalem herausgegeben.Hryhorij ist Bauingenieur von Beruf und beschäftigt sich mit Restaurierungen. Er hat Erfahrung für die Stätten des 16. und 17. Jahrhunderts gesammelt und hat sich deshalb kompetent für den Wiederaufbau der Ostroger Synagoge gefühlt.
„Solch ein Sakralbau kann man für immer verlieren und die Juden von Ostroh vergessen. Im Kontext der Geschichte der Ukraine wäre dies für immer ein verlorenes Puzzleteil. Und ich dachte: ‚Ich habe genug Fertigkeiten, genug Möglichkeiten, ich habe eigene Maschinen, eigenes Gerüst, eigene Mitarbeiter‘. Und das war der letzte Punkt: Wenn nicht ich! Weil meine Kinder älter sind…, sie sind in den USA und sie werden sich kaum mit der Ostroger Synagoge beschäftigen. Ich bin der Letzte, der das machen kann.“
Der Wiederaufbau der Ruine
Der Sakralbau konnte nicht die Wetterbedingungen und den menschlichen Einfluss überstehen, deshalb verlor er das Dach, die Fenster und die Türen. Arschynow suchte nach Investoren im Ausland, aber für den Mann war ein Artikel auf dem Webportal von Jewish Heritage Europe entscheidend. Im Artikel „Erinnern oder vergessen?“ betonte der Autor, der Wissenschaftler Serhij Krawzow, dass die Ostroger Synagoge ein wichtiges Gebäude ist und der Punkt, an dem es zu spät ist, könnte sehr bald kommen. Der Artikel beinhaltete ironische Äußerungen über die Untätigkeit der Kommunalverwaltung, der Diaspora und der ukrainischen Regierung. Hryhorij Arschynow empfand das als persönlichen Vorwurf, weil er ein Stadtabgeordneter und ein Mitglied der jüdischen Gemeinde ist, deshalb beschloss er sofort zu handeln. Der Mann wandte sich an den Aktivisten Meir Habai Israel, der sich um den Erhalt der Friedhöfe der Zaddiken, die Vermittler zwischen den Gläubigen und dem Schöpfer, kümmert. Sie einigten sich, das Geld zusammenzulegen und fingen mit dem Wiederaufbau an. Mit den Kosten halfen auch die Klassenkameraden von Hryhorij, auch die Aktivisten aus Riwne. Insgesamt haben wir schon 180.000 Dollar ausgegeben.
„Von hier wurde 28 Tonnen Müll weggebracht: von innen und von außen. Es gab eine Müllkippe. Das haben wir alles per Hand gemacht, und mit der Hilfe der Baptistengemeinde von Ostroh. Sie halfen mit Freunde: Für sehr wenig Geld brachten sie das alles nach oben. Und nochmals: Das Wichtigste war das Dach, und nun haben wir das Dach gemacht. Ich habe mir gedacht, dass es das letzte Chance in meinem Leben ist, solch einen wichtigen Punkt in meinem Leben zu erreichen.“
Der Stadtrat unterstützte die Initiative zum Wiederaufbau der Synagoge. Und so begann die Arbeit: Die Wände wurden gefestigt, der Metallrahmen, das Gewölbe und das Dach wurden errichtet.
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„Wir haben die Giebel wiederhergestellt, die Öffnungen zugemacht und danach haben wir mit den Fassaden und dem Putz angefangen. Die Fenster — das war ein Traum! — und wir haben auch das Geld für die Fenster gefunden. Ich habe ein wenig Schulden, aber mein Kommilitone macht die Fenster — wir werden schon klarkommen und abrechnen.“
Eines Tages, als die Bauarbeiten voll im Gange waren, brachte ein Stadtbewohner dem Hryhorij einen großen rostigen Schlüssel mit dem Davidstern, den er bei der Gartenarbeit fand. So erinnerte sich Arschynow an eine Legende, laut dieser verlor 1939 der Oberrabbiner der Ostroger Synagoge den Eingangsschlüssel zum Schrein. Das galt als ein schlechtes Zeichen, weil auf die Gemeinde schwere Zeiten warten sollten.
„Die Sowjetmacht marschierte ein und so war das religiöse Leben der Juden zu Ende. 1941 kamen die Nazis. Es ist klar, dass insgesamt das Leben zu Ende war. Und dann gab es das kommunistische Regime. Verstehen Sie, alles Jüdische war da nicht so sehr populär wie auch wahrscheinlich das Ukrainische. Und nun tauchte hier jener Schlüssel auf, der über die Probleme prophezeit hatte, das war wie ein Symbol. So denke ich, dass alles wieder gut mit der Synagoge wird. Wie ein lebendiges Gedächtnis für die Gemeinde, die hier lebte und baute und uns ihr Erbe hinterließ.“
Ein Traum
Hryhorij Arschynow kümmerte sich auch um den Erhalt des jüdischen Friedhofs in Ostroh, der 1968 zerstört wurde. Im vergangenen Jahr wurde dem Friedhof der ehemalige Status zurückgegeben, denn man hielt ihn bis dahin für ein Gartendenkmal.
„Wir haben alle alten Steine gesammelt, die Menschen bringen noch die Grabsteine, der älteste ist aus dem Jahr 1627. Diese Grabsteine haben wir restauriert und bringen hin und wieder noch welche zurück. Auch das Grab von Edels ist geblieben, von jenem Rabbi, zu dem bestimmt fünftausend oder mehr Pilger jährlich kommen. Und hier ist die Synagoge, vielleicht kommen noch mehr Pilger. Die Idee ist so, dass hier so ’ne Art Zentrum für Toleranz in Ostroh entsteht.“
Hryhorij träumt davon, in der wiederaufgebauten Synagoge eine ständige Ausstellung einzurichten. Er hat viele Exponate, die er in der Galerie zeigen will, damit die Einheimische sich erinnern können, dass vor der Kriegszeit zwei Drittel der Bevölkerung Juden waren.
„Hier soll eine lebendige Gemeinde sein. Eine lebendige Gemeinde, die in die Synagoge gehen wird, die sie als Sakralbau für das Gebet benutzten wird. Nicht für die Kultur und die Kunst. Nun hoffe ich, dass mit Gottes Hilfe alles wird. Es kann nicht alles so einfach sein. Es wird schwer. Wenn es schwer ist, dann sind wir auf dem richtigen Weg.“