Es gibt ca. 10 Zentren der Töpfereikultur in der Ukraine. Die Siedlung Opischne in Oblast Poltawa ist die größte unter diesen. Das ist eine alte Siedlung von Kosaken (heute hat sie den Status einer Siedlung städtischen Typs – Red.), die reich an Toneinlagen ist und in der jede dritte Familie im 19. und 20. Jahrhundert Töpferei getrieben hat.
In Opischne befindet sich das nationale Museum für ukrainische Töpferei. Das Museum steht unter Schutz und ist eine einzigartige Institution, die sich mit der Forschung, Erhalt und Popularisierung der töpferischen Erbe der Ukrainer beschäftigt. Der Name der Siedlung beinhaltet so manche Wiedersprüche: Auf dem Schild zur Einfahrt in die Siedlung steht „Opischnja“. Die Einwohner nennen Sie jedoch „Opischne“ oder „Opischnje“. Über das Missverständnisse mit dem Namen, Töpfertraditionen seiner Familie und den Bau des Museums erzählte uns der Direktor des Museums Oles Poschywajlo:
„Der Name ‚Opischnje‘ ist ethnographisch. Die erste Bezeichnung, die schriftlich belegt ist, ist ‚Opotschynske‘. Das war die Domäne des polnischen Fürsts Wiśniowiecki. Deswegen findet man auf alten Karten und Plänen die Siedlung Opotschynske. Aber schon zu der Zeit nannte die hiesige Bevölkerung die Siedlung Opischnje, da sich die Siedlung an der Grenze zwischen der damaligen Hetmanschtschyna und dem ‚wilden Feld‘ befand. Der Wortstamm im Namen ‚Opischnje‘ ist mit dem aus der weißrussischen Sprache ‚aposchni‘ verwandt, was ‚der letzte‘ bedeutet. Es ist wahrscheinlich, dass man den Namen aus der Bedeutung ableiten kann. Die Siedlung ist auch auf den Karten aus der zweiten Hälfte des 19. Jh. zu finden. Auf den Karten des Russischen Reiches heißt die Siedlung ‚Oposchnja‘, der Name ist jedoch russifiziert und von russischen Beamten geprägt, da das Aussprechen von ‚Opischne‘ Ihnen schwer fiel. Von daher war im 19. Jh. das Toponym ‚Oposchnja‘ verbreitet. Wir versuchen jedoch, die alte Bezeichnung zu legalisieren und wünschen uns sehr, dass Werchowna Rada sich eines Tages dafür einsetzt, dass der originelle Name ‚Opischne‘ offiziell verwendet wird.“
Einige Jahrhunderte lang betrieben die Einwohner der Siedlung Opischne Handel, einen wichtigen Teil dessen die Töpferei. Ende des 19. Jh. wurde hier die erste in der Linksufrigen Ukraine Lehrwerkstatt für Töpferei eröffnet. Auf diese Weise blieb das Werk modern und konkurrenzfähig. Denn zu der Zeit war die Fayencefabrik in der Stadt Budy (Oblast Charkiw) schon im Betrieb, die Matwij Kusnjezow gehörte. Aufgrund der Massenanfertigung wurde das Geschirr mit jedem Jahr günstiger und zugänglicher für alle sozialen Schichten.
So stand die traditionelle Töpferei vor einer Herausforderung. Damit das Werk weiterhin ihre Positionen nicht verlor, wurden Handwerker fürs Herstellen von Keramikkunst gefördert. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden solche namhafte Künstler wie Serhij Wasylkiwskij, Wasyl Krytschewskij und Mykola Samokysch herangezogen.
Zu dieser Zeit entwickelt sich in Opischne der Barock-Stil in der Verzierung der Keramik. Dieser wurde zum Marenzeichen der Töpferei aus Opischne und machte die Stadt und ihre Keramik weltbekannt.
Die Entwicklung des Museumswesens und die ersten Versuche, das Erbe von Opischne zu erhalten, fanden schon Anfang des 20 Jh. statt. Damals gründete ein bekannter Künstler Petro Waulin das erste in der Ukraine Museum für alte Töpferkunst. Seine Sammlung wurde dem Museum in Poltawa übergeben.
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In den 70er Jahren eröffneten Hawrylo und Jawdocha Poschywajlo in ihrem eigenen Haus das erste in der Ukraine Haus-Museum für Keramik. Der Enkelsohn von Poschywajlos Oles nahm dieses Familien-Museum als Grundlage fürs Ausbauen vom Nationalmuseum für Töpferei.
Ins von Poschywajlos gegründete Museum konnte jeder reinkommen und sich mit Keramikwerken, bestickte Handtüchern, Tischdecken vertraut machen. Die Ausstellung wurde sogar ausländischen Delegationen vorgestellt. Solche Initiative von einer einfachen Bäuerin, die ein Museum eröffnet hat, ist beispiellos.
„Ich kann mir nicht vorstellen, woher meine Großmutter diese Neigung zur Museumseröffnung hatte. Wahrscheinlich aus Liebe zum eigenen Handwerk, weil sie mehr als alles in der Welt Töpferei liebte – so Jawdochas Enkelsohn.“
Das Museum für Töpferei
Es wurde zuerst als ein lokales Museum in Opischne gedacht. Es wuchs jedoch dann zum Museum für ganz Poltawa und evolutionierte schließlich zum nationalen ukrainischen Museum.
Oles Poschywajlo erinnert sich: Als 1985 die hiesige Keramik-Fabrik in ein anderes Gebäude umgezogen war, wurde ein Haus frei, das ins Wohnheim für Handwerker umgebaut werden sollte.
„Damals wurde den Handwerkern und mir klar, dass wenn wir dieses Haus nicht retten, wird es für die Töpfereikultur der Ukraine für immer verloren sein. Es ist das älteste Haus in der Siedlung, es wurde nach dem Projekt von Wassyl Krytschewskij gebaut. So haben wir die Eröffnung des Museums initiiert.“
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Heute enthält die Sammlung des Museums über 50 Tausend Exemplare. Dies ist die größte Sammlung der traditionellen Keramik in der Ukraine, die Besucher des Museums bekommen lediglich ein Prozent zu sehen. Oles erzählt, wie die Kollektion gesammelt wurde:
„Erste Exponate brachte ich aus Expeditionen durch benachbarte Dörfer. Als das Geld zur Anschaffung alle war, organisierten wir Symposien für Töpfer. Wir luden Künstler aus dem ganzen Lande ein. Einen Monat lang schufen sie Skulpturen, die sie im Museum hinterließen. So entstand der Park für Monumentalskulptur. Nicht so wie in einem typischen Museum mit Schaufenstern, können die Besucher hier in einem Park spazieren gehen und Bilder von und mit den Skulpturen machen.“
Heutzutage arbeiten im Museum 108 Mitarbeiter, die Institution wächst, es werden neue Mitarbeiter gesucht. Jedoch entschied das Ministerkabinett, dass die Anzahl der Beamten nicht erhöht werden darf. So wird die Entwicklung von Kulturinstitutionen künstlich verhindert.
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„Solche Hindernisse sehen wir als ein Impuls für uns zur Suche nach neuen Existenz, nach neuen Arbeitsweisen. Hätte es in der Ukraine nicht so viele Krisen gegeben, hätten wir so ein Museum nicht aufgebaut. Ungeachtet der Krisenzeiten, nach der Revolution 2014 verdoppelte sich die Besucheranzahl. Der ziemlich hohe Eintrittspreis von 50 Hrywnja schreckte die Besucher auch nicht ab. Alles, was im Museum geschaffen wird, wird ausschließlich durch die Einnahmen von Eintrittsticket finanziert. Die Stifter unseres Museums sind streng genommen die Besucher, die ihre Eintrittstickets bezahlen. Der Staat zahlt nur die Gehälter und Nebenkosten.“
Oles sagt, das Team baut das Museum so aus, wie es es selbst für korrekt hält:
„Keine staatliche Institution mischt sich in die Organisation nicht ein.“
Töpferfamilie Poschywajlos
Die Idee der Gründung und der Verwaltung des Museums verdankt Oles seiner Großmutter Jawdocha. Ihrem Rat folgte er ebenso, als er sich dafür entschied, ein Wissenschaftler zu werden. Oles Cousin, Igor Poschywajlo, hat auch einen Doktorgrad in Geschichte erlangt. Er arbeitet im Nationalen Zentrum der Volkskultur „Iwan-Hontschar-Museum“, das zu Ehren des Sammlers seiner Kollektion benannt wurde. Iwan Hontschar ist ein bekannter Ethnograf und Bildhauer.
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Poschywajlos pflegen ihr Handwerk seit der zweiten Hälfte des 18. Jh. bis heute:
„Meine Familie ist die älteste Töpferfamilie, die das Handwerk bis heute betreibt. Sie werden in schriftlichen Quellen keinen Namen eines Töpfers finden, der im 18. und im 21. Jh. erwähnt worden ist. Sehr oft gingen Familientraditionen durch soziale Krisen verloren. Besonders war die Töpferei während der Repressionen und der Hungersnot gefährdet. Wir versuchen, familiäre Töpfertraditionen zu kultivieren und die Töpfer zu unterstützen, ihre Kreativität zu fördern. Damit die Töpferkunst am Leben bleibt.“
Oles Großvater, Hawrylo Poschywajlo, wurde in der Familie der Töpfer Nytschypor und Hanna Poschywajlos in Opischne geboren. Der Großvater von Nytschypor, Taras, fertigte Geschirr aus, und die Großmutter knetete Spielzeug aus Ton.
Hawrylo produzierte Geschirr, Skulpturen, Spielzeug. Seine Ehefrau Jawdocha war eine talentierte Malerin, sie verschönerte die Werke seines Ehemannes mit Motiven aus der Pflanzen- und Tierwelt. Die wichtigsten Farben in der Töpferei waren und bleiben bis heute rot, grün, schwarz und blau.
Mykola Poschywajlo setzt das Handwerk seiner Eltern fort. Der begabte Töpfer, der ehemalige Meister in der Fabrik „Kunst Keramik“ arbeitet mit 87 Jahren weiterhin „zum Spaß“ und veranstaltet Workshops für Museumsbesucher.
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Mykola beschäftigt sich mit der Töpferei, seitdem er 15 geworden ist. Er behauptet, um ein echter Töpfer zu werden, braucht man die Unterstützung von älteren Meistern, besonders am Anfang. Er erinnert sich, dass er beim Aufbau des Museums auch Hilfe von seinen Eltern bekommen hat.
„Meine Mutter sagte, ich soll mit dem Bau fertig werden, solange sie noch am Leben ist. Wir haben es tatsächlich geschafft, wenn auch nicht alle Abteilungen.“
1999 eröffnete das Museum der Familie Poschywajlo in ihrem ehemaligen Wohnhaus als eine Niederlassung des Nationalmuseums. Es werden Werke von drei Generationen der Familie Poschywajlo und anderer Meister, traditionelle Stickerei, Malerei und alte Ikonen aus dem 19. und 20. Jh. ausgestellt. 2016 wurde die Straße, auf der das Haus steht, nach Hawrylo und Jawdocha Poschywajlos benannt.
Das Museum heute
In den letzten 100 Jahren schrumpfte die Anzahl der wirkenden Töpfer in der Ukraine zigmal. Es gibt lediglich ein Dutzend Meister in Opischne, die mit einem originellen Töpfer-Kreis arbeiten. Früher fuhren Töpfer selbst ihre Werke zum Markt, heutzutage machen das Händler für sie. Oles Poschywajlo meint, dass der Kontakt zwischen Meister und Käufer so verloren geht:
„Dieser Kontakt ist äußerst wichtig. Der Meister hat die Möglichkeit, auf dem Markt die Geschmäcker der Käufer unmittelbar zu verfolgen und diesen gerecht zu werden. Der Meister kümmerte sich um die Funktionalität und Ästhetik seine Werke. So wurde die Form der Töpferei im Laufe der Jahrhunderte verfeinert.“
Sehr beliebt sind im Museum Workshops in Töpferei. Sie werden gut besucht, weil die Teilnehmer etwas mit eigenen Händen kreieren möchten. Im Gästebuch findet man Einträge, wo steht, dass Besucher sich dank diesem Museum als echte Ukrainer fühlten. Das ist die Mission solcher Institutionen:
„Dies ist keine Truhe mit verstaubten alten Sachen, dies ist ein lebendiger Organismus, der Menschen dazu bringt, sich als Teil ihres Volkes zu sehen.“
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„Das Museum verändert Opischne ständig. Die Stadt verdankt nur dem Museum, dass die Töpferei hier noch existiert. Sie würde verschwinden, so wie sie das in anderen Städten macht.“
Hier entwickelt sich der Tourismus aktiv. Die Siedlung Stary Chutir beispielsweise ist so eine touristische Entdeckung. Hier werden Festivals veranstaltet, hier kann man gutes Essen finden und übernachten. Es gibt auch andere Objekte. Wir haben jedoch Opischne im Winter besucht, so dass wir die Flut von Touristen nicht erleben konnten.
In den 90ern, erzählt Oles Poschywajlo, entwickelte das Kulturministerium der Ukraine eine neue Entwicklungsstrategie der ukrainischen Kultur, womit innovative Arbeitsweisen gefördert wurden:
„Zur damaligen Zeit waren wir das einzige Museum in der Ukraine, das in seiner Struktur einen Klub, eine Bibliothek, eine Musikschule und eine Grundschule hatte. Die Kinder in der Grundschule hatten sogar das Fach, in dem sie töpfern lernten. Das gab es bis zum Jahr 2003.“
Heute entwickelt sich und vergrößert sich das Museum nach wie vor. Hier werden Symposien, Konferenzen, Festivals und Residenzen für Künstler jährlich veranstaltet:
„Wir haben ein Haus aus dem Baujahr 1902 erworben, wo ein Töpfer wohnte. Hier ist der Bau einer Residenz für Maler geplant. Die Residenz funktioniert eigentlich schon seit vier Jahren, aber in einem anderen Raum. Wir laden Künstler ein, die im Laufe einiger Monate hier leben und arbeiten, sie haben alle notwendigen Materialien zur Verfügung. Die Voraussetzung ist, dass das Museum die Hälfte der Werke behält.“
Wie wir gefilmt haben:
Über die Abenteuer unseres Teams in Poltawa und über die Fahrt nach Opischne in unserem Vlog: