Die Meister aus dem Dorf Kosmatsch in den Karpaten bewahren und stellen die Kunst und das Handwerk der Huzulen wieder her. Hier übt man noch die Handweberei von Sapasky (Sapaska – die traditionelle Damenkleidung von Huzulen für die untere Hälfte des Körpers) und macht Postoly (die traditionellen Schuhe von Huzulen aus dem weißgaren Leder).
Man kommt aus verschiedenen Regionen der Ukraine um solche und andere Waren zu kaufen und bestellt sie sogar aus dem Ausland. Es gibt immer weniger wahre Meister: Enthusiasmus der jungen Handwerkslehrlinge verschwindet schnell, die Arbeit ist ja schwierig, und der Preis eines Fehlers – zu hoch. Diejenige die diese Arbeit wirklich mögen und die Handwerk ihrer Familie weiter treiben, teilen ihre Erfahrung bereitwillig mit und zeigen die Eigenartigkeiten der Herstellung.
Ukrainische Nationaltracht oder Strij, deren Elemente man immer öfter für Luxusartikel und nicht für Bedarfsartikel hält, hat eine interessante Geschichte. Jedes Element von Strij hat seinen besonderen Nutzungszweck.
Sapaska, Schürze und Plachta sind zum Beispiel die Elemente der Damenkleidung für den Unterkörper, haben aber verschiedene Funktionen. Die Schürze ist eine uralte Arbeitskleidung, die man über einem Rock trägt, um ihn vor Schmutz zu schützen. Plachta und Sapaska sind dabei die Varianten von festtäglicher Kleidung. Plachta ist als Element der Kleidung seit der Kosakenzeit in der Ukraine bekannt. Plachta war durch außerordentliche Üppigkeit gekennzeichnet: Sie wurde aus köstlichen Gewebe mit goldene und silberne Stickerei genäht. Plachta trug man früher statt einem modernen Rock. Das ist eine bis zu vier Meter lange, aus Wolle handgewebte, nicht zusammengenähte Stoffbahn, die man oft mit Stickerei verzierte.
Die authentische huzulische Hochzeit kann man bis jetzt ohne Volkstracht nicht vorstellen. Obwohl es hier sehr wenig echte Meister gibt, wenn es um das Sakrament der Ehe geht, nehmen sie alle Bestellungen ohne Ausnahme an.
Dmytro Lyndjuk. Sapasky
Der Meister Dmytro Lyndjuk webt Sapasky – viereckige nicht zusammengenähte Gewebestücke aus Wolle mit Schnürbändern in den oberen Ecken. Man trägt zwei Sapasky über einem langen Hemd vorn und hinten und bekommt so etwas wie einen Rock aus zwei Teilen.
Unter den ukrainischen Männern kann man sehr selten einen Meister finden, der die Kleidung beruflich webt, weil man dieses Handwerk seit jeher für Frauenarbeit hielt.
Das Talent zur Weberei erhielt Dmytro von seiner Mutter, und die – von der Großmutter. Seinen ersten Versuch am Webstuhl zu arbeiten machte er als ein kleiner Junge.
„Es gab drei Töchter, keine aber hatte das Talent dazu. Dies zu machen muss man Geduld und Lust haben, diese Arbeit mögen. Ich hab’ mir diese Arbeit von meiner Mutter angeeignet. Als ein kleiner Junge, Klasse 6–7, versuchte ich an der Maschine zu arbeiten und die Mutti erlaubte. So lernte ich diese Arbeit zu lieben.“
Jedes Dorf in den Karpaten hat eigenes Ornament und eigene Farbe für Sapasky. Dunkle Sapasky sind in Prokurawa, Brustury, Werchowyna, Worochta, Mykulytschyn verbreitet, und helle – in Kosmatsch. Seine erste Sapaska bekommt ein Mädchen schon in der Kindheit, und die zweite wird bereits zur Hochzeit vorbereitet. Man kommt zu Dmytro in den Gruppen von 12 bis 15 Leuten aus verschiedenen Regionen der Ukraine, um Handweberei zu lernen: aus Naddniprjanschtschyna, sowie aus Sloboschanschtschyna. Nach einiger Stunden aber kommen die Lehrlinge schon von Kräften, die Arbeit ist ja schwierig und der Preis der Fehler zu hoch: die Faden verwirren sich und reißen ab, und falls der Meister das sofort nicht bemerkt, soll er alles neu beginnen:
„Wenn ich den ganzen Tag arbeite, kann ich zwei machen. Für eine Frau ein Paar, aber ich muss das von morgens bis abends machen, man darf sich nicht irren, nicht einmal. Ein verpasster Faden und hast du schon Pech. Es ist nicht zu korrigieren. Zehn Zentimeter gemacht – und kannst du schon nichts ändern. Und soll alles neu messen.“
„Zuerst zettelt man an und dann macht das Ketteneinziehen. Man braucht drei Männer, jeder hat was zu tun, sehen sie, wie viel Kobylky es gibt, man macht den Ketteneinzug und wickelt all das auf und dann webt. Solch eine Technologie. Von links nach rechts, ‚somytysja‘ heißt das.“
Dmytro Lyndjuk hat 25 Jahre als Wildheger gearbeitet, deshalb behauptet er zwei Lieblingsbeschäftigungen zu haben. Jetzt hat der Meister viele Aufträge, manchmal sogar für 30 Paare, und muss deshalb die Bestellungen von Kunden manchmal ablehnen. Für die Brautleute zu ihrer Hochzeit schafft er es allerdings immer, weil er weiß, dass man nur auf seiner Webmaschine gemachte Nationaltracht bekommen kann.
In China webt man keine Sapasky
Jetzt kauft der Meister die aus Kyjiw und Belarus gelieferte Akrylfäden. Dabei erinnert er sich daran, dass die Wollfäden die besten waren. Die hat Dmytro selbst mit Farbstoffen gefärbt. Früher haben die Frauen, die sehr feine Fäden spinnen konnten, solche gemacht:
„Jetzt gibt’s keine von diesen Frauen. Die Alten, die das machen konnten, sind nicht mehr da, und es gab auch staatliche Fäden, die Wolle. Früher gab es ein Artel bei uns, man flocht die Hausschuhe, Kaptschary nennen wir sie. Dort waren noch die alten Vorräte, so hab’ ich sie gekauft, etwa 50 Kilos gab es. Das war mehr wie dichte Wolle oder so was, die Motten aber fressen sie schnell, und man soll sie ständig umlegen.“
Handweberei und Handspinnerei sind ja heutzutage nachteilig. Heute kann man alles fertig kaufen, was die Arbeit wesentlich erleichtert. Früher verkaufte Dmytro seine Sapasky auf dem Markt in Kosmatsch und arbeitete an den Bestellungen für ukrainische Ensembles im Ausland – in Amerika und Großbritannien. Der Meister erzählt, dass China jetzt Konkurrenz macht, man fabriziert dort schon die huzulischen Hemden. Sapasky machen sie ja noch nicht:
„Nee, dieses China bleibt zurück, scheint mir. Vielleicht erfindet man was noch.“
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Man soll fit sein, um Sapasky zu machen:
„Die Jugendlichen wollen das nicht machen, diese Arbeit ist so, dass die Körperhaltung aufrecht sein soll, sonst hat man Kreuzschmerzen hier und Brennen dort, man soll auch gesunde Beine haben und gute Augen. Die Jugend von heute hat ja schwache Augen und ist durch und durch schwächlich, hat überhaupt keine Körperhaltung wegen aller dieser Computer und so was. Einst haben bei mir die untauglichen Mädchen Krajky (Krajka – ein Frauengürtel aus bunter Wolle) gemacht. So arbeitet sie eine Stunde und alles macht ihr weh und sie sagt: ‚Ich kann nicht mehr‘.“
„Und ich kann jeden Tag arbeiten, kein Problem. Nichts tut mir weh, Gott sei Dank. Keine Beine, kein Kreuz – gar nichts.“
Familienunternehmen
Die Familie Lyndjuk ist die einzige in den Karpaten, die Sapasky machen kann. Sapasky zur Hochzeit bestellt jedermann bei ihnen. Dmytro arbeitet zusammen mit seiner Ehefrau Marija, die dazu auch Kossytsja (ein bunter Kranz als Kopfschmuck) machen kann. Dieses Handwerk haben sie ihren Töchtern beigebracht: die jüngere Tochter Maritschka webt und zwei ältere arbeiten jetzt in Italien. Als sie nach Hause kommen, helfen sie auch ein bisschen:
„Die Kleine, Maritschka, die schafft es, die andere aber kommt, zettelt flüchtig für ein Paar an und das wär’s. Denn man muss gute Augen haben, wissen sie, es dreht sich so. Sie kommt und macht das für mich. Und die Frau, sie macht es auch, aber es ist schon schwierig geworden. Es ist ja gut jung zu sein.“
Ein Paar von Sapasky kostet 500 Hrywnja und 200 Hrywnja für die Kinder. Die Familie Lyndjuk hat auch ein Familienunternehmen. Nachdem die Frau aus Italien nach 3 Jahren der Aushilfsarbeit zurückgekehrt war, öffneten sie eine Pizzeria. Dass die Töchter nicht daheim sind, bedauert Dmytro nicht:
„Wenn nur es ihnen gut ginge. Sie werden hierherkommen. Sie sind noch jung, die Arbeit ist nicht schlecht. Weiß nicht. Kommt Zeit, kommt Rat.“
Taras Dswintschuk. Postoly
Der Volksmeister Taras Dswintschuk macht im Laufe von beinahe 50 Jahren die traditionellen Schuhe von Huzulen aus Leder, die Postoly. Mit seinen Schuhen versorgt er die Kunden sowohl aus der Ukraine als auch aus dem Ausland. Der Vater hat Taras beigebracht, wie Postoly genäht werden, dieses Handwerk hat er auch von seinem Vater erlernt:
„Mein Vater machte das. Ich war 20 Jahre alt, als er gestorben war. Ich hab’ was dem Vater damals geholfen, konnte was machen. Und so blieb ich hier und begann alles alleine zu machen, da die Menschen kamen. Das Wichtigste war die Grundsätze zu beherrschen und dann hat es mir schon gut gefallen. Es ist ja 46 Jahre, als ich mich damit beschäftige.“
Taras hat seinem Sohn es auch beigebracht. Obwohl er zunächst keine Lust hatte das Talent seines Vaters überzunehmen:
„Die Jugendlichen wollen nicht sich damit beschäftigen. In jedem Dorf gab es die Meister, die Postoly machten, jetzt aber gibt es keine. Ich bin hier geblieben, in Werhowynskyj Rayon. Die Frauen kommen zu mir, weil es dort keine Meister gibt. Man sagt, es gab doch, aber die Alten sind gestorben, und die Jugend hat keine Lust dazu. Und wovon denn soll man in einem Dorf leben? Man sieht sich gezwungen irgendwo nach Polen zu fahren und dortige Pans zu bedienen, denn irgendwie muss man ja am Leben bleiben. Mit dem Leder ist es schlimm. Das Leder ist jetzt zu teuer und schwer zu finden, ich muss irgendwo fahren und danach suchen.“
Anfertigung von Postoly
Man braucht zwei Tage um ein Paar von Postoly anzufertigen: einen Tag, um die Schuhe zu nähen, und den anderen – sie mit der Stickerei oder dem Dekor zu verzieren. Die Postoly werden nur aus Leder gemacht. Der Prozess selbst beginnt mit der Verarbeitung: zuerst soll man das Leder durchweichen, dann es ins Mehl oder in den Kalk legen, und danach auf Kopyto (den Schuhleisten), die Form, die verschiedene Größen hat, aufspannen:
„Na, welche Instrumente denn? Sehen Sie, das ist ja alles. Das Hauptinstrument ist das Kopyto. Es ist auch nicht leicht es auszuformen. Das Kopyto, die beiden eigentlich, sollen irgendwie gleich sein, das eine aber das rechte, und das andere – das linke. Das ist das Wichtigste: Die Schönheit von Postoly hängt von dieser Form, von Kopyto, ab. Ist es gut gemacht, sind Postoly auch schön.“
Durchschnittlich macht der Meister ein Paar oder zwei Paare von Postoly pro Woche. Er kann sich nicht leisten, sich nur damit zu beschäftigen, er soll doch im Gemüsegarten arbeiten, Heu machen, Holz hacken. Das Schwierigste ist nicht die Postoly anzufertigen, sondern den Kunden mit der Bestellung zufriedenzustellen:
„Na ja, ich tu mein möglichstes, aber es gelingt nicht immer so, wie man genau will. Das Leder kann ja auch verschieden sein: härter oder weicher. Man sagte, vielleicht mein Vater sagte, dass die Arbeit für jeden Mensch unterschiedlich vorläuft. Ich mache zum Beispiel für Sie, und es ist leicht, und als irgendeine Frau kommt, kann die Arbeit ins Stocken kommen: Etwas reißt ab und noch was nicht klappt.“
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Die Postoly für Männer und Frauen unterscheiden sich voneinander nur durch Verzierungen:
„Für Männer sind sie größtenteils ohne Verzierungen. Die Ornamente werden mit dem Prägewerkzeug abgedrückt, und für Frauen verziert man mit verschiedenen Fäden und dergleichen, sodass sie glänzen. Wissen Sie, als die huzulische Frau solche Postoly anzieht, sehen die Männer nichts als ihre Füße.“
Die traditionellen Schuhe sind hier fast in jedem Haus zu finden. Sie kosten etwa 600–700 Hrywnja. Die halbe Summe – fürs Leder und die andere Hälfte – für die Anfertigung. Der Meister erzählt, das letzte Element von Postoly nähend, dass man früher diese Schuhe aus Not trug, und nicht bloß weil sie zur Nationaltracht gehörten:
„Das ist der hintere Riemen. Ich nähe noch ein bisschen und die Postoly sind beinahe fertig. Und früher waren die Postoly die Notwendigkeit, man hatte nichts zu tragen und trug sie jeden Tag, im Winter und im Sommer und bekam dann die Löcher. Drauf wurde schließlich das andere Leder genäht. Was für die Not war damals!“
Seine Postoly sah Taras manchmal bei den Zwischenhändlern auf dem Markt:
„Stellen Sie sich vor, man verkauft die bei mir gekaufte Postoly auf dem Markt. Es kam vor, dass ich in einem Kiosk in Kosiw die Postoly sah, die man bei mir für 600 kaufte, und dort waren sie schon 1600. Verstehen Sie, oder? Es geht nur ums Geschäft. Die Menschen möchten irgendwie leichtes Geld.“
Luxus
Früher trug man die Postoly jeden Tag und jetzt gehören sie zu den Luxusartikeln. Man bestellt sie am meisten zur Hochzeit oder zum Ostern:
„Als die Huzulin einst heiratete, wurde diese ganze huzulische Tracht für sie angefertigt. Und sie ging so in die Kirche, ließ sich trauen und schätzte sie so, dass wollte in dieser Tracht, in der sie heiratete, begraben zu werden. An diesen Gebräuchen hält man jetzt wahrscheinlich nicht mehr so fest. Damals kostete es sehr viel. Und man schätzte dann wirklich was einst gemacht wurde. Ähnlich ist es mit Postoly: ich mache sie und eine Frau trägt sie nicht mehr als zweimal pro Jahr, meistens als es draußen trocken ist, sodass sie die Schuhe nicht beschmiert, und lässt sie dann in Ruhe stehen. In diesem Fall dienen solche Postoly 10–20 Jahre.“
Taras ist überzeugt, dass man jetzt nur Postoly für Luxusartikel halten kann:
„Gerade Postoly sind jetzt Luxus. Die Menschen wissen heute nicht, was Not ist. Wer weiß denn? Man lebt ja wohl im Allgemeinen. Neben jedem Haus steht ein Auto, und was für ein Haus, alles ist nicht wie früher; als man damals barfuß und so arm war, jammerte niemand, und jetzt klagt man, dass alles schlecht ist, dass man etwas nicht hat, dass etwas nicht passiert. Und als man früher wirklich in Not war, sprach niemand darüber.“