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Das Meer und der Boden – das sind die wichtigsten ökonomischen Ressourcen von Pryasowja. Diese Region kann nicht mit einer großen Fläche an Ackerland prahlen, wie Prydniprowja, oder mit einem enorm nährhaften Boden, wie Podillja. Aber für die hiesige Bevölkerung, vor allem für Menschen, die weiter vom Meer entfernt leben, ist der Agrarboden die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen.

Das Dorf Perekop ist nicht besonders von der Zivilisation abgeschnitten, bis zur Kreishauptstadt – Genitschesk – sind es 30 km, und bis zum nächsten Kurort Prymorske, der am Ufer des Utljutsker Liman liegt – 12 km. Dieses Jahr wird Perekop 90 Jahre alt und diesen Jahrestag werden etwa 20 Menschen erleben, unter denen auch Jurij Mospan ist, der Besitzer einer Farm, die in Perekop keine Konkurrenz kennt.

Jurij ist hier 1971 geboren. Er ist unerwartet für sich selbst ein Agrarier geworden. 2000 wurde er von seiner Stelle bei einem Radiosender entlassen und hat verstanden, dass er einen neuen Weg suchen muss, um seine Familie zu versorgen. Die landwirtschaftliche Tätigkeit ist zu einer Art Rückkehr zu den Wurzeln geworden, denn noch vor der Wende wurde Tierzucht in Perekop betrieben. So lag es nahe, dass Jurij die Idee hatte, ein Agrarunternehmen in seiner kleinen Heimat zu gründen. In Perekop wohnt seine Mutter und in Genitschesk seine Frau und die Kinder. Er pendelt zwischen den zwei Orten. Über seine Nachbarn sagt er folgendes:

„Im Moment leben 19 Menschen im Ort. Die jüngste ist unsere Soja Iwaniwna, sie ist 67. Ach Nein, die Frau von Wassyl ist auch jung. Er, seine Frau und die Tochter – das ist die jüngste Familie in Perekop. Zwei Nachbarn sind 86 Jahre alt. Das sind die 10% der Langlebigen, die anderen sind über 70.“

Perekop gehört zusammen mit vier weiteren Dörfern zur Oserjaner Gemeinde. Auf dem Papier sind hier in 5 Orten 600 Personen angemeldet. Faktisch ist die Hälfte weggezogen – entweder innerhalb der Ukraine und auf die Krym-Halbinsel, oder nach Russland. Als Folge dessen stehen viele Häuser leer. Für 100 US-Dollar schlägt uns Jurij vor, zwei gute Häuser zu kaufen, denn ungebrauchtes Eigentum gibt es hier massenweise.

Jurij hat hier 9 Gebäude gekauft, unter denen ein Dorfklub, ein Laden, eine Kantine, eine Farm und eine weitere Farm im Nachbardorf sind. Die meisten Gebäude nutzt er zum Lagern der Ernte. Er hat keine Wachleute für deren Schutz, da er sich sicher ist, dass nicht jeder Verbrecher den Weg hierhin findet.

Die Farm

Von der Popularität des Agrarwesens zeugen auch die Zahlen: im Landkreis um Genitschesk sind über 200 landwirtschaftliche Betriebe tätig. Zu den Aktiven von Jurij Mospan gehören über 400 Hektar Ackerland, auf dem Weizen, Gerste und Sonnenblumen angebaut werden. In einem solchen, nicht gerade kleinen, Betrieb arbeiten während der Erntezeit außer dem Besitzer fünf weitere Personen und einige alte Technikeinheiten. Laut dem Farmer bleibt sogar manchmal Zeit zum Erholen, wenn man das Volumen der Ernte und die Auslastung der Technik gezielt regelt:

„Wir sind über dem Soll, zu viel Ertrag. Hier sind die alten Kommunisten, der Arbeitstag beginnt um 8:00 und sie sind schon 7:45 da. Ich bin ein Faulenzer. Immer schimpft mein Partner, ich sei undiszipliniert. Ich komme später, er macht es schon besser.“

Wenn er über seine Angestellten spricht, erzählt Mospan von Onkel Ljoscha mit 20-jähriger Berufserfahrung in einer Kolchose und zwei ehemaligen Mitgliedern der kommunistischen Partei, die nach dem Zerfall in die Landwirtschaft gegangen sind:

„Onkel Ljoscha raucht nur selbstgerollte Zigaretten ohne Filter, aus Prinzip. Und er spart ständig Geld für etwas. Ich weiß zwar nicht, wann er genug hat, er spart aber die ganze Zeit. Wassyl ist aus der Westukraine gekommen und hat alles Fortschrittliche mitgebracht. Und Oleksandr ist unsere Denkzentrale, ein Elektroingenieur, liest nachts Bücher. Er mag es nicht im Mittelpunkt zu stehen, hat aber einen Riesenkopf, da gibt es so viel Wissen – eine Enzyklopädie kann nicht mithalten.“

Jurij erinnert sich, dass sie den ersten Mähdrescher für 2 Tausend US-Dollar gekauft haben – großes Geld zur damaligen Zeit (Anfang 2000er). Vieles von der Technik mussten sie eigenhändig auf Vordermann bringen. Zum Beispiel einen Kran, der Teile für die Reparatur von großen Traktoren heben kann. Ein deutscher Mähdrescher wurde gebraucht gekauft. Der Farmer erzählt, dass sie aus eigenen Fehlern lernen mussten. Als sie einen Traktor kauften, der kurze Zeit später defekt war, und einen Pflug, der nicht gepasst hatte, fing er an mehr Literatur zu lesen:

„Einige Leute machen aus Technik Metallschrott, andere dagegen aus Metallschrott – Technik. Wir gehören zu den letzteren.“

„Er (der Mähdrescher) fährt doch und macht seine Arbeit. Hat bestimmt schon 4-5 Tausend Hektar bedient. Die ,Jonnys‘ schafft nicht mal so viel.“

John Deere
Gemeint ist „John Deere“, ein beliebter Mähdrescherhersteller aus den USA.

Die Dorf-Karrieristen

Die größte Leidenschaft der lokalen Bevölkerung ist die Jagd, denn währenddessen kann man plaudern, aktuelle Themen besprechen.

Jurij Mospan ist abgeordneter des Dorfrats. Aber er möchte nicht seine Meinung zur Politik und zum Separatismus äußern. Er sagt, die Region wäre „bunt“: Manche wären für etwas, andere dagegen. Stattdessen beschwert er sich über die ständigen Kontrollen und die lokale Bürokratie, die ihn dabei stört sein Unternehmen zu führen.

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Der Agrarier erzählt, wie er einmal eine Prämie für die beste Produktivität im Landkreis erhalten hatte. Diese Geschichte klingt wie ein trauriger Gruß aus der Vergangenheit, erinnert sie doch zu sehr an die Übererfüllung des 5-Jahres-Planes. Einige Bauern, welche Jurij „Karrieristen“ nennt, geben große Ernteergebnisse an, um als die Besten ausgezeichnet zu werden. Als die durchschnittliche Ernte im Kreis 42 Zentner betrug, hatte Jurij 45 erreicht, so hat er damals die Auszeichnung erhalten. Aber sie hat keine große Freude bereitet. Mit ihr fingen auch Kontrollen an und später sogar eine Strafe über 1.600 Hrywnja. So vermeidet er nun öffentliche Bekanntmachungen seiner Ergebnisse und scherzt zu diesem Thema:

„Die einen arbeiten doch für die Karriere und die anderen für sich selbst.“

In den wenig besiedelten ukrainischen Dörfern werden oft Häuser zu einem kleinen Preis gekauft um für Baumaterial auseinandergenommen zu werden. Das Gleiche passiert auch mit ehemaligen Verwaltungsgebäuden, die man für andere Geschäftszwecke nutzen könnte.

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Die meisten Gebäude in Perekop sind aus Muschelkalk errichtet, einem Baumaterial, das momentan nicht mehr aus der Krym eingeführt wird. So ist es für die Besitzer günstiger, das Gebäude mit einem Wert von 2 oder 3 Tausend Hrywnja abzureißen und das Material zu verkaufen. Jurij Mospan ist einer von denen, die dieses grausame Schauspiel nicht sehen möchten: ein Dorf ohne Dächer. Er meint, er „verliere“ besser 20 Tausend Hrywnja, in dem er diese Häuser kauft, nur damit er nicht inmitten von ruinierten Gebäuden wohnen muss:

„Über die Häuser sollte ich nicht so viel erzählen. Denn wenn jemand rausfindet wie viele von denen ich hier besitze, werde ich noch für einen Kyjiwer Oligarchen gehalten und mit Steuern belastet.“

Eine risikoreiche Landwirtschaftszone

Eines der Probleme in der Region ist der Mangel an Süßwasser, besonders in den letzten heißeren Jahren. Darunter leidet nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Natur, die Felder. Jurij erklärt, dass auf den hell-kastanienfarbigen salzigen Böden die Ernte magerer ausfällt, denn dieser Grund gilt als eine „risikoreiche Landwirtschaftszone“.

„Während man in der Region Saporischschja in einer schlechten Saison 20 Zentner Sonnenblumenkerne aus einem Hektar erreichen kann, sind es bei uns 20 in einer guten. In einer schlechten waren es vor kurzem 60 Kilogramm, als es komplett trocken war.“

Zu den Umwelt- kommen manchmal auch kommunale Bedingungen hinzu – das Wasser „bekommt“ man nur einmal in zwei Tagen. Nach Jurijs Initiative wurde daher im Zentrum des Ortes der alte Brunnen gereinigt und eine neue Quelle errichtet. Das Wasser dient aber für technische Zwecke, für Trinkwasser muss man sich an den Dorfrand begeben. Es wurde weiterhin durch eigene Bemühungen ein tieferer Reserve-Brunnen geschaffen.

Unerschöpflicher Enthusiasmus

Ökotourismus wird immer populärer in der Ukraine. Wir haben schon einige Artikel zu diesem Thema aus verschiedenen Regionen geschrieben. Auf die Frage, ob in Perekop sich diese Art von Tourismus entfalten könnte, reagiert der Farmer skeptisch:

„Das wäre eher extremer Tourismus, eine harte Art. Aber um das alles in schöneren Farben darstellen zu lassen, so sind wir hier, das kann man sagen, Patrioten. Ich bin auch auf eine bestimmte Weise ein Patriot.“

Ungeachtet gelegentlicher Konflikte mit dem bürokratischen System, einer beinahe völligen Abwesenheit einer Infrastruktur, ständigen Wassermangels und des salzigen Grundes, arbeiten Jurij und sein Team schon seit 17 Jahren auf diesem Boden und sein Enthusiasmus nimmt mit der Zeit nicht ab. Es scheint, dass die Gefühle der Naturverbundenheit und Herr auf dem eigenen Stück Land zu sein, die vielen Ukrainern bekannt sind, die wichtigste Motivation für Jurij Mospan sind in Perekop zu bleiben und sein Betrieb von Jahr zu Jahr voranzubringen. Er stellt sich selbst eine Frage und gibt eine unerwartete aber dennoch unglaublich simple Antwort:

„Wozu brauche ich dieses Perekop? In der Stadt habe ich alles. Ich weiß es nicht. Ich bin glücklich, wenn alle gesund sind und reich, wenn ich eine Schachtel Zigaretten in der Tasche habe. Mehr brauche ich nicht.“

Wie wir gefilmt haben

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Iryna Oparina

Redakteurin:

Tetjana Rodionowa

Fotograf:

Serhij Korovajnyj

Kameramann:

Dmytro Ochrimenko

Filmeditorin:

Marija Terebus

Regisseur:

Mykola Nossok

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

Transkriptionistin:

Anna Drahula

Folge der Expedition