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Ganz am Anfang des Projekts Ukraїner haben wir uns als Ziel gesetzt, die kulturelle, ethnische, gastronomische und historische Vielfalt der Ukraine zu zeigen. Und eine der am meisten besprochenen Geschichten von uns was unsere Reportage aus den drei Roma-Dörfern in Transkarpatien. Danach haben wir uns entschieden, dass wir in jeder Region unserer Expedition zumindest eine Geschichte dem Roma-Thema widmen werden. Und schon bei der Suche nach unseren Protagonisten haben wir verstanden, wie es schwierig ist, die Geschichten von erfolgreichen und aktiven Roma zu finden, weil Erfolg für viele Roma mit Verzicht auf eigene nationale Identität verbunden ist, um die Diskriminierung zu vermeiden. Lwiw ist eine der größten Tourismus-Metropolien der Ukraine, es ist die Stadt, wo man so viele Sprachen am Hauptplatz gleichzeitig hören kann. Aber diese Stadt ist auch durch einen Mord im Roma-Lager bekannt. Und wir möchten gerne die Geschichten von zwei Roma aus Lwiw erzählen, die mit ihren Beispielen die Roma-Gemeinde selbst, sowie die Stellungnahme zu den Roma ändern.

In Lwiw und in der Lwiw Oblast wohnen ca. 700 Roma. Die alle sind angesiedelt, haben Dokumente, ihre Kinder besuchen Schulen und auch Hochschulen. Unter diese Roma gibt es Leiter der Vereine, erfolgreiche Unternehmer und CEOs von großen IT-Firmen. Beim Treffen können sie ruhig sagen: “Servus, ich bin ein Rom!” und trotz allen Stereotype und Diskriminierungen wegen ihrer Nationalität sind sie erfolgreich und erzählen verschiedene aber doch irgendwie ähnliche Geschichten. Die Geschichten sind über Roma, die im Herzen Galiziens leben, dort studieren und arbeiten.

Verein „Roma der Ukraine Ternipe“

Einer der ersten Roma-Vereine in der Ukraine ist „Roma der Ukraine Ternipe“. Der Verein wurde von einer Gruppe der galizischen Roma 1998 gegründet. Die erste Initiative des Vereins war die Teilnahme an einem Projekt, das von der IOM finanziert wurde. Dessen Ziel war die Unterstützung von Roma-Opfern des Holokausts. Seitdem realisierten die Vereinsmitglieder dutzende Projekte in verschiedenen Sphären: Rechtsschutz, Ausbildung und viele andere. „Ternipe“ ist einer der Mitgründer vom ersten „Roma-Kongress der Ukraine”, von der Roma-Rechtsschutzorganisation „Tschatschipe“. Die Mitglieder der Organisation nahmen auch am Roma-Rat der Ukraine teil.

Im Laufe von 20 Jahren hat der Verein sehr viel für den Kampf gegen Diskriminierung und Stereotype der Roma erreicht.

Mykola

Mykola Jurtschenko leitet den Verein „Roma der Ukraine Ternipe“ seit seiner Gründung. Er erzählt, dass zuerst es eine Jugendorganisation eigentlich gab:

„Wir haben uns in Lwiw versammelt und auch andere Vereine und Jugendorganisationen zur Präsentation von uns eingeladen. Es hat sogar Fernsehen dabei gegeben, so öffentlich hat alles stattgefunden. Und wir haben auch andere Roma-Leiter dabei kennen gelernt, es sind Leute aus Odessa, Transkarpatien, Kyjiw gewesen, echt viel los.“

Unser Hauptziel war, über unsere Roma Nationalität öffentlich zu sprechen, die Stereotype zu eliminieren und das wahre Leben von Roma zu zeigen:

„Das sind ganz normale Menschen, so wie alle andere Nationalitäten. Reich und arm, gut und böse. Das sind ganz einfache Menschen. Und die negative Stellungnahme zu den Roma können wir nur durch unsere ausgebildeten Jugendlichen ändern.“

Deswegen arbeitet „Ternipe“ mit den Jugendlichen und organisiert diverse Veranstaltungen und Seminare:

„Jedes Jahr studieren mehr und mehr Jugendliche von uns. Und es ist klar, dass es deswegen Entwicklungen gibt. Je mehr junge Leute studieren, desto schneller werden die Roma in die Gesellschaft integriert und desto schneller eliminieren wir den bereits existierenden negativen Stereotyp.“

Die Situation mit der Ausbildung für die Roma wird schon besser. Früher haben die Kinder kaum 9 Klassen beendet, jetzt beendet die Mehrheit der Kinder die Schule und lässt sich an Universitäten, Fachhochschulen und technischen Fachschulen immatrikulieren.

Mykola fügt hinzu, dass die Wirtschaftslage der Ukraine dabei eine wesentliche Rolle spielt, und man im Verein intensiv daran arbeitet, dass die Roma mit dem Hochschulabschluss sich auch beruflich entwickeln könnten:

„Es gibt doch so ein Vorurteil, dass die Roma nicht Leitungspositionen haben können. Aber wir haben doch schon solche Beispiele, und ich hoffe, dass noch viele mehr kommen und die Leute endlich verstehen werden, dass hier man nicht auf Weiß, Schwarz, Grün teilen darf.

2014-2016 hat der Verein „Roma der Ukraine Ternipe“ ein Praktikaprogram für die Roma-Jugend bei den staatlichen Behörden gestartet. 2014 haben drei Lwiwer Studenten Praktika beim Stadtrat gemacht, 2015 wurde dieses Program in sechs Regionen der Ukraine durchgeführt, und 2016 – in neun:

„Man wollte sie nicht dabei haben. Abgeordneten mussten sich sogar einmischen, wir haben auch viele Briefe dazu geschrieben, aber es ist so interessant, dass die Staatsbeamten ihre Meinung doch geändert haben. Wir haben auch kurze Videos mit Handy gemacht, wo ein Beamter sitzt und sagt: ‚Ich könnte es mir kaum vorstellen, dass ein Zigeuner bei mir hier sitzen und etwas auf der Testatur machen wird. Aber nach einer Woche wurde die Meinung anders – Wolodja ist ein sehr interessanter junger Mann und kennt sich gut aus‘. Und noch nach einer Woche bekam er ein Stellenangebot beim Stadtrat.“

Noch ein erfolgreiches Projekt von „Roma der Ukraine Ternipe“ ist die Schule des öffentlichen Aktivismus, die von den Jugendlichen aus neun Regionen der Ukraine besucht wurde. Jungen und Mädchen lernten, wie man moderiert und facilitiert. Und dann später wurden die Teilnehmer zum Gründer-Team der Ukrainischen Roma-Stiftung in Lwiw eingeladen:

„Wir machen solche Treffen, weil die Jugendlichen, die kennen einander,  Kontakte zueinander haben müssen. Und so in ihrem Kreis machen sie eigene Projekte auch vor Ort.“

Mykola meint, dass Transkarpatien auch in Ausbildung ziemlich problematisch ist, weil die Eltern keine gute Arbeit dort haben, jede Familie 7-8 Kinder und dabei keine Möglichkeit hat, jedes Kind auf die Schule normal vorzubereiten. Wenn die Behörden mit den lokalen Vereinen da intensiv arbeiten würden, könnte man eine gute Lösung schon finden.

„Roma haben oft eine Situation, dass ihre Kollegen von Stereotypen gesteuert sind. Deswegen halten die Roma oft ihre Nationalität geheim. Und manche können das nicht aushalten und verlassen Schulen und Universitäten.“

Mykola sagt, dass es noch komplizierter für Roma ist, eine Ausbildung sowie einen Arbeitsplatz zu bekommen, weil sie gezwungen sind, immer jemandem etwas zu beweisen:

„Und so ist es immer bei uns. Wenn unser Student eine Hochschule beendet, es war doppelt so kompliziert für ihn, im Vergleich zu einem anderen Kind, weil er gezwungen war, die Last der Stereotype zu tragen. Und diejenigen, die es doch schaffen, werden zu wirklich sehr guten Fachmänner und -frauen.“

Viele Roma sind auch als Unternehmer in Lwiw tätig. Sie verkaufen Bier, arbeiten bei Taxi, Frauen arbeiten auch in Lokalen als Küchenhilfe. Sie fahren auch nach Polen, Italien, um als Koche und Küchenhilfe zu arbeiten.

Und es gibt sehr wenige Roma, die Leitungspositionen haben, es gibt auch keine Roma-Abgeordneten. Mykola erinnert sich, dass es in Uschhorod nur zwei Abgeordnete gibt, und das ganze Transkarpatien kennt sie:

„Ich hoffe, dass die Stellungnahme bei uns anders wird, man nicht die Hautfarbe oder die Nationalität beachten wird, sondern die Fertigkeiten und die Fähigkeiten des Menschen. Dann wird alles funktionieren.“

Servus, ich bin ein Rom!

Manche Roma haben eine hellere Hautfarbe und nicht so ein typisches Aussehen und sie verschweigen oft ihre eigentliche Nationalität zwecks einer einfachen Integration in die Gesellschaft, aber Myloka schwieg nie über seine Nationalität, obwohl er eine helle Hautfarbe und einen ukrainischen Namen hat. Als er jünger war, sprach er einfach nicht so laut darüber:

„Ich komme aus einer Sento-Gruppe von Servitka-Roma, bei uns sind alle so hell. Das sind die sogenannten ‚ukrainischen Roma‘. Wir alle haben normalerweise ukrainische Familiennamen. Mein Familienname ist Jurtschenko.“

Beim Studium sprach Mykola nie darüber, dass er ein Rom ist, damit die anderen keine Stereotype oder keine skeptische Stellungnahme hätten. Genau so benehmen sich viele Roma in der Arbeit:

„Später dann konnte ich darüber auch offen sagen, aber für die anderen war ich kein Rom, sondern Mykola, verstehen Sie. Also kennen sich unsere Leute schon aus, die sagen nichts über eigene nationale Identität, wenn sie wollen, dass man sie gut empfängt und sie eine Stelle bekommen. Und dann schon später, wenn sie akzeptiert worden sind, wagen sie zu sagen, wer sie eigentlich sind.“

Mykola sagt, dass es zum Glück auch solche Unternehmen gäbe, die die Nationalität nicht beachten, sondern die Fähigkeiten der Mitarbeiter für sie die Hauptrolle spielt:

„Wenn man sein Geschäft entwickeln möchte, dann schaut man nicht, wie der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin aussieht, sondern was sie mitbringen können. Dann wird jede Seite in dem Fall zufrieden sein.“

Iwan

„Ich heiße Iwan Korschow, ich komme aus Lwiw. Ich bin ein Rom“. So fängt das Gespräch CEO eines der größten IT-Unternehmen der Ukraine „Infopulse“.

Er hat nie seine Nationalität verschwiegen und sein Beispiel hat bewiesen, dass es keinen Unterschied zwischen Roma und anderen Ukrainern gibt. Der Erfolg hängt nur vom Wunsch, sich zu entwickeln, sowie von der persönlichen Entwicklung jedes einzelnen Menschen:

„Ich war immer so, ich würde es mir nie erlauben, meine nationale Identität zu verschweigen. Und wenn man mir sogar sagte: hey, Wanja, du könntest ja schweigen, sag nicht, dass du ein Rom bist, na wer weiß, du bist doch im Prinzip hell. Ich benahm mich umgekehrt, das erste, was ich beim Treffen machte, stellte ich mich so vor: ‚Servus, ich bin ein Rom. Ich heiße Iwan‘. Und das war immer ein Kampf für mich, und ich war auf diese Herausforderung vorbereitet.“

In der Familie von Iwan gab es keine Fragestellung, ob er eine Ausbildung bekommen soll. Seine Eltern und beide Großeltern – alle haben einen Hochschulabschluss. Iwan musste nur auswählen, was er im Leben gerne machen möchte:

„Von Kindheit an hatte ich immer Privatlehrer. Ich lernte Astronomie, Physik und viele andere interessante Sachen noch vor der Schule. Und die Frage des Berufs war für mich offen. Ich habe sehr lange gewählt, deswegen habe ich schon bereits drei Hochschulabschlüsse: International Affairs, Projektmanagement und als ich schon beim Stadtrat arbeitete habe ich noch an der Ukrainischen Katholischen Universität Public Administration studiert.“

Und während seines Studiums hörte Iwan oft Witze über seine Nationalität:

„Wissen Sie, als die Leute hören, dass ich ein Rom bin, sagen sie gleich: ‚Und kannst du singen und tanzen? Und wahrsagen?‘ und ich so: ‚Na hey, come on guys, ich bin gleich wie ihr. Ich ging zur Schule in Lwiw, ich studierte an der Uni. Wieso denn wahrsagen? Ich kann schon singen, aber das bedeutet nicht, dass ich sowas immer machen muss…‘.“

Iwan ist einer der Aktivisten von „Ternipe“. Während seines Studiums an der Universität wurde er zu einem der Teilnehmer des Roma-Jugendprograms und machte sein Praktikum beim Lwiwer Stadtrad, später bekam er eine Arbeitsstelle dort:

„Und so wurde ich zum Leiter der IT-Abteilung. Und es war ziemlich erfolgreich, soweit ich weiß. Es gab ganz viele dinge, die wir überhaupt zum ersten Mal in der Ukraine machten, und es war wohl ziemlich seltsam zu hören, dass ein Rom bei der IT-Abteilung arbeitet und dazu noch als Leiter und dabei er was Neues schafft, was es noch in anderen großen Städten gar nicht gibt.“

Später kam Iwan in eine IT-Firma und somit bewies, dass die Roma ganz normal als CEO bei großen Firmen arbeiten können:

„Es war so ein Moment, ich musste mich weiter entwickeln. Das IT-Unternehmen, mit dem wir damals eine Zusammenarbeit gehabt haben, öffnete einen Firmensitz auch in Lwiw und ich war genau derjenige, den sie in dem Moment wirklich gebraucht hatten. Jetzt leite ich die Filiale dieses Unternehmens nicht nur in Lwiw, sondern auch in Tschernihiw.“

Die Integration der Roma in die Gesellschaft wird aktuell am meisten besprochen, weil viele von ihnen noch immer geschlossen vor den anderen Nationalitäten sind.

Iwan sagt, dass viele Roma keine Ausbildung haben und deswegen es auch zu Problemen beim Umgang mit anderen Nationalitäten kommt. Manche davon beherrschen die Sprache nicht. Und das ist schon ein ernsthaftes Problem: die Geschlossenheit der Roma:

„Nach dem zweiten Weltkrieg, wenn fast die Hälfte der Roma-Bevölkerung vernichtet worden war, haben wir uns noch mehr geschlossen. Wir sprechen weder darüber, was bei uns intern los ist, noch für die Öffentlichkeit. Wir wollen nicht, dass unsere Gesetze nicht beachtet werden, unsere Sprache verschwindet und so weiter. Von unserer Seite gibt es keine Möglichkeiten für die normale Integration in die ukrainische Gesellschaft.“

Das dritte Problem, so Iwan, sind die alten Stereotype, die oft gleichgültig machen:

„Es gibt so viele Stereotype über uns. So, wenn du ein Rom bist, musst du unbedingt stehlen oder wahrsagen, betteln oder Drogen verkaufen. Und wenn du das zum ersten Mal hörst, ist es einfach lustig, zum zweiten Mal ist es schon lächerlich, zum dritten Mal nervt das und zum vierten Mal reagierst du darauf einfach nicht. Und du verschließt dich, du reagierst einfach auf gar nichts von Außen, dann kommt es zu den meisten Missverständnissen. Das sind sowohl wir, als auch die anderen schuld.“

Iwan ist ein Mitglied der Nationalen Auswahlkommission der Roma Ausbildungsstiftung, die schon seit 10 Jahren die Roma der Ukraine und der anderen Ländern bei Ausbildung unterstützt. Iwan war auch ein Teilnehmer dieses Programms:

„Ich sehe jetzt so viele Jugendlichen, die nach Ausbildung gestrebt sind, diese jungen Roma, die wirklich was ändern wollen. Ich bin davon überzeugt, dass gerade solche Jugendlichen uns fehlen, die werden schon eine normale Integration von uns in die Gesellschaft schaffen und dadurch wird uns die Gesellschaft auch normal wahrnehmen.“

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Maryna Odnorog

Redakteurin:

Jewhenija Saposchnykowa

Projektproduzentin:

Olha Schor

Fotograf:

Dmytro Bartosch

Kameramann:

Oleg Solohub

Pawlo Paschko

Regisseur:

Mykola Nossok

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

Transkriptionist:

Anna Lukasewytsch

Folge der Expedition