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Serhijiwka ist ein Erholungsort in Bessarabien, nahe Odessa. Jedoch unterscheidet er sich vom Nachbarort Satoka deutlich. Es gibt weniger Lärm hier, keine nächtlichen Partys und teuren Ausflugsschiffe. Der Lebensrhythmus ist hier ruhiger, was seine Vorteile hat. Serhijiwka ist ein balneologischer Kurort, in dem man zur Genüge baden, Mineralwasser trinken oder sich mit Heilschlamm behandeln lassen kann. Dennoch entspannen sich hier bei weitem nicht alle gemütlich in der Sonne. Die Ortschaft am Ufer des Budakier Liman ist nämlich außerdem das lokale Zentrum des Segelsports. Hier trainieren Jugendliche auf kleinen Segelbooten regelmäßig die Naturgewalten zu bändigen und messen ihre Kräfte. Sie sind Schüler der Segelsportschule, die von Wjatscheslaw und Oleksandr Smetanka gegründet wurde. Ihre Boote eilen um die Wette den Liman entlang, Richtung des Schwarzen Meeres. Die einen üben erst sich unter dem (Segel-)Baum hinweg zu ducken, damit sie nicht eine auf dem Kopf abbekommen, und die anderen Kinder sind schon ukrainische Meister im Segelsport, die sicher am Steuerrad stehen.

Wjatscheslaw Smetanka lädt uns ein, in einem der Zimmer der Erholungsstätte „Wodnyk“ zu übernachten, solange in der Segelsport-Schule die Saison noch nicht wirklich angefangen hat. Diese Stätte hat er eigenhändig erschaffen: Er baute Holzpavillons und verschaffte Zugang zum Liman durch das Schilf, sodass man von hier aus mit den Booten ins Meer segeln könnte. Er fährt einen alten Lada und ist einer der wenigen hier, der sich mit uns auf Ukrainisch unterhält, auch wenn er zugibt, dass er sich mehr an die russische Sprache gewöhnt hat. Er sagt, Russisch wäre in Bessarabien früher die Sprache der Sowjet-Militärs gewesen, die hierher kamen, um ihr Rentendasein auf der Datscha inmitten des von der Sonne verwöhnten Obstes und Gemüses zu verbringen. Wjatscheslaws Vater ist auch ein Ex-Militär. In Kasachstan hat er seine zukünftige Ehefrau kennengelernt: beide wurden bei der Neulandgewinnung eingesetzt. Wjatscheslaw weiß noch, dass er sich von Kindheit an fürs Segeln interessiert hat:

„Ich wurde schon hier geboren, in Serhijiwka. Mit 8 Jahren, also vor fast 50 Jahren, fing ich mit dem Segelsport an, später habe ich auch meinen jüngeren Bruder dazu verleitet.“

Dieser Sport hat ihn so sehr begeistert, dass er sich als Ziel gesetzt hat, im Heimatort eine Schule zu gründen, an welcher man große internationale Wettkämpfe durchführen könnte. Und so kamen bereits in den 90-er Jahre junge Sportler aus Großbritannien hierher.

Die Segel-Partnerstadt von Serhijiwka

„Bei uns sagt man Bruderstädte, und sie sagen ‚sister town‘“, erzählt Wjatscheslaw über das Örtchen Rotherham, aus welchem die Yachtmen für den Wettkampf in die Ukraine kamen. Gelegen in der Grafschaft South Yorkshire an den Ufern des Flusses Don, ist Rotherham eines der Zentren des Segelsports in England. Fans des Segelns trainieren hier am Ufer des Stausees. Lokale Yachtclubs konkurrieren um Besucher und veranstalten regelmäßig Wettkämpfe. Unwichtig, ob man erst Anfänger ist, oder bereits Erfahrung hat: hier findet man einen Ort, an dem es angenehm zu trainieren ist.

Oleksandr und Wjatscheslaw haben einst ein Abkommen zwischen dem Lyzeum von Bilhorod-Dnistrowsk, dem Ort Serhijiwka und den britischen Ausbildungsstätten abgeschlossen, damit Kinder Erfahrungen austauschen konnten. Studentische ehrenamtliche Helfer aus Großbritannien haben beim Englischunterricht in der Ukraine mitgeholfen, und ukrainische Kinder haben an Segelwettkämpfen im Ausland teilgenommen. Wjatscheslaw ist auf dieses Projekt stolz:

„Wir hatten mal ein Treffen mit dem Premier-Minister. Ich habe noch irgendwo ein Foto: der Premier von Großbritannien, mein Bruder, ich und unsere Kinder.“

Dank der „Volksdiplomatie“ von Wjatscheslaw übergaben die Briten Geräte für die Einrichtung des Ambulatoriums in Serhijiwka, einen Rettungswagen und Medikamente. Einfach so, ohne etwas im Gegenzug zu verlangen. Die Zusammenarbeit mit Großbritannien hat 5 Jahre gedauert. Später haben sich in diese Geschichte die ehemaligen „Staatsapparat-Mitarbeiter“ eingemischt, von denen es keinen Nutzen gab, und das Projekt wurde beendet. Nun ist die Zeit gekommen, es wiederzubeleben, findet Smetanka.

Die Segelschule und ihre Schüler

Wjatscheslaw sieht für die Entwicklung des Segelsportes große Perspektiven in den südlichen Erholungsorten der Ukraine:

„Wiederum die Engländer haben an jedem kleinen Teich irgendwelche Boote, einen Instrukteur, der erklärt, wie man sie bedient.“

Nach der Meinung des erfahrenen Trainers, bietet der Segelsport nicht nur die Möglichkeit, an Wettkämpfen teilzunehmen. Er gibt den Kindern auch die Möglichkeit, vielfältiges Wissen und Fähigkeiten zu erlangen:

„Man muss die Gewalten des Wassers und des Windes zu bändigen können; die Konstruktion des Bootes kennen; Knoten binden können; die Segel aufstellen; Nägel schlagen, wenn es sein muss; nicht ertrinken, schwimmen können. Vieles muss man beherrschen.“

Er erwähnt auch das dicke Buch mit den Regeln der Segelwettkämpfe, die man auch lernen muss. Er sagt, dass dieses Wissen auch im späteren Leben hilft.

Wenn man ganz früh lernt, das Segeln zu beherrschen, sei es später einfacher sich etwas anzueignen. Solche Kinder wären laut Wjatscheslaw locker in der Lage z.B. Auto fahren zu lernen. Die körperliche Belastung helfe auch dabei, die Gesundheit der Kinder zu stärken. Der Trainer meint, jene, die segeln, werden selten krank, über dem Wasser gebe es keine solchen Krankheitserreger wie in der Stadt.

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Auf der abgenutzten Werbetafel, die auf dem Gelände der Schule installiert ist, ist ein Foto von lächelnden Kindern zu sehen:

„Das sind unsere Kinder bei der Europameisterschaft letztes Jahr. Die anderen sehen, dass alle hingefahren sind und wollen auch mit.“

Wjatscheslaw Smetanka erzählt, wie neue Schüler zu ihm kommen:

„Manch einer hat viel Jules Verne gelesen, ein anderer hat irgendwo etwas vom Segeln gelesen oder welche gesehen. Einige wollen die Welt sehen, etwas Neues probieren. Kinder sind halt Kinder.“

Alle Schüler nennt der Trainer seine Kinder. Er möchte niemanden hervorheben. Er sagt, es gab viele Meister ihrer Altersklassen. Es gebe auch solche, die aufgrund des Alters bereits von diesem Sport fernbleiben:

„Sie sind schon erwachsen, über 40. Es gibt auch junge. Dort ist meine Patentochter – eine ukrainische Meisterin auf dem ‚Optimist‘.“

„Optimist“
ein Ein-Mann-Rennboot, sog. Schwertboot, internationaler Klasse, welches für das Aneignen der Grundlagen des Segelsports bei Kindern eingesetzt wird.

Man spürt, dass Wjatscheslaw auf vieles stolz sein kann, aber er spricht über seine professionellen Erfolge nicht so gerne:

„Ich bin nicht mehr als Trainer tätig. Bin schon seit vielen Jahren nur ein Administrator hier, kümmere mich um die Stätte, führe Wettkämpfe durch und bin dabei als Schiedsrichter tätig.“

Auf die Frage danach, auf wen er am meisten stolz ist, nennt Wjatscheslaw Smetanka den Namen seines Bruders:

„Oleksandr hat von mir den Staffelstab übernommen und kümmert sich täglich um die Sache hier.“

Am Tag des Interviews mit Wjatscheslaw ist es uns nicht mehr gelungen, mit seinem jüngeren Bruder zu sprechen. Bedauerlicherweise ist am 14. Oktober Oleksandr Smetanka nahe Odessa ums Leben gekommen. Er wurde im eigenen Fahrzeug auf dem Meeresgrund gefunden.

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Das Training

„Hebt den Bug. Sascha, hilf mit! Höher! Hop, heben! Matvij, du musst ihm helfen. Helfen! Schneller! Umdrehen!

Kyjiwer Trainer Ihor Leontschuk gibt seine Anweisungen an die Jungs, die ihre Boote ans Ufer ziehen. Er ist mit seinen Schülern hier in Serhijiwka zu Besuch. Ein solches Boot wiegt ca. 100 kg, also können es nur 9 Jungen vom Fleck bewegen. Einer von ihnen schaut schon grimmig vor Erschöpfung:

„Ich sagte schon zweimal „umdrehen“.

In der Zeit macht der Trainer weiter:

„Zweites Boot: Weniger Worte, mehr Taten! Hebt den Bug! Den Bug hierhin — das Heck dorthin! Nächstes Boot, los geht’s!“

Eine andere Gruppe bereitet sich auf den Seegang vor. Die Jungs erzählen uns begeistert, wie ihre Boote funktionieren, wie man ein Spriet reinsetzt (einе schmale Stange, die mit einem Ende am unteren Teil des Mastes gestützt ist und mit dem anderen Ende an der Ecke des Segels, und es auf diese Weise spannt, — Aut.) und warum der Mast gesichert werden muss. Sie sind bereit jedes Wort des anderen zu korrigieren, nur damit sie den Erwachsenen beweisen können, dass vor ihnen erfahrene Segler sind. Die Rettungsweste hat jeder an: egal ob Schwimmer oder Nichtschwimmer.

„Man schafft es eventuell nicht zu reagieren, wenn das Segelboot unerwartet dreht“, sagt einer der Jungen.

Auf dem Liman erkennt man einige Segel. Die Schüler von Ihor Leontschuk lernen es, den Wind zu spüren und das Segelboot zu drehen. Neulinge üben zunächst mit erfahreneren Kameraden, um sich schrittweise an das Boot zu gewöhnen und die Angst zu überwinden. Dann, bei gutem Wetter, erlaubt es ihnen der Trainer, allein aufs Wasser zu gehen. Diejenigen, die mehrere Jahre segeln, steuern das Boot sicherer.

„Roman, zeig uns einen ‚Überschlag‘“ (das Drehen des Bootes gegen den Wind — Aut.), sagt die Stimme von Ihor aus dem Lautsprecher. Er manövriert auf dem Motorboot zwischen den Schülern und gibt Ratschläge für die bessere Ausführung bestimmter Elemente. Roman dreht den Lenker in die falsche Richtung und das Boot hört nicht auf ihn. Ihor ist betrübt:

„In die andere Richtung das Steuerrad! Nicht verwechseln, bitte.“

Der Junge gibt sich Mühe. Seine Aufgabe für heute — manövrieren üben. Roma macht wieder einen Bogen: geht unter dem Baum, setzt sich um und wechselt die Hand. Schon besser, aber der Trainer verlangt eine perfekte Ausführung:

„Warum schaust du nach unten, Roman? Man muss nach oben schauen, auf das Segel, um zu sehen, wie du den Wind gekriegt hast.“

Baum
ein gekrümmtes Holz, mit einem Ende beweglich mit dem unteren Teil des Mastes verbunden. Auf dem Baum wird der untere Bereich des Segels gespannt
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Inzwischen sind erste Schiffe schon am Ufer. Der Sand ist sauber, das Wasser rein und warm. Um hierher aus Serhijiwka zu gelangen, muss man ein Kilometer auf der Brücke laufen. Sie wurde bereits 1972 erbaut, um das Festland mit der Geschiebebank im Meer zu verbinden. Nicht jeder Urlauber ist für diesen Spaziergang bereit. Ihor freut sich dagegen.

„Weniger Urlauber, weniger Musik. Wir mögen diesen Ort.“

Von Zeit zu Zeit setzt er sich an diesem Ufer mit seinem „Öko-Landekommando“ ab. Zusammen mit seinen Schülern räumen dieses Gelände auf.

„Wir möchten, dass ein Teil des Strandes weiß und schön aussieht.“

Pläne für die Zukunft

Zusammen mit Gleichgesinnten hat Wjatscheslaw Smetanka noch eine Jugend-Segelschule in Odessa gegründet. Jedoch ist er überzeugt, dass es möglich wäre, viel mehr zu schaffen, wenn absurde Gesetze manchmal nicht im Weg stehen würden. Seiner Meinung nach, könnten in den Ausbildungszentren auch Instrukteure unterrichten, jedoch dürfen das per Gesetz nur „Lehrer“, also Personen mit einer Hochschulausbildung tun. Ihn regt auch die Tatsache auf, dass selbst ein Gummiboot angemeldet werden muss:

„Sagt mir bitte: Wenn ich also ins Ausland flüchten wollte, muss ich doch wahnsinnig sein, um mit so einem Boot aufs Schwarze Meer hinaus zu fahren! Ist es dann nicht einfacher, die Grenze zu Polen oder Rumänien zu überqueren und sich da zu ‚verlaufen‘? Wozu der ganze Zirkus?“

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Wjatscheslaw ist sich sicher, dass es überall wo es Wasser gibt die Möglichkeit geben muss, segeln zu lernen:

„Und noch besser — Yachting. Im Sport muss man nur der erste sein, der beste, und Yachting ist dafür sogar besser. Du beherrschst die Segel und kämpfst nur mit dir selbst“, sagt Wjatcheslaw.

Er träumt auch davon, in Serhijiwka zweiwöchige Kurse anzubieten, während welcher er Kindern aus anderen Regionen der Ukraine das Segeln beibringen könnte:

„Damit sie uns mit dem großartigen Ruf ‚junger Steuermann von so und so einem Schiff‘ verlassen. Wenn im Laufe eines Sommers 2-3 Tausend Kinder an diesem Programm teilnehmen würden, wäre das sehr gut.“

Für das Realisieren dieses Projektes fehlt es der Schule an Booten. Im Moment trainieren hier nur 15-20 Schüler. Es müssen Zimmer für die Besucher fertiggebaut und eingerichtet werden. Laut Wjatscheslaw, fehlt es für das Fertigstellen der Arbeiten lediglich an Geld:

„Wenn der Finanzapparat des Landes ins Laufen kommen würde, würde ich hier so ein Schmuckstück erschaffen. Hierher würden Tausende Leute kommen. Aber so, ins Schilfgras, möchte keiner steigen. Ach doch, einige möchten das: dort drüben singen Vögel, für sie ist es angenehm und für Menschen nicht besonders.“

Wjatscheslaws Meinung nach, ist Serhijiwka ein Stück Paradies im Süden der Ukraine:

„Wir haben hier alles: warmes Wasser, Heilschlämme, viel Fisch, Pelikane, die zum ersten Mal hier vor sechs Jahren auftauchten. Diejenigen die jetzt kommen, sind schon unsere. Sie haben für sich die Ukraine als Heimat ausgesucht und kehren hierher zurück.“

Gleichzeitig muss man für diesen Platz an der Sonne kämpfen, sich um ihn kümmern. Wjatscheslaw glaubt daran, dass jeder in der Ukraine die Chance hat, sich zu entwickeln und sich mit einer Sache zu beschäftigen, die ihm am Herzen liegt:

„Wir müssen an einem starken Land arbeiten, in dem es sich bequem lebt. Damit unsere Kinder hier aufwachsen, damit keiner irgendwohin ziehen muss. Damit man nicht nach Amerika hinter diesen Dollars fährt, sondern sie hier verdient. Vielleicht in Hrywnja, aber eine Menge. Dieses Wasser ist doch in keiner Weise schlechter. Den Pelikanen gefällt es doch. Sie kommen hierher, nach Hause. Also kommen die Pelikane nach Hause, und unsere Leute gehen dorthin, wo die Vögel überwintern. Es ist falsch. Es muss alles für das Zuhause sein.“

Wie wir gefilmt haben

Schaut euch im Videoblog mehr über den Besuch des Teams von „Ukraïner“ in Serhijiwka an

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autor des Textes:

Oleksandr Portjan

Redakteurin:

Jewhenija Saposchnykowa

Kameramann:

Pawlo Paschko

Oleksandr Popko

Regisseur,

Filmeditor:

Mykola Nossok

Kameramann:

Andrij Rohosin

Fotograf:

Serhij Korovajnyj

Oleksandr Ratuschnjak

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

Transkriptionistin:

Daryna Salo

Übersetzer:

Petro Jurkewych

Folge der Expedition