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In der Ukraine sind die Monate Dezember und Januar die Zeit der Winterfeste mit farbenfrohen Kostümen, Gruppengesänge und bunten Aufführungen. Eines dieser Feste ist Weihnachten, und seine Feierlichkeiten sind mit den Riten der vorchristlichen Zeit verflochten.

Fast alle christlichen Länder feiern Weihnachten am 25. Dezember, der mit der Wintersonnenwende zusammenfällt, in vorchristlicher Zeit – mit der Geburt der Sonne, der Geburt der Welt. So lassen sich in den modernen christlichen Traditionen vorchristliche Wurzeln erkennen.

In der Ukraine wird der Heilige Abend je nach kirchlicher Zuständigkeit am 24. Dezember oder 6. Januar und Weihnachten am 25. Dezember oder 7. Januar gefeiert. Die römisch-katholische Kirche hält sich an den gregorianischen Kalender, nach dem die moderne säkulare Welt lebt, während die orthodoxe Kirche der Ukraine und die ukrainische griechisch-katholische Kirche dem julianischen Kalender folgt, der einen Unterschied von 13 Tagen zum gregorianischen Kalender aufweist.

Ab 2022 können ukrainische orthodoxe Kirchen mit Zustimmung des Pfarrers und der Gemeindemitglieder am 25. Dezember Weihnachtsgottesdienste abhalten.

Heiligabend

Der Abend vor Weihnachten heißt Heiligabend. Er wird im Kreise der Familie gefeiert, in Erwartung der Geburt des Gotteskindes. Die Christen glauben, dass sich an diesem Abend die Welten der Lebenden und der Toten vereinen.

Seit jeher war es in der Weihnachtszeit wichtig, bestimmte Rituale durchzuführen, um eine gute Ernte und Wohlstand für das Haus im kommenden Jahr zu sichern. Am Heiligabend wurde der Diduch – eine Garbe aus Roggen- oder Weizenähren im Haus aufgestellt. Die Menschen glauben, dass Diduch Wohlstand und Wohlergehen für das Haus bringt. Der fertige Diduch wird traditionell an dem heiligsten Ort im Haus platziert, wo auch Ikonen aufgestellt werden und an dem die ehrwürdigsten Gäste Platz nehmen dürfen.

Die Künstlerin Olha Sachno nimmt zum Beispiel Roggen als Grundlage für Diduch, weil er ein Symbol des Lebens ist. Er kann aber auch durch Hafer, Weizen oder andere Getreidearten ersetzt werden. Sie dekoriert die Basis mit zusätzlichen Kräutern wie Flachs und Strohblume.

Am dritten Weihnachtstag oder danach wird das Korn von den Ähren getrennt und mit diesem Korn wird die Erde für eine gute und reiche Ernte besät. In einigen Regionen wird Diduсh „zusammen mit all den schlechten Ereignissen, die im Laufe des Jahres passiert sind“, verbrannt. Die Künstlerin Olga Saсhno erzählt:

„Symbolisch ziehen wir ein paar Strohhalme, räuchern die ganze Negativität aus und verabschieden den Winter, vertreiben ihn. Und all die negativen Dinge, die sich in unseren Häusern angesammelt haben – Krankheiten, Probleme, Missverständnisse – räuchern wir aus, und sie lösen sich in Rauch auf.“

Gerichte am Heiligabend

Wenn der erste Stern am Himmel erscheint, setzen sich die Menschen an einen Tisch. Sie essen nur magere Gerichte, denn Heiligabend ist der letzte Tag des Weihnachtsfastens (oder der Philippus-Fastenzeit). Die Anzahl der Gerichte kann variieren: drei, sieben, neun, zwölf – je nach Region und Wohlstand der Familie.

In einigen Regionen, z. B. in Bojkiwschtschyna, legt die Gastgeberin nach dem Auftragen des Brotes und dem Anzünden der Kerze Knoblauchzehen auf die vier Ecken des Tisches, um böse Kräfte abzuwehren.

Das Hauptgericht, das am Heiligabend serviert wird, ist Kutja. Es ist ein Brei aus gekochtem Weizen mit Mohn, Nüssen und Honig. Die Weizenkörner werden gereinigt, gewaschen und gekocht. Dann werden geriebener Mohn und Nüsse hinzugefügt. Zum Schluss wird dem Brei Honig zugegeben. Manchmal werden Rosinen oder andere Trockenfrüchte hinzugefügt.

Das traditionelle Getränk ist ein Trockenfruchtgetränk namens Uswar. Kutja und Uswar gelten als Gedenk, da die Seelen der Toten auch zum Essen zu den Lebenden kommen.

Auch Brot ist wichtig. Es gibt viele Arten der Zubereitung des Brotes. Sie können sogar innerhalb derselben Region variieren.

Im Dorf Scherschenzi in Ostpodillien werden zum Beispiel am Heiligabend mehrere Brotsorten zubereitet, die alle einen bestimmten Zweck erfüllen. Pomana ist ein rituelles Brot, das den Angehörigen zu Ehren verstorbener Familienmitglieder gereicht wird. Die Grundlage der Pomana ist ein Zopf aus Teig, der in einem Kreis ausgelegt wird. Zwei Zöpfe werden kreuzweise darauf gelegt, und die Lücken werden mit Ährchen gefüllt, die aus vier dünnen Geißeln aus Teig gedreht werden. Zum Kneten des Teigs stehen zwei Hausfrauen neben einem aus Weidenholz geschnitzten Trog und kneten den Teig mit ihren Fäusten. Der fertige Teig wird anderthalb Stunden lang zum Aufgehen beiseitegestellt. Nachdem sie daraus rituelle Brote geflochten haben, tragen sie es in den heißen Ofen.

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Normalerweise kommen am Heiligabend die Patenkinder mit Kalatsch zu den Gastgebern. Kalatsch ist ein kreisförmig ausgelegter Teigzopf. Darin befinden sich Süßigkeiten und eine Kerze.

Am Heiligabend wird Fastenborschtsch mit Öhrchen serviert, der aus Teig mit Wasser und Öl gemacht wird. Der Teig wird in kleine Stücke gekniffen, ausgerollt, mit der Pilzfüllung gefüllt und in den Borschtsch geworfen.

Zu den traditionellen Gerichten gehören auch Pilzsuppe, magere Kohlrouladen, gebratener oder gebackener Fisch. Und natürlich Warenyky – Teigtaschen in Form einer Mondsichel mit Füllung. Die Füllung kann unterschiedlich sein. An Heiligabend werden oft Warenyky mit Weißkohl gemacht, aber auch süße Warenyky – mit getrockneten Pflaumen oder Kirschen.

Weihnachten

Im Gegensatz zu Heiligabend wird Weihnachten in der Ukraine prächtig gefeiert, in dem der geborene Christus verherrlicht wird. Auf den Tisch kommen auch Gerichte, die nicht zur Fastenzeit gehören: Würste, Schinken, Weihnachtslebkuchen, Pfannkuchen und Teigwaren mit süßen und salzigen Füllungen. Die Weihnachtsfeierlichkeiten werden durch Koljadky (Weihnachtslieder – Red.) und Wertepe (Krippenspiele – Red.) begleitet.

Koljada

Seit vorchristlicher Zeit gehört die Tradition der Koljada (Weihnachtslieder singen – Red.) zu den Weihnachtsfeierlichkeiten und ist bis heute ungebrochen. Koljadky sind Brauchlieder. Am ersten Weihnachtstag gehen Koljadnyky (Sternsinger – Red.) von Haus zu Haus und singen von der Geburt Christi und preisen die Gastgeber und die ganze Familie mit Koljadky. Dafür erhalten die Koljadnyky eine Belohnung wie Süßigkeiten oder Geld.

Einer Version zufolge stammt der Name Koljadka (Weihnachtslied – Red.) von dem lateinischen Wort calendae, das die ersten Tage des Monats bezeichnet. Zu Beginn des neuen Jahres sangen die Menschen im alten Rom Lieder, in denen sie sich eine reiche Ernte und Wohlstand wünschten. Mit dem Aufkommen des Christentums erschienen in den Brauchgesängen die Worte der Verherrlichung Christi und die Geschichten von der Geburt des Gottessohnes.

So verbindet Koljadka alte Brauchmotive über die Erschaffung der Welt mit christlichen Geschichten. Auch in die neuen Texte von Koljadky werden volkstümliche Motive eingewoben. In der ukrainischen Tradition werden Koljadky für jedes einzelne Familienmitglied, für Mädchen und Jungen und sogar für Tiere getrennt, gesungen.

Die Volkskundlerin Halyna Lukjanez reiste in die Dörfer und Städte der Region Sloboschantschtschyna und Poltawschtschyna und zeichnete die Texte der alten Koljadky auf. Sie erzählt:

„Wir haben viele ‚Hochzeits‘-Koljadky aufgenommen. Es gibt Koljadky für Jungen, es gibt Koljadky für Mädchen, und sie können von der bevorstehenden Hochzeit handeln. Für einen jungen Mann können es auch Militär- oder Kosakenkoljadky sein.“

Eine Gruppe von Koljadnyky trägt einen Stern auf einem Stock, der den Stern von Bethlehem symbolisiert, der die Geburt Christi ankündigte und den drei Königen den Weg zum Gottessohn zeigte. Die erste Erwähnung der Koljada mit Weihnachtsstern stammt aus dem 17. Jahrhundert. Das Tragen des Sterns war eine ehrenvolle Aufgabe, denn der Sternträger galt als Anführer der Koljada-Gruppe.

Prozession der Sternträger in Lwiw

Die Einwohner von Lwiw feiern Weihnachten in der ganzen Stadt. Hier findet die Prozession der Sternträger statt. Die Straßen von Lwiw werden bei jedem Schritt der Prozessionsteilnehmende mit Weihnachtssternen bunt. Große und kleine, acht- und fünfundzwanzigzackige, mit Quasten und Glöckchen, stilisiert als Sonnenblumen oder verziert mit geschnitzten Szenen der Geburt Jesu Christi – kein Stern ist identisch. Musik erklingt und die Menschen singen Koljadky.

Wie die meisten Weihnachtssymbole hatte der Stern vor dem Aufkommen des Christentums eine besondere Bedeutung, denn er symbolisierte die Sonne – den wichtigsten Stern für die Menschen, die ihre Ankunft während der Wintersonnenwende verherrlichten. Heutzutage werden auf die Sterne Darstellungen der Geburt Christi gemalt.

Darüber hinaus werden in Lwiw traditionelle und thematische Sterne vorbereitet, die auf das aktuelle Geschehen Bezug nehmen. Im Jahr 2021 wurde auf der Prozession ein Stern der Dankbarkeit für die Ärzte angebracht, die unermüdlich Menschen retteten, die vom Coronavirus betroffen waren.

Traditionell werden Weihnachtssterne aus Holz hergestellt. Die Basis des Sterns wird auf einem Stab aufgereiht. Die Handwerker bereiten zwei Holzkreise vor, die durch Leisten als Basis verbunden werden. Die Anzahl der Ecken ist von einem Meister zum anderen unterschiedlich. In der Ukraine ist es meistens ein achtzackiger Stern.

Kryworiwnja in der Huzulschtschyna

Im Dorf Kryworiwnja in der ethnographischen Region Huzulschtschyna ziehen am ersten Weihnachtstag nach der festlichen Liturgie Koljadnyky, Dorfbewohner und Gäste des Dorfes zum Kirchhof. Die Koljadnyky machen einen Kreis als universelles Symbol der Sonne und im Kreisinneren stellen sich Beresy (Anführer der Sternsinger – Red.) und Violinisten auf. Und dann beginnt die Aufführung, auf die alle das ganze Jahr über warten.

Bartky (scharfe Äxte mit schmaler Klinge – Red.) erheben sich, als würden sie den Rhythmus schlagen; Musiker blasen ihre Trembita und Hörner.

Die Trembita
Die Trembita ist ein ukrainisches Volksblasinstrument in Form einer 2,5 bis 8 Meter langen Holzpfeife.

Die Koljada beginnt mit einem Tanz, bei dem die Koljadnyky nicht nur singen, sondern auch tanzen. In Kryworiwnja gibt es neun kleine Dörfer und dementsprechend auch die gleiche Anzahl von Koljada-Gruppen. Die Gruppen singen ihre Koljadky und gehen dreimal um die Kirche herum und dann von Haus zu Haus, um die Häuser und die dort lebenden Menschen zu begrüßen. Die Koljada dauert etwa zwei Wochen, da die Koljadnyky jedes Haus aufsuchen müssen. Die Männer sind in dieser Zeit nicht zu Hause.

Seit Beginn des Krieges im Jahr 2014 ist es Tradition, dass immer eine der Koljada-Gruppen Soldaten an der Front Koljadky vorsingt.

Pfarrer Iwan Rybaruk segnet die Koljadnyky an Weihnachten und verteilt die durch die Koljada gesammelten Gelder: für die Restaurierung der Kirche, für die Bedürfnisse der Armee und für diejenigen, die eine ärztliche Behandlung benötigen.

Traditionell gehen die huzulischen Frauen nicht in einer Gruppe zum Koljadasingen und bilden auch keine eigenen Gruppen. Das lag wahrscheinlich an der Haushaltsstruktur, denn die Frauen mussten sich um die Kinder und den Haushalt kümmern, und die Männer hatten einfach mehr Körperkraft zum Überleben. Pfarrer Iwan erzählt jedoch, dass es auch Fälle gab, bei denen Frauen als Koljadnyky unterwegs waren.

In jedem Haus werden Koljadky anders gesungen. Alles hängt von den Wünschen der Hausherren ab. Die Koljadnyky können für die ganze Familie singen oder für jedes Familienmitglied einzeln, sogar für jedes Kind und jedes Tier. Die Koljadky werden auch so genannt: „Koljada für den Gastgeber“, „Koljada für das Mädchen“, „Koljada für den Jungen“. Die Texte von Koljadky sind in jedem Dorf anders und können sich sogar von Gruppe zu Gruppe unterscheiden.

Wenn die Koljadnyky sich einem Haus nähern, in dem niemand mehr wohnt, singen sie trotzdem Koljadky, um das Haus wieder zum Leben zu erwecken.

Nach zwölf Tagen von Koljadasingen versammelt sich die Gruppe im Haus ihres Beresa, wo sie ihm und seiner Familie auch Koljadky singen. Nach der Koljada trinken sie aus der Glocke und bedanken sich für die Gastfreundschaft. Der Beresa und der Geiger stehen in der Mitte, und um sie herum tanzen Koljadnyky zu allen Koljadky, die sie kennen. Und der Beresa wendet sich jedem Koljadnyk zu, singt ihm zum Zeichen der Dankbarkeit eine Koljadka und gibt ihm das Kreuz zum Kuss. Sie alle bitten Gott, dass sie die nächste Koljada im neuen Jahr erleben.

Wertep

Neben der Koljada ist Wertep (Krippenspiel – Red.) eine weitere Möglichkeit, die frohe Botschaft zu verkünden. In die Ukraine kam der Wertep aus dem Westen. Es handelt sich um eine Theateraufführung, die die Geschichte von der Geburt Jesu Christi und seiner Rettung vor dem wütenden König Herodes erzählt. Zu verschiedenen Zeiten war der Wertep nicht nur eine Nacherzählung der berühmten Geschichte, sondern auch ein Spiegelbild der modernen Realitäten. Gegenwärtige Personen und Ereignisse wurden an die biblische Handlung angehängt. So sangen in den 1960er und frühen 1970er Jahren regimekritische Koljadnyky davon, dass Herodes den Soldaten befahl, Kinder aus der Ukraine zu töten, und bezogen sich damit auf die Unterdrückung ukrainischer Intellektueller, die sich dem totalitären Sowjetregime widersetzten, durch die Sowjetregierung.

Dissidenten
Dissidenten sind Menschen, die in den 1960er bis frühen 80er Jahren in der UdSSR und anderen Ländern des „sozialistischen Lagers“ die offizielle kommunistische Ideologie und Politik in Frage gestellt und kritisiert haben.

In der Ukraine verherrlichen Koljadnyky Christus und wünschen den Menschen während der gesamten Winterfeiertage ein frohes Weihnachtsfest.

Ein Beispiel für einen Wertep ist das Projekt „Mosaik“ der Forscherin für traditionelle ukrainische Lieder, Uljana Horbatschewska. Es handelt sich um ein jährliches Weihnachtskonzert, das auf traditionellen Wertep basiert. An der Veranstaltung nehmen sowohl professionelle Musiker als auch Kindergruppen teil, die alte Koljadky in neuen, experimentellen Arrangements singen. Uljana organisiert „Mosaik“ in Kirchen und Kunsträumen von Lwiw. Im Jahr 2022 wurde das Konzert zum ersten Mal für alle auf dem zentralen Platz der Stadt aufgeführt. So bringt die Autorin des Projekts die Koljada von der Familie in den öffentlichen Raum.

In Charkiw wurde die Tradition von Wertep 1989 von dem Verein der ukrainischen Jugend wieder aufgenommen. Dann fand die erste Wertep-Produktion statt, und seither wurde kein einziges Jahr ausgelassen. Die Helden des Werteps sind die drei Könige, Herodes und seine Soldaten, der Tod, der Teufel, die Engel, Rachel, der Erzähler und andere Figuren. Anhand von Büchern lernten die Teilnehmenden, wie Trachten aussahen, und konstruierten sie anhand von Erinnerungen, Illustrationen und Fotos.

„Herodes“ in Komarowo

Im Dorf Komarowe, das mehrere Jahrhunderte lang zu Polen gehörte, ist sich seit dieser Zeit, wie die Einheimischen bemerken, ein besonderer Weihnachtsbrauch – „Herodes“ – erhalten geblieben. Es handelt sich um einen Wertep, dessen Teilnehmende die Geschichte von der Geburt des Gottessohnes im Auftrag von König Herodes erzählen.

Am Wertep nehmen zwölf unverheiratete junge Männer teil, die zwei Tage lang durch das Dorf ziehen und in den Häusern entlang der von ihren Vorgängern angelegten Route eine Wertep-Vorstellung geben. Die Helden des Werteps lassen sich in direkte Teilnehmende der Aufführung und Scherzkekse einteilen. Während der Aufführung stehen die Menschen um die Hauptfigur – Herodes – herum: Der Skorochod (der schnelle Mann – Üb.), der um die Welt läuft und die Nachricht von der Geburt eines neuen Königs überbringt, der Sohn von Herodes und der Engel, der den Sohn nach dem Tod mitnimmt; der ältere Krieger, der auf Befehl des Königs, aber gegen seinen Willen, den Sohn des Herodes tötet; zwei jüngere Krieger mit Säbeln. Und während das Theaterstück weitergeht, klammern sich der Teufel, der Tod, zwei Juden und der Rabbi an die Gastgeber und ihre Kinder und murmeln etwas vor sich hin. Der Skorochod sammelt das Geld für Koljada ein, aber die Gauner greifen zu Tricks und verlangen von den Familienmitgliedern eine separate Belohnung. Sie halten auch Autos an und bitten um eine „Kopeke“. Wenn die Autofahrer nicht nachgeben, kommen die Koljadnyky mit ihnen ins Gespräch, machen Witze und bekommen trotzdem die gewünschte „Kopeke“. Die Kinder verlassen die Höfe, um mit dem Teufel zu spielen oder dem Tod davonzulaufen. Und die Juden lassen niemanden einfach so vorbeigehen. In einigen Häusern machen die Wertep-Spieler eine Pause, um einen Imbiss einzunehmen und Aufführende zu wechseln. Nach ein paar Auftritten werden die Stimmbänder der Jungs müde, also tauschen die Krieger ihre Kostüme mit stummen Henkern.

„Mosul in deal“

Im Dorf Orliwka, das vier Kilometer von Rumänien und 20 Kilometer von Moldau entfernt liegt und in dem die Einwohner fast ausschließlich Rumänisch sprechen, wurde der Weihnachtsbrauch „Mosul in deal“ (rumänisch: Moșul în deal – „Großvater auf dem Hügel“) aufbewahrt. Hier wird Weihnachten am 25. Dezember gefeiert. Der Mosul ist ein Geist, der in der Weihnachtsnacht böse Kräfte vertreibt und dem Haus, in dem er sich aufhält, Wohlstand bringt. Ob Mosul selbst ein böser oder ein guter Geist ist, darüber streiten sich die Gelehrten.

Die Einheimischen bereiten sich seit Anfang Dezember auf dem Brauch vor: Sie fertigen eine Mosul-Maske aus Kaninchenfell an, die mit Blumen und Streifen verziert wird, schneidern Kostüme, proben Koljadky (traditionelle Weihnachtslieder – Red.) und Horo – einen traditionellen Tanz der Bulgaren, Rumänen und anderer Balkanvölker. Am Vorabend des Festes, dem 23. Dezember, stricken die Teilnehmenden des Brauchs aus getrocknetem Schilf Metschuke – Ein-Meter-Keulen, die die Jungs auf den Boden schlagen, um böse Geister zu verscheuchen.

Der Brauch „Mosul in deal“ beginnt damit, dass eine Gruppe von Koljadnyky durch die Straßen läuft und Autos anhält, um den Autofahrern zum bevorstehenden Feiertag zu gratulieren. Vor ihnen läuft eine ältere Gruppe in Matrosenuniform, die die Ankunft des Geistes von Mosul ankündigt, gefolgt von einer jüngeren Gruppe in Militäruniform. Sie führen den Mosul an. Die Jungs fragen dabei bspw. die Autofahrer nach ihren Namen und singen ihnen eine persönliche Koljadka.

Manchmal stehen Gruppen auf der Straße im Kreis und tanzen zu traditionellen Melodien, die von Klarinette und Trommel gespielt werden, ein Horo um den Mosul. Die Musik wird durch das Geräusch von Metschuke unterbrochen, der auf den Boden schlägt. Der Marathon zwischen den Autos endet, wenn es draußen dunkel wird. Dann treffen sich zwei Mosul-Gruppen in der Mitte des Dorfes. Sie feiern das bevorstehende Fest gemeinsam und gehen auf ihre Straßen, um Koljadkas zu singen.

Die Gastgeber bedanken sich bei den Koljadnyky mit Geld und manchmal auch mit Kalatschen. Wenn es eine unverheiratete Tochter im Haus gibt, müssen die Gastgeber den Koljadnyky dieses Festbrot geben, das sie auf einen Stock aufspannen.

Orliwka ist in zwei Teile unterteilt: Piatră (rumänisch: piatră – Stein) und Padure (rumänisch: pădure – Wald). Am 25. Dezember treffen sich zwei Mosuls im Zentrum und kämpfen um die Ehre ihres Teils des Dorfes.

Mosuls aus Piatră und Padure treffen sich in der Mitte eines gemeinsamen Tanzkreises. Sie läuten wechselseitig die Glocken und laufen im Kreis. Nach dem Tanz heben die Gruppen die Mosuls hoch. Die „Geister“ grüßen das Publikum, schütteln die Hände und tanzen.

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All diese Vorspiele führen zum Hauptereignis – dem Kampf. Mosuls kämpfen dabei mit Stöcken in einem Duell und stoßen sich gegenseitig an. Sie werden von einer Gruppe unterstützt, die die Kämpfer an den Beinen festhält. Derjenige, der den anderen zu Boden schlägt, gewinnt. Die Koljadnyky aus beiden Teilen des Dorfes begrüßen das Dorfoberhaupt und andere hohe Gäste, tanzen ein Horo, singen gemeinsam Koljadky und schlagen die Metschuke noch kräftiger auf den Boden.

Dann erheben sie einen Mosul für den letzten Brauch – die Verteilung der Festbrote, der Kalatschen. Die Zuschauer strecken ihre Hände aus und fangen die Brotstücke auf. Die Feierlichkeiten im Dorfzentrum werden mit einem Konzert der örtlichen Musikgruppen fortgesetzt, und die Koljadnyky organisieren eine gemeinsame Festmahl für das Geld, das sie für die Koljada erhalten haben, um den erfolgreichen Abschluss des Mosul-in-deal-Brauchs zu feiern.

Koljada in der Sowjetzeit

Während der Sowjetzeit verhinderte das Verbot der ukrainischen Kultur die Entwicklung ukrainischer Traditionen, so dass ihre Bewahrung oft im Untergrund stattfand. Die sowjetische Regierung schränkte das Singen von Koljadky (wie auch jede öffentliche Wiedergabe ukrainischer Traditionen und Bräuche) ein und verbot es oft ganz. Die Koljadnyky wurden verfolgt und verhaftet.

Damals sangen die Menschen in den Bergdörfern der Huzulschtschyna in Dörfern, die hoch in den Bergen lagen, so dass sie niemand sehen konnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand in die Berge geht und nachsieht, ob es Koljada gibt oder nicht, war gering. In den Städten war die Situation komplizierter. Manchmal wurden die Texte von Koljadky absichtlich umgeschrieben, indem beispielsweise Jesus durch Lenin ersetzt wurde, um einer Verfolgung durch den KGB zu entgehen.

Der ukrainische Dissident Myroslaw Marynowytsch erinnert sich, wie sie ihren ersten Wertep (Krippenspiel – Red.) in Kyjiw organisierten.

„Damals war es undenkbar, an Weihnachten Wertep aufzuführen. Wir sind am 31. Dezember hingegangen und haben uns sogar dann verkleidet. Die Polizei verhaftete unseren Anführer Mykola Matusewytsch für 15 Tage. Sie haben ihn provoziert, angeblich gab es eine Schlägerei, und sie haben ihn ins Gefängnis gesteckt. Aber wir gingen trotzdem [Koljadky singen].“

Später wurden sowohl Matusewytsch als auch Marynowytsch erneut verhaftet, und davor wurden sie wiederholt zu Verhören vorgeladen. Marynowytsch erinnert sich, dass die Koljada-Gruppe ihre Regeln hatte: Sie mussten Pässe dabei haben, durften keinen Alkohol tragen und nur gemeinsam gehen, damit die Polizei niemanden aus der Gruppe herausziehen und verhaften konnte. Auf diese Weise haben sie Koljadky gesungen.

In Charkiw gab es 1982–83 solche „Elterntrupps“, die während Koljada vor den Gebäudeeingängen standen, damit niemand sie betrat.

Auch Uljana Horbatschewska aus Lwiw erinnert sich:

„Ich erinnere mich an die frühen 80er Jahre, an die Mittelschule, sogar noch an die Grundschule. Mein Patenonkel nahm mich, meine Schwester und meine Cousine in seinem Auto mit und brachte uns zu seinen Verwandten, zu Freunden, also zu sehr zuverlässigen Leuten, die uns nicht verraten würden. […] Und so erinnere ich mich von Kindheit an daran, dass Weihnachten etwas Heiliges ist, etwas Verborgenes, etwas sehr, sehr, sehr Wichtiges.“

Die Führung der UdSSR versuchte, die ukrainische Kultur zu zerstören, so wie die russische Regierung versucht, alles Ukrainische zu zerstören. Doch trotz allem schätzen die Ukrainer ihre Traditionen und beleben diejenigen, die in Vergessenheit geratenen, wieder.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Dascha Titarowa

Diana Horban

Chefredakteurin:

Jewhenija Saposchnykowa

Bildredakteur:

Jurij Stefanjak

Content-Managerin:

Kateryna Jusefyk

Übersetzerin:

Wiktorija Mychajlowa

Übersetzungsredakteurin:

Halyna Wichmann

Korrektorin:

Klaus Wichmann

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