In der Nacht zum 26. April 1986 geschah in der Stadt Prypjat die weltweit größte Nuklearkatastrophe. Die Explosion des vierten Energieblocks des Atomkraftwerkes von Tschornobyl führte zu äußerst tragischen Folgen mit einer hohen Anzahl von Toten und Verletzten, sowie zu massiven wirtschaftlichen Verlusten.
Innerhalb von vier Jahren haben wir mehrere Expeditionen in die Sperrzone von Tschornobyl und ihre Umgebung durchgeführt. Dabei haben wir verschiedene Standorte besucht und Geschichten festgehalten, die den Einfluss der Katastrophe auf das Leben in dem Gebiet zeigen.
Foto: Oleskandr Syrota
Seit Anfang April 2020 dauern in der Sperrzone von Tschornobyl weiterhin große verheerende Waldbrände an, deren Löschung die Beteiligung tausender Rettungskräfte und hunderter Lösch- und technischer Rettungsfahrzeuge erfordert. Dies ist nicht das erste Feuer auf diesem Gebiet, aber in diesem Jahr breitet sich der Brand aufgrund des warmen und trockenen Winters viel schneller aus und nimmt dabei große Flächen mit trockenen Gras und Wäldern in der Sperrzone sowie ihren angrenzenden Territorien ein. Die Brände haben das lokale Ökosystem enorm beschädigt. Am stärksten sind die kleinen und mittelgroßen Tiere betroffen, die dem Feuer und Rauch nicht schnell genug entkommen können. Durch das Feuer wurden ein Teil der Wälder, ehemalige Dörfer und einige Sehenswürdigkeiten der Tschernobyl-Sperrzone zerstört.
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Rückkehr in die Sperrzone
Die Stadt Prypjat ist ein Beispiel glänzender Perspektiven und furchtbarer Folgen. Bereits seit 30 Jahren ist die Stadt verlassen und radioaktiv kontaminiert. Heutzutage ist Pripjat von trüben Landschaften geprägt, von Legenden umgeben. Hier herrscht die Natur. Zugleich ist es ein Mahnmal von internationaler Bedeutung, eine Erinnerungsstätte an die weltgrößte technogene Katastrophe. Manche ehemalige Bewohner der Stadt Pripjat sind davon überzeugt, dass man diesen Ort mindestens einmal im Leben besucht haben sollte. „Besuchen und so weiterleben, dass weltweit keine neuen Geisterstädte entstehen.“
Oleksandr Syrota verbrachte den Großteil seiner Kindheit in Prypjat. Oleksandr war 10 Jahre alt, als der Unfall geschah. Nach vielen Jahren fand er in die Stadt seiner Kindheit zurück. Heutzutage schreibt und filmt Oleksandr Dokumentationen, die der Stadt Prypjat und der Tragödie von Tschornobyl gewidmet sind. Gleichzeitig organisiert er private Führungen durch die Sperrzone und leitet den internationalen Verein „Zentr Prypjat.com“. Er ist auch Mitglied des Bürgerrates bei der Staatlichen Agentur für Verwaltung der Sperrzone.
Das Interview mit Oleksandr Syrota im VR-Format
Oleksandr war auch einer der Protagonisten im Film „Ukrainer. The movie“. Dort werden sechs Geschichten über einen gewöhnlichen Tag in der Ukraine, der von ungewöhnlichen Ukrainerin gestaltet wird, gezeigt. Im Film dokumentiert der Prypjat-Experte die Regeneration des lokalen Ökosystems, in das die wilden Tiere zurückkehren.
Samosely (Selbstsiedler) von Tschornobyl
Über das Ausmaß der Tschornobyl-Katastrophe und die Evakuierung aller Einwohner wurde erst am nächsten Tag bekannt. Man begann mit der hastigen Zwangsevakuierung der Bewohner des Gebiets, das heutzutage als Sperrzone bezeichnet wird. Unvollendete Aufgaben, abrupt unterbrochene Tätigkeiten, nicht fertig gekochtes Essen – so stellt man sich die Ereignisse desjenigen Abends vor, als die Evakuierung eingeleitet wurde. Die Bewohner der Städte Prypjat und Tschornobyl, sowie der benachbarten Dörfer und Siedlungen sollten für eine kurze Zeit, maximal für drei Tage, so wurde es ihnen mitgeteilt, wegfahren. Die meisten waren sich des Ausmaßes der Katastrophe nicht bewusst. Kaum jemand von ihnen hätte sich vorstellen können, dass sie ihre Häuser für immer verlassen mussten.
Als öffentlich bekannt wurde, wie stark das Gebiet durch Strahlung kontaminiert ist, hat sich das Leben vieler Anwohner für immer verändert. Aufgrund der lebensgefährlichen Strahlung war eine Rückkehr unvorstellbar, denn von überall hörte man, das die Strahlung höchst lebensgefährlich sei. Für die meisten Evakuierten war die Angst vor dem Unsichtbaren größer, als der Drang zurückkehren, weswegen fast alle an ihren neuen Wohnorten blieben. Eine Ausnahme bildeten die Samosely (Selbstsiedler).
Selbstsiedler von Tschornobyl im VR-Format
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Prybirsk: das Leben am Rande der Sperrzone
Prybirsk in der Region Polissja hätte lediglich eines der malerischen Dörfer in der Nähe von Tschornobyl sein können, von dessen Existenz nur Einheimische und allzu neugierige Touristen etwas gewusst hätten, aber dank einiger engagierter Aktivisten lebte die Ortschaft wieder auf. So fand im Dorf bereits zweimal das „Tschornobyl Renaissance“ Festival statt, die Schule und das Klubhaus wurden renoviert sowie die für den Tourismus notwendige Infrastruktur entwickelt. Die Ideen einer Person wurden von Anderen aufgegriffen, die sich zur Umsetzung des gemeinsamen Ziels zusammengeschlossen haben.
Geburtstag von Prypjat
Am 4. Februar 2020 wäre die Stadt Pripyat 50 Jahre alt geworden. Staatliche und gesellschaftliche Organisationen, Museen und verschiedene Initiativen, die sich mit der Katastrophe von Tschornobyl befassen, haben an diesem Tag ein Event organisiert, bei der die Stadt Prypjat als ein Ort der Kunst vorgestellt wurde.
Im Jahr 1986 hörte die sog. „Stadt der Energietechniker“ auf zu existieren. Im Laufe der Zeit verwandte sich Prypjat jedoch zum Zentrum der Sperrzone und zu einer Art künstlerischer Plattform. Die Kunst wird zu einem Instrument, um die Erinnerung an die Katastrophe und ihre Folgen insbesondere für die jüngeren Generationen zu bewahren und ein historisches Umdenken zu fördern.
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Im Rahmen des Projektes ARTEFACT von Waleriy und Swetlana Korschunow, das durch Medienkunst die Öffentlichkeit für die Tschornobyl-Thematik sensibilisiert, wurde auf die Aussenfassade des Hotels „Polissja“ eine 25-Meter hohe Projektion mit dem Titel „Prometheus“ ausgestrahlt. Es wurden die Chroniken der jungen Stadt Pripyat gezeigt, sowie eine 20-minütige Animation des Mythos von Prometheus, dem Symbol der Stadt.
Auf dem zentralen Platz improvisierten live die Musiker Lesyk Yakimchuk und Paul Solonar sowie der Komponist und Sounddesigner Wolodymyr Savin, unter Verwendung des virtuellen „Geräuschmuseums“ PRIPYAT Pianos.
Bei PRIPYAT Pianos wurden die Klänge von 20 Klavieren aus Prypjat kombiniert, die nach dem Katastrophe in der Stadt übrig geblieben sind. Diese Instrumente schwiegen über 30 Jahre lang, bis Wolodymyr Savin sie fand, deren Klang aufnahm und dadurch ein vollständiges virtuelles Musikinstrument kreierte.
„Duga“ – ein Monument des sowjetischen Scheiterns
Die „Duga“, ein Überhorizontradar, ist das letzte erhaltene Objekt des sowjetischen atomaren Schutzschildes, das wegen des besonderen ausgehenden Geräusches in der westlichen Presse als „Russischer Specht“ bezeichnet wurde. Alle Angaben über dieses Projekt, an dem die klügsten Köpfe des Landes beteiligt waren, werden bis heutzutage geheimgehalten. Warum dieses monumentale Objekt scheiterte, zeigen wir in unserem Video.
Slawutytsch
Die jüngste Stadt der Ukraine, Slawutytsch, wurde nach der Tschornobyl-Katastrophe gegründet, um die Bewohner von Prypjat dorthin zu evakuieren. Sie wurde innerhalb von zwei Jahren als „sowjetische Utopie“ gebaut: mit einer Vielzahl von Kleinhäusern und einer beträchtlichen Menge an Grünanlagen. Die Stadt behält bis heute ihre besondere Atmosphäre, die nirgendwo anders zu finden ist.