Holowkiwka ist ein Dorf in der Region Naddniprjanschtschyna (der zentrale Teil der Ukraine an den Dniproufern — Üb.) in der Nähe vom Urwald Cholodnyj Jar. Seit Ende des 20. Jahrhunderts bauen ganze Familien von Einheimischen Dutzende Kartoffelsorten an und verkaufen sie auf den Großmärkten. Ebenso wie in manchen Nachbardörfern erstellen die Holowkiwer touristische Attraktionen — aufgrund des scheinbar für die Ukrainer üblichen Produktes hat man hier die sogenannten Kartoffeln-Unterhaltungen ausgedacht, die Kinder aus mehreren Städten verlocken.
Kartoffeln (oder ukr. Dial. Bulba, Barabolja, Krumplja) ist gar kein ethnisches Lebensmittel für die Ukraine, weil sie nur seit dem 19. Jahrhundert auf ihrem Gebiet kultiviert wird. Man baut jedoch dieses Gemüse praktisch überall im Land an, weil es ein wichtiger Bestandteil der Verpflegung von den meisten Ukrainern ist.
Es gibt aber Dörfer, wo Kartoffel nicht nur als ein gewöhnliches Lebensmittel gilt. Eines davon ist Holowkiwka in der Region Naddniprjanschtschyna, wo ganze Familien Erdäpfel anpflanzen. Darüber hinaus wurde Holowkiwka seit 2014 zu einem „thematischen Dorf“ ernannt. Man baut hier ein Projekt aus, dessen Ziel darin besteht, Touristen mit den ungewöhnlichen Eigenschaften der Kartoffel sowie ihrer Geschichte vertraut zu machen.
Unter dem Begriff der thematischen Dörfer versteht man das Entwicklungskonzept der Ortschaften, das als Quelle eines zusätzlichen Einkommens und Beschäftigung der Gemeinde dient. Es entstand erstmal in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in Österreich und verbreitete sich dann in Polen und Deutschland. In Niederösterreich werden die touristischen Dörfer am raschesten entwickelt. Man hat beispielsweise in der Gemeinde Krummnußbaum am Donauufer ein sogenanntes Nußdorf errichtet, wohingegen das Örtchen Armschlag zum Mohndorf wurde, das zur Bewunderung von blühenden Feldern und Verkostung der außergewöhnlichen Mohngerichte Besucher einlädt.
Die thematischen Dörfer sind in der Ukraine in der Region Naddniprjanschtschyna verbreitet. Iwkiwzi, Meschyritsch, Sorokotjaha, Korschowa und Subotiw bringen Abwechslung in ihre Unternehmenstätigkeit, ebenso wie Holowkiwka. Zum Beispiel wurde eine uralte Siedlung der Mammutjäger auf dem Gebiet des Dorfes Meschyritsch gefunden. Darum hat man angefangen, hier ein unterhaltsames Bildungsprojekt „Eine Reise ins Mammutland“ zu entwickeln. Zugleich ist eine der ältesten funktionierenden Wassermühlen der Ukraine in Korschowa auf dem Jatran Fluss erhalten geblieben. Deshalb wurde die lokale Touristenroute „Auf einen Besuch bei der alten Mühle“ genannt.
Die Suche nach dem touristischen Potenzial
2014 fungierte ein polnisch-ukrainisches Projekt „Förderung des ländlichen Kleinstunternehmens in der Ukraine“, dessen Ziel kreative Initiativen in Dörfern zu unterstützen und Stereotypen über die landwirtschaftliche Tätigkeit abzubauen war. Es wurde von dem Szczecin-Ausbildungszentrum der Stiftung zur Entwicklung der lokalen Demokratie und der internationalen öffentlichen Organisation „Pylyp Orlyk Institut für Demokratie“ eingeführt.
Die Initiatorin des Projektes „Kartoffeln-Unterhaltungen“ in Holowkiwka ist Oksana Potschinska. Sie wurde in Tscherkasy geboren und hat lange Zeit als Lehrerin an einer örtlichen Dorfschule gearbeitet. Oksana berichtet, dass die Dörfer bei Tscherkasy für die Teilnahme am Projekt ausgewählt wurden.
„Es ist einfach ein Mensch, der nach Leuten suchte, die wenigstens etwas wollten und konnten, angekommen. Er wollte Menschen finden, die nicht verkrustet, sondern regsam sind. Die ganze Schule hat dann auf mich hingewiesen.“
Die Kandidaten-Dörfer mussten lediglich eine Idee und eine kreative Ansicht über irgendeine landwirtschaftliche Tätigkeit haben:
„Wir haben Glück gehabt, dass wir in diese Liste der Dörfer eingetragen wurden. Dabei wurde uns beigebracht, wie man ein Thema aus einem anderen Blickwinkel betrachten kann. Man kann beispielsweise Kartoffeln so darstellen, dass sie für Kinder interessant wären.“
Diashow
In Holowkiwka zögerte man zunächst zwischen zwei Themen: Keramik (das Dorf ist bekannt für seine Töpfertradition) und Kartoffel. Es war Kartoffel, die die Einheimischen jahrzehntelang anbauen und welche für die Entwicklung des thematischen Dorfes gewählt wurde. Man hat angefangen, Kartoffeln in Holowkiwka gleich nach dem Zweiten Weltkrieg zu kultivieren, so Oksana Potschinska. Damals wurden Kartoffeln zum wichtigsten Verpfleger. Daher haben sich ganze Familien, gemeinsam mit ihren Kindern, darum gekümmert.
Heutzutage werden etwa 17 Kartoffelsorten in Holowkiwka angebaut und verkauft: Riviera, Tschyras, Berehynja, Slowjanka, Dscherelo Polissja, Bahrjana, Bila Rosa usw. Sie alle unterscheiden sich in Geschmack, Größe und Farbe. Laut den Einheimischen, kümmern sie sich um die Reinheit der Sorten, daher gibt es hier keine Kartoffelmischsorten. Die Bauern sind besonders stolz auf ihre eigenartigen blauen Kartoffeln, aus denen man interessante Gerichte zubereiten kann.
Die Hauptverkaufsstelle ist der Großmarkt in Tscherkasy, obwohl die Leute aus anderen Städten der Naddniprjanschtschyna-Region ins Dorf kommen, um Kartoffel zu kaufen. An allen Ecken weiß man, dass Kartoffeln auf Holowkiwka erstklassig sind. Neben Kartoffeln baut das Dorf auch Weizen, Mais und Sonnenblumen an. Die beliebteste Kultur ist jedoch Kartoffel. Der Ortseinwohner Valerij Martschenko erklärt:
„Unser Grund ist für den Anbau von Kartoffel perfekt geeignet. Sie ist sehr lecker. Man hat sogar Sorten importiert, die keinen guten Geschmack hatten. Und in unserer Erde erwarb sie (Kartoffel — Red.) in 2-3 Jahren viel bessere Geschmackseigenschaften. Das wurde bereits überprüft.“
Die ersten Schritte
Die Schulung der am Projekt beteiligten Dorfbewohner, die „thematische“ Dörfer entwickeln wollten, fand in Form von Trainings statt: bis zu 10 Stunden insgesamt. Diese Trainings haben der Genehmigung des Hauptthemas Anstoß gegeben, so Oksana Potschinska:
„Während dieser Schulungen wurden wir nicht gelehrt, sondern einfach auf diese Idee gebracht. Jeder kann sein eigenes Thema wählen.“
Im Rahmen des Projekts hat Oksana zusammen mit anderen TeilnehmerInnen Polen einen Besuch abgestattet. Innerhalb einer Woche besuchten sie polnische „thematische” Dörfer und erfuhren, wie sie sich entfalten:
„Es wurde über alles gesprochen, was uns interessiert hatte. Nun ja, in ihrer vollen Nacktheit: Wie es erstellt wurde, wie es funktioniert, was die Herausforderungen in der Arbeit sind und was einfacher ist.“
Iwkiwzi Dorf, Kornland
Außerdem haben sie das Nachbardorf Iwkiwzi besucht, wo das Kornland-Projekt betrieben wird, um die Erfahrungen der Einführung einer Touristensiedlung zu übernehmen. Auf dem Gebiet der ehemaligen Kolchose (eine Form der Kollektivwirtschaft in der Sowjetunion — Üb.) wurde eine landwirtschaftliche Attraktion erstellt, die die alten Haushaltsgegenstände und die Besonderheiten des Handwerks vorstellt (lesen Sie mehr über diese Siedlung in der Geschichte: Kornland. Das Leben dem Dorf zurückbringen).
Während des ersten Trainingsjahres musste jedes Dorf mindestens eine thematische Veranstaltung durchführen. Oksana erinnert sich, dass es 2014 keinen angemessenen Raum dafür gab. Es wurde beschlossen, eine Veranstaltung namens „Unterhaltungsplatz“ auf der Straße durchzuführen. Dabei wurde eine Gruppe von Tänzern aus Tscherkasy eingeladen, die den Kosaken-Hopak (ein nationaler ukrainischer Tanz — Üb.) aufgeführt hatte.
Kartoffeln-Unterhaltungen in Aktion
Heute arbeitet Oksana Potschinska im Gemeinderat des Dorfes Medwediwka, nicht weit von Holowkiwka und Iwkiwzi entfernt. Außerdem kümmert sie sich schon seit 6 Jahren um Unterhaltungs- und Touristenrouten, die Besucher mit verschiedenen interessanten Fakten über Kartoffeln und Holowkiwka vertraut machen:
„Hier erfahren wir über die Geschichte von Kartoffel in der Ukraine, z. B. wie sie hierher gebracht wurde, über verschiedene Eigenschaften des Stärkemehls; wir erzählen generell über Holowkiwka, womit die Einwohner sich beschäftigen; wir machen chemische, physikalische Experimente, wir erzeugen Strom aus Kartoffel.“
Die Unterhaltungen finden an der „Akademie der Kartoffelwissenschaften“ im Innenhof statt. Die Experimente aber, in einem authentischen Haus mit Lehmputzwänden und jahrhundertealten Eichentür statt. Oksana meint, dass dieser Hof und das Haus in der Geschichte des Projekts logisch miteinander verflochten sind:
„Es gab einen vernachlässigten Hof, der für einen Apfel und ein Ei verkauft wurde. Mir hatte gefallen, dass es eine wunderschöne Aussicht gab, unweit von dem Ort, an dem die erste Veranstaltung stattfand. Man könnte das alles verbinden.“
Die Gruppen von Kindern, Schüler mit Lehrern oder Eltern mit Kindern, werden häufig zu einer Führung durch die „Akademie der Kartoffelwissenschaften“ eingeladen. Mehrere Stunden lang nehmen Besucher an Quests und Sportspielen teil und erfahren, wie man Chips aus lokalen Kartoffeln zubereitet.
Oksana Potschinska berichtet, dass ihre pädagogische Erfahrung bei der Erstellung der Kartoffeln-Unterhaltungen für sie behilflich war:
„Ich weiß, was für Kinder interessant wäre, wie sie behandelt werden sollen. Wir wissen also, was Kartoffel ist. Aber wieso sollte es interessant sein? Wir präsentieren [hier] jedoch viele Highlights, die für die Schule nicht typisch sind.“
Dank „Kartoffeln-Unterhaltungen“ hat das Dorf unter jungen Leuten von Tscherkasy Berühmtheit erlangt.
„Kinder aus der Stadt sind sehr gespannt, weil sie kommen, um zu spielen, etwas zu sehen und zu probieren… Wir braten Kartoffelchips auf einem Grill, wir rollen Fladenbrot auf diesen Tischen und braten es auch. Sie rennen in den Wald bis nach Schywun (eine Quelle im Naturschutzgebiet Otamanskyj Park in der Nähe von Holowkiwka — Red.), essen hier im Grünen, erfahren etwas und fahren nach Hause. Mit großer Freude versprechen sie, zurückzukehren.“
Diashow
Oksana Pochinska meint, dass solche Projekte wie „Kartoffeln-Unterhaltungen“ keine Menge Geld benötigen, sondern vor allem Ideen, die Interesse wecken. Dieses Projekt war für die Leiterin eine Gelegenheit, die üblichen Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, sowie ein weiterer Grund, stolz auf Holowkiwka zu sein:
„Es war etwas Neues, aber zugleich ist es im Prinzip auch etwas Gewöhnliches. Das ist aber eine völlig andere Ansicht, die ich sehr interessant fand.“