Susana Jamaladinowa (Krim. Susana Camaladinova), besser bekannt als Jamala, ist eine ukrainische Sängerin mit krimtatarischen und armenischen Wurzeln. 2016 hat Jamala den Eurovision Song Contest mit ihrem Song „1944“ gewonnen, der der Tragödie der Krimtataren-Deportation aus der Krim gewidmet ist.
Wie viele andere Halbinselbewohner war Jamala seit Jahren nicht mehr auf der Krim, die im Februar 2014 von der Russischen Föderation okkupiert wurde. Es ist ihr nicht verboten, die Halbinsel zu betreten, wie zum Beispiel für Mustafa Dschemilew, aber aus Sicherheitsgründen fährt sie dorthin nicht.
Russland okkupierte die Halbinsel Krim infolge der bis heute andauernden bewaffneten Aggression gegen die Ukraine. Die gewaltsame und illegale Lostrennung eines Teils der Ukraine und ihre illegale Eingliederung in die Russische Föderation sind von den meisten Ländern und internationalen Organisationen nicht anerkannt worden.
In der gemeinsam mit dem Ukrainischen Institut erstellten Serie Heimat Krim, beobachten die TeilnehmerInnen in VR-Brillen die für sie bedeutsamen Orte auf der Krim und tauschen Gedanken und Erinnerungen über ihre Heimathalbinsel aus.
Foto: Sergij Korowajnyj.
Jamala
Jamala wurde 1983 in der Stadt Osch in Kirgisistan geboren. Sie hält jedoch Kutschuk-Osen (Krim: Küçük Özen, seit 1945 — Maloritschenske) als ihre wahre Heimat. Das ist das naheliegende Heimatdorf ihres Vaters Alim Jamaladinow… Die Familie ihres Vaters, wie andere Krimtataren, wurde am 18. Mai 1944 nach Zentralasien deportiert. In Kirgisistan traf Alim seine zukünftige Frau und Jamalas Mutter Halina Tumasowa, eine Armenierin, deren Familie gezwungen war, Bergkarabach zu verlassen, weil sie enteignet wurde.
In der Sowjetzeit war es deportierten Krimtataren verboten, auf der Krim zu leben und Immobilien zu kaufen. Aber all diese Jahre hoffte die Familie Jamaladin, auf die Halbinsel zurückzukehren. Schließlich ließen sie sich im Dorf Kutschuk-Osen nieder.
Das letzte Mal war Jamala 2014 auf der Krim. Sie traf sich mit ihrer Schwester Evelina und ihrer Familie. Sie wollte ebenfalls unbedingt ihren Großvater sehen, der damals krank war.
„Wir versammelten uns am Ufer, kochten Pilaw, redeten. Ich freue mich sehr darüber, dass uns dieses Treffen gelang . Damals wurde direkte Zugverbindung von Odessa noch nicht abgesagt und diese beiden Grenzen gab es auch noch nicht. Wir waren beisamen und hatten eine tolle Zeit, obwohl die Stimmung verdorben war. Wir wussten nicht, wie lange es dauern wird und wie ernst es war.“
Im Mai 2017 starb Ajjar Jamaladinow, Jamalas Großvater, auf der Krim. Sie konnte nicht zur Beerdigung fahren.
„In der muslimischen Tradition wird eine Person sehr schnell begraben. Darum dachte ich nicht einmal, dass ich es noch zeitlich schaffe, zur Beerdigung meines Großvaters zu fahren. Dann starb meine Tante. Ich verstand auch, dass sie es nicht mehr brauchten. Ich brauchte es vor allem, mich verabschieden zu können, nicht die Person, die bereits gestorben ist.“
Jamalas Eltern leben weiterhin auf der Halbinsel. Jeden Tag sprechen sie mit ihrer Tochter über das Internet und sehen ihre Enkelkinder. Jamala glaubt, dass sie keine Möglichkeit hatte zu entscheiden, ob sie auf die Krim zurückkehrt oder nicht. Die Umstände haben für sie entschieden.
„Hier endet meine Freiheit. Es war nicht meine Entscheidung, nicht zu fahren, es wurde für mich entschieden. Ich fühle mich jetzt eingesperrt und sehr hilflos. Wenn ich entscheiden könnte, wäre ich gefahren. Das ist die Ukraine, das ist meine Heimat, wo Vieles geschieht, was mir wichtig ist, aber ich kann nicht dorthin fahren. Ich weiß nicht, wann ich meine Freiheit wieder kriege.“
Foto: Sergij Korowajnyj
Jede Woche treffen sich Jamala, ihre Söhne, ihr Ehemann Sejit-Bekir Sulejmanow und seine Eltern zu einem Familienessen: Sie bereiten traditionelle krimtatarische Gerichte zu, sprechen ihre Muttersprache, damit die Kinder dies als Teil ihres Lebens empfinden und die Verbindung mit der Krim beibehalten.
„Für meine Söhne ist es wichtig zu wissen, dass ihre Heimat die Ukraine, die Krim ist. Ja, sie wurden in Kyjiw geboren, aber sie stammen immer noch aus der Krim.“
Jamala ist der Ansicht, dass es im ukrainischen Informationsraum kaum über die Krim gesprochen wird. Dies kann auf die Fähigkeit des Menschen zurückgeführt werden, sich an alle Umstände zu gewöhnen: von den Grenzen zur Halbinsel bis hin zu Verletzungen der Rechte ihrer Einwohner. Wie kann man das ändern? Zu sprechen und sich daran zu erinnern, dass die Krim und Donbass in die Ukraine zurückkehren werden, dass die Menschen, die dort leben, unsere Menschen sind.
„Wir haben es satt, über den Krieg, über die Besatzung zu sprechen. Wir sind müde. Und wie kehrten die Krimtataren nach der Deportation 1944 zurück? Wie viele Jahre hat es bis zur Rückkehr gedauert? Und wenn sie müde gewesen wären? Ich würde nicht wissen, was die Krim ist. Sind wir in 5 Jahren so müde geworden? Im Ernst? Ich habe keine Worte für die Leute, die sagen, dass sie müde sind. Wir müssen einig sein, um zu gewinnen. Ich glaube, dass es keinen Sieg ohne Einheit gibt.“
Musik und Trauben. Kutschuk-Osen
Kutschuk-Osen ist ein Feriendorf an der Südküste der Krim, 25 Kilometer nordöstlich von Aluschta. Die Familie Jamaladin zog Ende der 1980er Jahre in dieses Dorf um.
Jamala wuchs in einer musikalischen Familie auf (ihr Vater war Dirigent, ihre Mutter — Klavierlehrerin an einer Musikschule), deshalb liebte sie Musik und Gesang von klein an. Am Ende der Wynohradna-Straße im Dorf, wo Weinberge und Berge anfangen, weidete die kleine Jamala Schafe, sammelte Trauben und Weinblätter für ihre Mutter. Und sang.
„Es gab dieses Gefühl, dass ich wahrscheinlich hundertprozentig frei war und dass mich niemand hörte. Und die Schafe, auch wenn sie was hören würden, werden es niemandem erzählen. Irgendwann als meine Mutter und ich auf einen Kleinbus nach Aluschta warteten, hielt ein Auto vor uns an und der Mann sagte: ‚Steig ein, Sängerin!‘ Mama sagt: ‚Woher weißt du, dass sie singt?‘ Und er sagt: ‚Nun, woher? Ich habe ein Haus in der Nähe des Weinbergs und ich weiß, dass sie irgendwann nach zwei Uhr kommt. Ich setze mich und höre ihr zu…‘.“
Jamala auf der Terrasse des Jamaladinows Familiencafés, Kutschuk-Osen (Maloritschenske), 2000.
Die Wynohradna-Straße läuft über das ganze Dorf und führt am anderen Ende zur Seeküste, zur Anlegestelle und zum Pier. In der Nähe des Piers gab es ein Familiencafé, in dem Jamala und ihre ältere Schwester Ewelina ihren Eltern halfen und ihr erstes Geld verdienten.
„Das ist mein Ufer, mein Pier. Ich habe dort schwimmen gelernt und wir führten dort ein kleines Café. Ich spülte Geschirr, schnitt Salate, mein Vater machte Pilaw oder Fleischspieß. An guten Tagen gab es gegrillte Forellen, an schlechten Tagen gab es nur Pilaw und Lammspieße. Mama kochte Manti und brachte sie zum Strand. Wir verkauften sie portionsweise und es gab am Tag genug Leute, die nur so zum Mittagessen kamen.“
Als Jamala ihre Musikschule sah, erkannte sie sie zunächst nicht, weil das Gebäude saniert und gestrichen wurde, und jetzt „sieht sie eher wie ein Sanatorium aus“. Hier lernte die Sängerin zunächst Klavier bei ihrer Mutter Halina Tumasowa spielen. Es dauerte aber nicht lange:
„Wissen Sie, was passiert, wenn man bei den Eltern lernt? Meine Mutter versuchte meine Unterrichtsstunde als letzte zu haben, damit wir zusammen nach nach Hause gehen können. Manchmal ging es so: ‚Mama, die Fernsehserie beginnt, lass uns nach Hause gehen! Lass uns zu Hause üben!‘ Wenn wir nach Hause kamen, mussten wir uns mit Hausarbeiten beschäftigen und für den Klavierunterricht gab es keine Zeit mehr.“
Die Musikschule befand sich in einem alten zweistöckigen Gebäude krimtatarischer Art. Als Schülerin sah Jamala, wie Menschen, die aus diesem Haus deportiert wurden, mit Eigentumsbelegen kamen.
„Damals bedeutete ein so großes Haus, das zu einer Musikschule werden sollte, Wohlstand. Diese Leute kamen aus Zentralasien. Sie hatten Eigentumsbelege für dieses Haus, aber ihnen wurde abgesagt: ‚Es tut mir leid, das ist jetzt eine Musikschule. Suchen Sie nach einem neuen Ort‘. Als Kind erinnere ich mich, dass es irgendwie komisch war, dass sie einfach weggeschickt wurden. Es scheint ihnen nichts auszumachen, dass es jetzt eine Musikschule ist, aber dann stellt sich eine andere Frage: Geben Sie uns einen neuen Platz zum Leben. Ich erinnere mich sehr gut an dieses Fragment aus der Kindheit.“
Jamala (Mitte) neben dem Haus der Familie Jamaladin. Ganz links — Vater, Alim Jamaladinow. Kutschuk-Osen (Maloritschenske), 2000.
Opas Feige. Kuru-Osen
Kuru-Usen (Krim: Quru Özen, seit 1945 — Sonjatschnohirske) ist ein Dorf auf der Krim an der Schwarzmeerküste in der Nähe von heutigem Maloritschenskyj. In diesem Dorf wurde von Jamalas Großvater Ajjar Jamaladinow ein Feigengarten angelegt, der bis heute gedeiht. Feigen werden zweimal im Jahr geerntet. Jetzt kümmert sich der Vater um den Garten. Er erntet Feigen und bringt sie auf den Markt.
„Ich liebe unsere Feigen, sie sind etwas Besonderes, weil sie mit Liebe geerntet werden. Der Vater vertraut niemandem. Wir sagen ihm seit langem: ‚Stell jemanden ein, der dir mit Feigen hilft!‘ Er pflückt jede Feige selbst und legt sie sorgfältig in den Kasten. Cool! Bin zu Hause gewesen. Schade, dass es jetzt keine Gelegenheit mehr gibt aber es ist echt cool dort, sehr schön. Es ist nicht nur ein Feigengarten und alles. Er ist wie ein Ort der Kraft, der, so hoffe ich, auch für meine Kinder bleibt und von Generation zu Generation weitergegeben wird.“
Ajjar Jamaladinow verbrachte viel Zeit im Garten und gab sich viel Mühe, die Bäume zu pflegen. Jamala erinnert sich, dass wenn ihr Großvater nicht aus dem Garten kam, um sich von ihr zu verabschieden, wenn sie zum Studium fuhr, fühlte sie sich manchmal beleidigt und dachte, dass Bäume für ihn wichtiger seien als seine Enkelin. Aber im Laufe der Zeit deutete sie diese Erinnerungen um.
„Mir scheint, dass so wie ich mit den Schafen sang und mich frei fühlte, empfand er dieselbe Freiheit mit den Bäumen. Ich glaube, dass es das A und O für jede Person ist. Sich ruhig, frei zu fühlen — mit Schafen, dem Meer oder Bäumen. Das fehlt mir jetzt sehr. Ich habe einen starken Wunsch, dass meine Kinder nach Hause fahren, meine Orte besuchen, mein Meer mit eigenen Augen sehen. Und sie hätten bereits ihre Erinnerungen, und sie könnten sich auch frei fühlen und ihre Freiheit finden, denn es scheint mir, dass es für jede Person essenziell ist, ihren Ort der Harmonie zu finden.“
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Diese Publikation wurde in Zusammenarbeit mit dem Ukrainischen Institut erstellt.