
“Opium des Volkes”– so bezeichnete die sowjetische Regierung die Religion sowie die damit verbundenen Feiertage und Bräuche. Alle Weihnachtstraditionen wurden nicht nur abgeschafft, sondern durch erfundene, neue Rituale ersetzt. Statt echter Weihnachtslieder sang man Lieder über den Kommunismus und Lenin. Der kommunistische Stern auf dem Weihnachtsbaum ersetzte den Stern von Bethlehem, und “Väterchen Frost” trat an die Stelle des Heiligen Sankt Nikolaus.
Während der Sowjetzeit wurden die Weihnachtstage zu Arbeitstagen erklärt, und abends patrouillierten kommunistische Aktivist:innen auf den Straßen, um die Namen all jener zu notieren, die Weihnachten feierten. Es kam sogar zu Verhaftungen. Der bekannteste Fall ist „Das verbotene Krippenspiel“ von 1972.

Das verbotene Krippenspiel in Kyjiw und Lwiw
Am 12. Januar 1972 verhaftete der KGB 19 Sternsinger in Kyjiw und Lwiw. Unter den Verhafteten waren junge Intellektuelle, darunter der Dichter Wasyl Stus, der Literaturkritiker Iwan Switlytschnyj, der Publizist Wjatscheslaw Tschornowil, die Dichterin Iryna Stasiw-Kalynez, die Künstlerin Stefanija Schabatura und der Philosoph Yewhen Swerstjuk.

“Diejenigen, die verhaftet werden sollten – ganz gleich, ob es nun ein Krippenspiel gab oder nicht – standen ohnehin bereits auf den Fahndungslisten. Die Ermittlungen waren im Grunde schon abgeschlossen und jeder sollte verhaftet werden. Viele von uns waren keine Dissidenten. Wir waren ukrainische Patrioten.”
Ihor Kalynez, Schriftsteller

Weihnachtsverbot in Charkiw
Trotz der Verfolgung der Sternsinger entstand Ende der 1980er Jahre in Charkiw ein ukrainischer Jugendverband. Dieser bewahrte die jährliche Tradition und organisierte für die Kinder und Jugendlichen der Stadt Krippenspiel und Sternsingen.

Foto: Jewhenija Sednjewa
Kostjantyn Tscheremskyj, der Leiter des Verbands, erinnert sich, wie sie in den Jahren 1982/83 in den Wohnungen Weihnachtslieder sangen. Damals organisierten die kommunistischen Behörden sogenannte “Elterntrupps”, die während des Sternsingens an den Eingängen der Häuser postiert wurden, um niemanden hereinzulassen. Trotz der andauernden Repressionen blieb die Tradition des Sternsingens in Charkiw erhalten.
“Wir haben versucht, das Krippenspiel (Anm. d. Red.) nicht zu fotografieren, da es unter Beobachtung stand und verfolgt wurde. Im Gegensatz zum Puppen-Krippenspiel trugen alle selbstgemachte Umhänge und improvisierte Kleidung und spielten die Krippe für sich selbst. Diese Tradition wurde von den Spielenden an unseren Kreis weitergegeben. Wir wandelten sie etwas ab, modernisierten sie und begannen, sie aktiv in unser Leben zu integrieren.”
Kostjantyn Tscheremskyj, Verbandsleiter und Arzt

Foto: Oleksandr Chomenko
Das verbotene Krippenspiel in Kryworiwnja
In der Sowjetzeit war die Kirche verboten und damit auch das Singen der Weihnachtslieder im Karpatendorf Kryworiwnja. Deshalb feierten die Huzulen (Bewohner:innen der Karpaten) still und heimlich. Sie sangen im oberen Teil des Dorfes, wo niemand sie sehen konnte, da die Behörden sie sonst bestrafen könnten. In den Städten wurden Liedtexte umgeschrieben und Jesus durch Lenin ersetzt, weil der KGB die Sternsinger verfolgte.

Foto: Dmytro Bartosch
“Die Einwohner von Werchowyna tanzten vor der Kirche und einige Einwohner von Kryworiwnja schlossen sich ihnen an. Wissen Sie, wenn man diese Tänze hörte, dann tat es einem wirklich in der Seele weh. Es gab nichts Verbietenswertes, nichts Staatsfeindliches an diesen Koljadas (Weihnachtslieder – Anm. d. Red.).”
Iwan Selentschuk, Mitglied des Krippenspiels in Kryworiwnja

Verbot der Malanka-Feier in Beleluja
Im galizischen Beleluja, wie auch in den benachbarten Regionen, wurde die Malanka-Feier (Neujahrsfest) in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verboten. Einheimische berichten, dass ihr Klubleiter Mychajlo Herlib die verkleideten Feiernden aufforderte, sich entgegen der Anweisungen nicht zu zerstreuen, sondern mit ihrem Fest weiterzumachen – selbst als die Polizei kam, um die Malanka-Feier zu unterbinden. Am Ende verteidigten sie ihre Tradition, obwohl die sowjetischen Behörden Herlib später zum Verhör einbestellten und ihn zwangen, eine schriftliche Erklärung abzugeben.

Foto: Artem Halkin
“Ich habe selbst am Malanka-Fest teilgenommen, als ich vom KGB und der Polizei vorgeladen wurde. Sie konnten es nicht leiden, wenn Menschen sich begegneten und zusammenkamen. Diese Traditionen waren ihnen ein Dorn im Auge. Einen Monat lang musste ich zum KGB gehen und immer wieder schriftlich versichern, dass es bei den Malanka-Feiern wirklich keine religiösen Anspielungen gab.”
Mychajlo Herlib, Klubleiter im Haus des Volkes in Beleluja