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Donezk im Osten der Ukraine wird von vielen als Stadt der Banditen und Separatisten sowie als „Hauptstadt“ der sogenannten Donezk Volksrepublik wahrgenommen. Die moderne Metropole ist seit 2014 vorübergehend von der Russischen Föderation besetzt. Der „Russkij Mir“ brachte in die ehemals bunte und entwickelte Stadt einen wirtschaftlichen und sozialen Niedergang mit sich sowie Repressionen gegen diejenigen, die trotz allen Gegebenheiten ihre ukrainische Identität bewahren. Außerdem formte das Aggressorland jahrelang hartnäckig den Mythos, dass Russland schon immer in der Stadt war und für immer da bleibt.

„Russkij Mir“
Russkij Mir ist eine Ideologie der kulturellen Totalität des Russischen. Der Begriff ist zweideutig, kann als „Russische Welt“ sowie auch als „Russischer Frieden“ übersetzt werden. Der Begriff wurde 2001 erstmals öffentlich von Wladimir Putin verwendet. Mit Beginn der landesweiten Invasion der Ukraine verwendete Putin in seinen Reden wieder sehr oft das Konzept des „Russkij Mir“.

Wir setzen unsere Textreihe über diejenigen Städte fort, die die Russen sich aneignen und ihre ukrainische Identität vernichten wollen; somit zerstören wir die Mythen des Kremls über diese Ortschaften.

„Die Einwohner von Donezk hatten eine positive Einstellung gegenüber der sowjetischen Regierung, dann luden sie Russland zu sich ein und außerdem gab es in Donezk keine nationale Elite, sondern nur Banausen“ ist eine typische Rhetorik derjenigen, die sich mit der Geschichte dieser Stadt nicht gut auskennen und – bewusst oder unbewusst – von den Narrativen Russlands stark beeinflusst werden. Leider zeigt die Geschichte der Russifizierung des Ostens der Ukraine, dass Russland seine giftigen imperialen Tentakel am schnellsten in die nächstgelegenen Regionen am schnellsten ausbreitet. Donezk litt darunter natürlich am meisten. Selbst nach der Verkündung der Unabhängigkeit der Ukraine taten russische Propagandisten alles, um den Eindruck zu erwecken, dass die Stadt prorussisch sei und die gesamte Region schließlich als autonome Einheit abgetrennt werden müsse. Dadurch bereitete das Aggressorland den Boden für die Besetzung von Donetschyna bereits 2014.

Leider war die mächtige Propagandamaschine des Kremls wirksam: sogar im zweiten Jahr des Krieges der Russischen Föderation in der Ostukraine gab es immer noch Ukrainer, die der Meinung waren, dass es besser ist, diese Gebiete abzugeben. Allerdings waren die Besatzer in Donezk nie willkommen geheißen. Der gleichzeitige Beginn des Euromaidans in Donezk mit dem in Kyjiw im Dezember 2013 ist ein Beispiel dafür. „Wir gingen auf die Straße, um der ganzen Ukraine zu zeigen, dass es in Donezk einen Euromaidan gibt, dass Donezk nicht dafür ist, sich Russland anzuschließen, und dass die Gesellschaft hier ukrainisch ist“, teilte eine lokale Journalistin ihre Erinnerungen. Es gab auch Menschen, die von Donezk nach Kyjiw fuhren, um am Protest in der Hauptstadt teilzunehmen. Prorussische Aktivisten aus den Regionen Donezk und Luhansk bedrohten sie, setzten sie unter Druck und gingen mit Gewalt gegen sie vor. Dennoch hielten die Einwohner von Donezk weiterhin friedliche Kundgebungen ab: die letzte fand am 5. März 2014 statt. Seit 2017 wird der 5. März als Tag des zivilen Widerstands im Donbas gegen die russische Besatzung begangen.

Zwischen April und Oktober 2014 wurde die Stadt trotz des aktiven Widerstands der Bevölkerung vom russischen Militär und der illegalen terroristischen Vereinigung der sogenannten „DNR“ (Donezk Volksrepublik) eingenommen. Die Feindseligkeiten im Donetschyna begannen, einschließlich der andauernden Kämpfe um den Flughafen Donezk.

Die russischen und pro-russischen Medien berichteten gerne, dass die russischen Besatzer in Donezk „mit Brot und Salz“ empfangen wurden, aber das war eine Fiktion.

„Diese Mythen, dass Donezk die russischen Besatzer ,mit Brot und Salz’ empfangen hat, sind nur Märchen. So könnte man auch sagen, dass Cherson und Butscha sie auch mit Brot und Salz empfingen“, sagte der Künstler Petro Antyp aus Horliwka während der Ukraїner-Expedition für das Projekt „Kultur in Zeiten des Krieges“.

Sogar jetzt, während der Besatzung, schließen sich bewusste Bürger der Bewegung des Gelben Bands an oder schreiben einfach heimlich „Donezk ist die Ukraine“ auf die Hauswände in der Stadt.

„Gelber Band“
Eine Bewegung des öffentlichen Widerstands in den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine, die im April 2022 nach dem Beginn der landesweiten Invasion Russlands gegründet wurde. Die Mitglieder der Bewegung leisten Informationswiderstand, indem sie u.a. heimlich gelbe Bänder als Symbol der ukrainischen Flagge aufhängen.

Eine pro-ukrainische Demo in Donezk. Foto: Anton Skyba.

Dies ist noch ein Grund, uns an die Geschichte von Donezk zu erinnern, zumal die Ukrainer hoffen, dass die Region bald befreit wird. Die ukrainische Gesellschaft wird dann vor der schwierigen Aufgabe stehen, diese Gebiete wieder in den ukrainischen Kontext zu integrieren und vom russischen Einfluss zu befreien.

Vor der russischen Invasion im Jahr 2014 war in Donezk eine steigende Entwicklung zu spüren. Die Stadt war attraktiv für Unternehmer und Kreative, und im örtlichen Donbas Arena Stadion fanden Konzerte von Weltklasse-Künstlern statt. Kurz vor der Besetzung wurde der Internationale Flughafen von Donezk, benannt nach Serhij Prokofjew, renoviert und eine neue moderne Start- und Landebahn gebaut – er sollte zu einem leistungsfähigen und profitablen internationalen Zentrum werden. Die Einwohner von Donezk entrollten in der Stadt mehrmals die größte Flagge der Ukraine.

2012 war Donezk einer der Austragungsorte der Fußball-Europameisterschaft, dort fanden Gruppenspiele, Viertelfinale und ein Halbfinale statt. Im Jahr 2013 fand das Achtelfinalspiel der Champions League zwischen Schachtar Donezk und Borussia Dortmund statt. Der Bahnhof, viele Straßen und die Hotels wurden für diese Veranstaltungen renoviert. Die Stadt war voller Leben.

Stadion Donbas Arena. Foto: Hlib Redko.

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Stadion Donbas Arena. Foto: Hlib Redko.

Beyoncé Knowles bei der Eröffnung des Stadions Donbas Arena. Foto: Serhij Wahanow.

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Beyoncé Knowles bei der Eröffnung des Stadions Donbas Arena. Foto: Serhij Wahanow.

Wie Donezk entstanden ist

Grabhügel aus der vorskythischen Zeit und die Überreste von Katakomben, Attribute heidnischer Riten, Schmuck, Keramik, Waffen und Werkzeuge, ein Feuersteinmesser – all das sind archäologische Funde in Donetschyna. Die Forscher haben allein auf den Territorien, die bis 2022 nicht unter russischen Besatzung waren, 6.000 Grabhügel gezählt. Es gäbe noch mehr, die in Zukunft entdeckt werden könnten. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die ersten Menschen hier vor etwa 5-5.500 Jahren erschienen und eine ziemlich entwickelte Lebensweise und Kultur hatten.

Im XV-XVIII. Jahrhundert befanden sich auf dem Gebiet des heutigen Donezk Kosakenhöfe sowie Siedlungen von Mennoniten (christlich-protestantische Bewegung), Altgläubigen und anderen religiösen Gruppen. Die Kohle- und Eisenerzvorkommen trieben die Entwicklung der künftigen Stadt rasant voran: Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden dort kleine Bergwerke, und 1869 baute der britische Unternehmer John Hughes ein großes Metallwerk. Um das Werk herum wurde das Dorf Jusiwka gegründet, das nach John Hughes benannt wurde und das sich später zu einer großen Stadt entwickelte.

Marktplatz von Jusiwka, 1901. Foto aus offenen Quellen.

Dem ukrainischen Historiker Jaroslaw Hryzak zufolge kamen nach Jusiwka Facharbeiter aus fernen europäischen Gebieten sowie Juden und Bauern aus den benachbarten Provinzen, um dort zu arbeiten. Man nannte Jusiwka die Stadt der hundert Nationalitäten. Die Inhaber verschiedener Industriebetriebe waren größtenteils Ausländer, nicht Russen, weshalb Jusiwka viel enger mit Westeuropa als mit dem Russischen Kaiserreich verbunden war.

In einem Interview erklärte die Historikerin Lessja Hasydschak, dass das Zentrum von Jusiwka völlig europäisch war: mit einer modernen Umgebung und Architektur, einschließlich Lehreinrichtungen, Gymnasien, Parfüm- und Süßwarenfabriken. Auch der bekannte Historiker Jaroslaw Hryzak ist davon überzeugt, dass Jusiwka eine Art „Stadt im Dorf“ war: Nur der zentrale Platz und einige Straßen waren urbanisiert, aber es gab im Allgemeinen keine ausgebaute Infrastruktur.

Blick auf Jusiwka, 19. Jahrhundert. Foto aus offenen Quellen.

Die Unternehmenseigentümer waren in erster Linie am Fortschritt des Dorfes als profitables Industriegebiet interessiert. Jusiwka war eher ein Konglomerat von Dörfern, deren Bewohner nach ihrem Herkunfts- und Arbeitsort aufgeteilt waren. Sie lebten eher geschlossen in ihren Gemeinschaften und stritten sich oft mit den anderen, weil viele von ihnen Saisonarbeiter aus verschiedenen Regionen und Ländern waren. Unterschiedliche Kulturen, Konkurrenz zwischen Bergleuten verschiedener Unternehmen und Trunkenheit führten zu Konflikten zwischen den Bewohnern.

Erst 1917 wurde Jusiwka zu einer Stadt ernannt. 1920, nach der endgültigen Besetzung durch die Sowjets wurde die Stadt weiter urbanisiert: Straßenbahnlinien verlegt, Universitäten und Theater gegründet. Vier Jahre später wurde Jusiwka in Stalino (Anm.: nach dem Wort „Stahl“) umbenannt. Die 1920er Jahre in der damaligen Ukrainischen Sowjetrepublik sind als die Zeit der sowjetischen Politik der Ukrainisierung bekannt, um damit den Ruf der „Roten“ (Anm.: gemeint, der kommunistischen Partei) in der Bevölkerung zu verbessern. Diese Politik endete mit der Tragödie des Holodomor und Massenhinrichtungen. Auch Stalino litt unter stalinistischer Repression: Anfang der 1940er Jahre erschossen die Mitarbeiter des Volkskommissariat für Inneres (NKWD) Zehntausende von Zivilisten, Soldaten und sogar Kinder von „Volksfeinden“ auf dem Rutschenkowe-Feld. Während der deutschen Besatzung wurde in Stalino ein Konzentrationslager betrieben, eines der ersten in der Ukraine. In der Grube eines der Donezker Bergwerke gab es zwischen 75.000 und 100.000 Menschenleichen, die durch Repressionen ums Leben gekommen sind. Die Nazis brannten mehr als die Hälfte der Gebäude in der Stadt nieder.

Rutschenkowe-Feld
Das Rutschenkowe-Feld ist eine Massengrabstätte für die Opfer des sowjetischen Terrors der 1930er und 1940er Jahren am Stadtrand von Donezk. Informationen über die Verbrechen der sowjetischen Regierung wurden erstmals im Herbst 1941 von der deutschen Besatzungsverwaltung veröffentlicht. Nach zahlreichen Augenzeugenberichten brachten die Deutschen die Einheimischen zum Feld und zeigten ihnen die kürzlich begrabenen Leichen. Im Frühling 1989 wurden bei Ausgrabungen auf dem Gebiet des Rutschenkowe-Feldes mehr als 500 menschliche Leichen mit durchschossenen Schädeln freigelegt.

Ein deutscher Besatzer in Donezk. Foto: depoua.

Nach dem Krieg wurde Stalino wiederaufgebaut und 1961 in Donezk umbenannt. Aufgrund des Mangels an Arbeitskräften im Bergbau ermutigte die sowjetische Regierung nicht nur Ukrainer, sondern auch Polen, Russen und Vertreter anderer Nationalitäten, in diese Region zu ziehen.

Historiker Dmytro Bilyj berichtet, dass junge Menschen aus der der Westukraine, die beim gemeinsamen Singen von ukrainischen Volkslieder, genannt „Hajiwka“, von der Miliz erwischt wurden, zur Arbeit in den Minen zwangsumgesiedelt wurden. Menschen aus Regionen Lemkiwschtschyna und Boykiwschtschyna in den Karpaten (Lemkenland und Bojkenland, heute Gebiete der Ukraine, Slowakei und Polen – Anm.) wurden auch nach Donezk deportiert. Ehemalige Kämpfer der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), die nach ihrer Inhaftierung durch die sowjetischen Behörden nicht in ihre Heimat zurückkehren durften oder die vom Ministerium für Staatssicherheit (dem Vorgänger des KGBs) verfolgt waren, zogen auch in das Gebiet rund um Donezk um.

Hajiwka
Ukrainische Volkslieder, die die Ankunft des Frühlings begrüßen. Traditionell versammeln sich junge Menschen während den Osterfeierlichkeiten, um Hajiwka zu singen.

Obwohl 1970 die Stadt Donezk von UNESCO als eine der besten jungen Industriestädte der Welt ausgezeichnet wurde, begann in den 1970er Jahren der Niedergang der Kohleindustrie, die die Hauptstütze der Entwicklung der Metropole war. Dies war auf die Ineffizienz des sowjetischen Wirtschaftssystems zurückzuführen. Die Bergwerke wurden entweder subventioniert oder stillgelegt. Infolgedessen begannen Ende der 1980er Jahre Massenstreiks und Proteste der Bergarbeiter, die als erste Zeichen der späteren Unabhängigkeitserklärung der Ukraine gelten.

Streik der Bergarbeiter aus Donbas in Kyjiw, 16. April 1991. Foto: Walerij Solowjow.

Die Ereignisse jener Zeit zeigen deutlich, dass die Menschen in Donezk nicht bereit waren, ihre Situation einfach hinzunehmen. Sie rebellierten gegen die Sowjets und somit gaben auch anderen Menschen den Anstoß, die auf den richtigen Zeitpunkt für ihren Protest warteten. Die These, die Bewohner von Donezk seien unpolitisch, passiv und weit entfernt vom ukrainischen Kontext, ist daher vollkommen falsch.

Vor der Besetzung von Donezk durch russische und separatistische Kräfte im Jahr 2014 war die Stadt ein starkes Industriezentrum. Das Magazin Forbes Ukraine hat Donezk zweimal als eine der attraktivsten Städte für Unternehmen bezeichnet. Fachkräfte aus der ganzen Ukraine reisten nach Donezk, auch zahlreiche internationale Unternehmen hatten dort ihre Büros und Produktionsstätten. Die Stadt verfügte über große Finanzmittel, eine entwickelte Infrastruktur und eine starke Wirtschaft.

Warum Donezk ukrainisch ist

Trotz der großen Zahl verschiedener Ethnizitäten, die seit jeher in Donezk leben, ist diese Stadt unbestreitbar ukrainisch. Ukrainische Bauern und Kosaken, die die südöstlichen Gebiete der Ukraine bewohnten und diese gegen feindliche Angriffe verteidigten, prägten die Identität der Stadt. Die Region Sloboda-Ukraine war nicht dem Russischen Kaiserreich unterstellt, so dass es möglich war, mit Waren frei zu handeln, Landwirtschaft zu betreiben und ohne kaiserliche Unterdrückung zu leben. Dies machte die östlichen Gebiete attraktiv für Migranten. Mitte des 19. Jahrhunderts waren mehr als 70 Prozent von Donezk und der heutigen Region Donetschyna überwiegend von Ukrainern bewohnt.

Oleksandr Dobrowolskyj, Geschichtsforscher von Donetschyna, erzählte, dass 1918 gerade in Jusiwka das Unterrichten in ukrainischer Sprache verboten wurde. Diese Entscheidung wurde vom damaligen Kommandanten der Stadt getroffen. Ein Jahr später verbot das Militärkommando die „kleinrussische Sprache“ (wie die ukrainische Sprache im zaristischen Russland genannt wurde – Anm.) offiziell durch einen speziellen Erlass. Dennoch waren verschiedene ukrainische Gesellschaften in der Region bis 1923 aktiv, sie konnten ungehindert und ohne Repressionen ihre Tätigkeit verüben.

„Proswita“ der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) in Donezk. Foto aus offenen Quellen.

Während des Zweiten Weltkriegs war die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) in Donetschyna aktiv, die von Einheimischen gegründet wurde. Obwohl die Deutschen die strukturellen Einheiten der Organisation dreimal auflösten, bauten die OUN-Mitglieder ein großes Widerstandsnetz im Untergrund auf, das 18 Bezirke von Donetschyna umfasste. Sie gründeten 600 ukrainische Schulen und 8 ukrainische Zeitungen, vertrieben die Russen aus mehreren Verlagen, so dass Schulbücher in ukrainischer Sprache veröffentlicht werden konnten. Somit war den Menschen die Möglichkeit gegeben, zur ukrainischen Sprache zu wechseln und die ukrainische Identität zu entwickeln. In den Großstädten im Donbas standen OUN-Mitglieder an der Spitze der Besatzungspolizei oder wurden zu Bürgermeistern ernannt. Außerdem erließen OUN-Mitglieder Gesetze zur Ukrainisierung und Benutzung der ukrainischen Sprache.

OUN
Eine ukrainische soziale und politische Bewegung mit dem Ziel, einen unabhängigen ukrainischen Einheitsstaat zu schaffen, zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Bereits 1942 verstanden die deutschen Besatzungsbehörden, dass die OUN-Mitglieder sie manchmal ersetzten und somit zu einem Hindernis wurden. Daraufhin begannen die Besatzer mit Repressionen. Im Sommer 1943 wurden Menschen aus dem gesamten Region Donetschyna verhaftet und massenhaft erschossen. Im Jahr 1943 wurden in Donezk 60 Menschen verhaftet, von denen einige in ein Konzentrationslager geschickt und andere erschossen wurden. Die Verfolgungen hörten auch nach dem Krieg nicht auf; nur statt der Deutschen übernahmen dann die Kommunisten die Oberhand. Sowjetische Spione ermöglichten zahlreiche Repressionen. Oleksandr Dobrowolskyj zufolge wimmelte es in Stalino damals von Agenten des Allukrainischen Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage.

Zerstörte Industrieunternehmen in Donezk. Foto aus offenen Quellen.

Der Widerstand gegen die sowjetische Besatzung ging jedoch weiter. Sowohl Mitglieder der OUN als auch ganz gewöhnliche Bewohner von Donetschyna organisierten geheime Schutzbunker und Vereine für die Befreiung der Ukraine. Auch gaben sie die Zeitschrift „Freunde des ukrainischen Volkes“ (1948-1950) heraus. Sie alle wurden von den sowjetischen Geheimdiensten aufgespürt und verurteilt. In Stalino versuchte das OUN-Mitglied Wassyl Pidhorezkyj, einen ausgebreitete Untergrundbewegung mit lokaler Organisationsstruktur aufzubauen. 1953 erfuhr der sowjetische Geheimdienst davon und führte mehrere Festnahmen durch. Der Mann wurde zu 32 Jahren Gefängnis verurteilt. Das letzte OUN-Mitglied, M. Jankowskyj, wurde von den Sowjets in Donetschyna erst 1958 verhaftet.

In den Nachkriegsjahren war die pro-ukrainische Bevölkerung des Donbas weiteren Schikanen ausgesetzt. Repressionen, Verhaftungen, Hinrichtungen, schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und die Unmöglichkeit, ohne Russischkenntnisse eine gute Arbeit zu finden, führten dazu, dass die Menschen allmählich ihre eigene Identität, Traditionen, Sprache und Kultur vergaßen. Es machte keinen Sinn, die Kinder in ukrainische Schulen zu schicken, weil Ukrainisch an den Universitäten und an Arbeitsplätzen nicht benutzt wurde.

Oleksa Tychyj (1927-1984), bekannter Menschenrechtsaktivist, Mitglied der ukrainischen Helsinki-Gruppe und Lehrer aus Donetschyna, versuchte dagegen anzukämpfen, weil es ihm für seine Heimat tat. Er schrieb 1972 in seinem Werk „Gedanken über meine Heimat Donetschyna“:

„Ich liebe mein Donetschyna, ihre Steppen, Schluchten, Waldstriche und Halden. Ich liebe auch seine Menschen, die unermüdlichen Arbeiter auf dem Land, in den Fabriken und in den Bergwerken. Ich habe meine Heimat immer geliebt, und ich liebe sie auch heute, in den schlechten Zeiten der Assimilierung und der Indifferenz meiner ukrainischen Mitbürger gegenüber der nationalen Kultur und gegenüber ihrer Muttersprache. <...> Ich möchte, dass mein Donetschyna nicht nur Fußballfans, vaterlandslose Wissenschaftler, russischsprachige Ingenieure, Agronomen, Ärzte, Lehrer erzieht, sondern auch ukrainische patriotisch eingestellte Fachleute, ukrainische Dichter und Schriftsteller, ukrainische Komponisten und Schauspieler“.

Die Ukrainische Helsinki-Gruppe
war eine Menschenrechtsorganisation, die zwischen 1976 und 1981 in der Ukrainischen Sowjetrepublik existierte, um die Einhaltung der von der Sowjetunion unterschriebenen Schlussakte von Helsinki zu kontrollieren und Menschenrechtsverletzungen zu beanstanden. Die Gruppe war aktiv, bis alle Mitglieder 1981 in die Gefangenschaft oder ins Exil kamen.

Obwohl in der Sowjetunion der Mythos verbreitet wurde, dass die Region Donezk eine Industrieregion war, von der der Rest der Sowjetunion abhing, und eines der wichtigsten Bergbaugebiete des Landes sei, hatten die Bergarbeiter in Donetschyna Ende der 1980er Jahre während der akuten Wirtschaftskrise hatten die Bergarbeiter in Donetschyna nicht mehr das Nötigste zum Leben, auch ihre Wohnbedingungen waren ganz miserabel. Daher starteten Bergarbeiter eine Protestbewegung. Bei den ersten Streiks im Juli 1989 forderten die Arbeiter bessere Bedingungen, höhere Löhne und eine neue Bergwerksleitung. Während des Streiks legten mehrere hunderttausend Bergleute für mehr als eine Woche die Arbeit nieder, insgesamt stellten sie 48 Forderungen. Die Aktion wurde so umfangreich, dass die sowjetischen Behörden reagieren mussten: Im Kreml fanden Verhandlungen zur Lösung des Problems zwischen Vertretern der Streikkomitees des Donbas und dem Vorsitzenden des Ministerrats der Sowjetunion statt.

Ein Jahr später, 1990, fand ein weiterer Protest in Donezk statt. Diesmal forderten die Demonstranten ebenfalls den Rücktritt der Regierung der Sowjetunion, sowie die Entfernung Entlassung aller Parteimitglieder aus der Bergwerksführung. 1991 organisierten die Bergarbeiter Kundgebungen und Streiks im Zentrum von Kyjiw, auf Chreschtschatyk-Strasse, wo Aufrufe über die Unabhängigkeit der Ukraine und die Armut in der Sowjetunion zu hören waren. Diese Ereignisse wurden zu einem wichtigen Impuls für die Unabhängigkeit der Ukraine und den Zusammenbruch der gesamten Sowjetunion.

Kundgebung von Bergarbeitern in Donezk, April 1991. Foto: Ukrinform.

Danach streikten die Bergarbeiter fast jedes Jahr. So haben sie 1995 fast ein Jahr lang gegen die Streichung von Subventionen für den Steinkohlenbergbau protestiert und schließlich ihr Ziel erreicht: Die Finanzierung wurde wiederhergestellt, obwohl der rückständige Lohn nicht ausgezahlt wurde. Es folgte ein großer Marsch der Bergarbeiter nach Kyjiw: 1998 gingen 5.000 Bergleute drei Wochen lang zu Fuß in die Hauptstadt, um ihre Unzufriedenheit über die Nichtauszahlung der Löhne innerhalb von 8-9 Monaten der Regierung zum Ausdruck zu bringen. Beamte versuchten wiederholt, die Kolonne der Demonstranten aufzuhalten, jedoch ohne Erfolg. Der Marsch wurde auch von Bergarbeitern unterstützt, die zu Hause geblieben waren. Die Bergarbeiter erreichten ihr Ziel: Sie bekamen ihre Löhne ausgezahlt und kehrten aus der Hauptstadt in ihre Städte zurück.

Die Bergarbeiterbewegung war während der gesamten 1990er Jahre aktiv. Aufgrund der Repressionen kam sie aber zum Stillstand. Es gab mehrere Anschläge auf die Anführer der Bewegung. 1998 wurden die Proteste der Bergarbeiter in Luhansk durch die Spezialeinheit der Polizei unterdrückt, die mit Schlagstöcken auf die Demonstranten einschlugen und Tränengas einsetzten. Zweiundzwanzig Bergleute wurden verletzt. All diese Ereignisse führten zum Ende der Bergarbeiterbewegung.

Spezialeinheit der Polizei bei der Niederschlagung einer Bergarbeiterkundgebung. Foto aus offenen Quellen.

Symbole von Donezk

Viele Menschen assoziieren Donezk nur mit Industrie und mit grauem Arbeitsleben. Obwohl die Stadt wirklich für den Bergbau berühmt ist, ist sie auch ein entwickeltes wissenschaftliches Zentrum und eine interessante, malerische und absolut ukrainische Stadt.

Der erste Bürgermeister von Jusiwka

Der erste Bürgermeister von Jusiwka, als sie erstmals als Stadt anerkannt wurde, war Semen Jejte, gewählt 1917. Seine politische Karriere war nicht lang, die Gründe für seine Absetzung sind nicht bekannt, er war jedoch eine interessante Person und machte viel für die Entwicklung der Region.

Damals gab es viele Unfälle in den Minen, bei denen mehrere Dutzende Bergarbeiter ums Leben kamen, so dass Jejte, ein ausgebildeter Ingenieur, begann, die Sicherheit in der Branche zu verbessern.

Donezker Bergleute im frühen 20. Jahrhundert. Foto aus offenen Quellen.

Er leitete die Bergbau-Rettungsstation des Bergbaubezirks Mariupol und hatte 1917 mit einem schweren Bergwerksunglück in Horliwka zu kämpfen. Später leitete Jejte ein Physik-Chemie-Labor und unterrichtete am Institut, leitete eine Schule für Rettungsausbilder und eine Bergbau-Rettungsstation am Forschungsinstitut für Bergbausicherheit und Bergbau-Rettung. Er widmete sein ganzes Leben diesem Anliegen.

Wassyl Stus und Donezk

Bekannter ukrainischer Dichter, Schriftsteller und Dissident Wassyl Stus verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Donezk, obwohl er ursprünglich aus Podillja (zentrale Ukraine – Anm.) stammte. Wassyl beendete die Schule mit einer Goldmedaille und studierte an der Pädagogischen Universität in Donezk, wo er ausschließlich Ukrainisch sprach, obgleich die Hochschulausbildung bereits vollständig russifiziert war. Stus unterrichtete Ukrainisch in Horliwka, war Mitglied des Donezker Klubs der Schriftsteller und Literaturredakteure sowie veröffentlichte die ukrainischsprachige Donezker Zeitung „Sozialistisches Donbas“.

In einem Brief aus dem Jahr 1963 an seine Kollegen beschrieb der Dichter seine Sorge über die Heimatregion:

Ich glaube, dass das Schicksal des Donbas das zukünftige Schicksal der Ukraine ist. Wie können wir diese besondere ,Art von Internationalismus’ dulden, die zur Zerstörung einer ganzen geistigen Einheit der Menschheit führen kann? Schließlich sind wir keine Preußen, wir sind keine Polaben, wir sind über 40 Millionen Menschen. Jetzt unterrichte ich Ukrainisch in der Stadt Horliwka, natürlich an einer russischen Schule. Es gibt nur wenige (2-3) ukrainische Schulen in Horliwka… Ich glaube nicht, dass es in Donezk überhaupt welche gibt.“

Wassyl Stus (1938-1985)
war ein ukrainischer Dichter, Publizist sowie sowjetischer Dissident. Er war einer der engagiertesten Vertreter einer ukrainischen kulturellen Autonomie und wurde dafür zu insgesamt 23 Jahren in Straflagern und Verbannung verurteilt, wo er vermutlich an Unterkühlung im Alter von 47 Jahren starb.

Wassyl Stus in Donezk. Foto aus offenen Quellen.

Die Stadt der Millionen Rosen

Einer der Parteifunktionären von Donetschyna, Wolodymyr Degtjarjow, besuchte in den 1960er Jahren Versailles. Er war von den Rosengärten dort so beeindruckt, dass er nach seiner Rückkehr nach Donezk anordnete, die Stadt mit Rosen zu bepflanzen. 1970 zeichnete die UNESCO Donezk als grünste Industriestadt aus, und die Stadt wurde als „Stadt der Millionen Rosen“ bekannt. Vor der russischen Besetzung im Jahr 2014 verfügte einer der Stadtparks über den größten Rosengarten der Ukraine.

Bergehalden in Donezk

Das gesamte Gebiet Donetschyna ist mit riesigen Bergehalden bedeckt. In Donezk selbst gibt es 89 davon. Solche „Berge“ haben schon immer Touristen angezogen, weil sie inmitten einer modernen Stadt ungewöhnlich aussehen. Vor dem Einmarsch der Russen trainierten dort Bergsteiger, Kinder kletterten darauf und von oben konnte man auf Donezk hinunterschauen oder sogar Fußballspiele im Stadion ansehen.

Bergehalden
Künstliche Halden, die früher beim Abbau von Steinkohle und anderen Mineralien entstanden.

Blick auf die Bergehalden. Foto: Serhij Wahanow.

Obwohl die Bergehalden wunderschön aussehen, sind sie gefährlich für die Umwelt. In ihrem Inneren herrschen ständig sehr hohe Temperaturen – von 500 bis 3000 °C, weshalb sie ständig schwellen. Wenn Abfallgestein in Brand gerät, werden schädliche Chemikalien freigesetzt, die in die Luft, in Gewässer und in den Boden gelangen und sich auf weit entfernte Gebiete ausbreiten. Manchmal kann es auf Halden sogar zu Explosionen kommen.

Um die Gefahr zu verhindern, muss man die Bergehalden untersuchen und pflegen. Die Halden können zum Beispiel in Grünflächen umgewandelt, in ihrer Höhe reduziert und als Rohstoff für Aluminium, Eisen und andere Produkte verwendet werden. Jedoch ist es mit hohem Kostenaufwand verbunden, daher werden derzeit Projekte zum Schutz und zur Sanierung von Berghalden nur selten umgesetzt. Nach der Besetzung von Donezk nutzten russische Kämpfer die Bergehalden in der Stadt nicht weit von Wohnhäusern für militärische Übungen.

Fußballverein Schachtar Donezk

Für viele Einwohner von Donezk ist der lokale FC Schachtar fast ein kultureller Code ihrer Heimatstadt. Der Verein wurde 1936 gegründet und entwickelte sich seitdem zu einem der bekanntesten ukrainischen Fußballvereinen. Ursprünglich bestand er aus einheimischen Bergarbeitern, aber seit den späten 1950er Jahren hat sich Schachtar zu einer der erfolgreichsten Mannschaften in der Sowjetunion und später in der unabhängigen Ukraine entwickelt.

Die Spieler von Schachtar wissen, wie sehr sie die riesige Fangemeinde beeinflussen, die nicht nur aus Einwohnern von Donezk, sondern auch Menschen aus dem ganzen Land besteht. Selbst nach ihrer Evakuierung (sie haben Standorte in Kyjiw und Lwiw) demonstriert die Mannschaft aktiv ihre pro-ukrainische Position: Es werden Spenden für die Zivilbevölkerung, Binnenflüchtlinge und fürs Militär gesammelt. Auch durch Medienauftritte und auf dem Fußbalplatz ruft die Mannschaft zur Unterstützung der Ukraine auf und schärft so das Bewusstsein der Weltgemeinschaft für den russisch-ukrainischen Krieg.

Die Fans von Schachtar unterstützten die Ukraine auch nach der Besetzung ihrer Heimatstadt und nach dem Beschuss von ihrem Heimstadion, die Donbass-Arena, durch Russland. 2015 während eines Fußballsspiels in Charkiw verbrannten sie zum Beispiel die Flagge der sogenannten DNR („Donezker Volksrepublik“). Viele der Ultras zogen als ukrainische Freiwillige in den Krieg ein.

Verbrennung der Flagge der sogenannten DNR. Foto aus offenen Quellen.

Derzeit müssen die Fans des FC Schachtar (die in dem von der Ukraine kontrollierten Gebiet leben) nach Kyjiw, Lwiw und in andere Städte reisen, um die Spiele ihres Lieblingsvereins zu besuchen. Sie vermissen ihre Heimatstadt und ihr Stadion und freuen sich auf ihre Rückkehr. Interessanterweise blieben einige Schachtar-Fans auch in den besetzten Gebieten. Sie verfolgen im Internet die Spiele von FC Schachtar und warten auf die Rückkehr des Vereins in sein Heimatstadion.

Die Kultur von Donezk vor und während der russischen Besatzung

Vor Beginn des Krieges 2014 hatten die Einwohner von Donezk, obwohl sie russifiziert waren, ein Bedürfnis nach ukrainischer Kultur.

Im Sommer 2012 und 2013 fand in Donezk zum Beispiel die Kunstveranstaltung „Zweite Schicht“ statt, die später von den Menschen „Nacht der Industriekultur“ genannt wurde. Dieses Festival fand nachts statt. Mitarbeiter des örtlichen Geschichtsmuseums erzählten auf interaktive Weise von der Geschichte der Stadt: Sie verkleideten sich als historische Helden, interagierten mit dem Publikum durch Töne und Bilder und zeigten so die Stadt Donezk. Im Park traten Folk- und Rockmusiker auf. Diese Veranstaltung war beliebt und zählte etwa 2000 Besucher jährlich.

Eine der ausdrucksvollen Erscheinungen des Donezker kulturellen Lebens waren auch die Kunsträumlichkeiten „Izolyatsia“ (dt.: Isolierung). 2010 bekam das Gelände einer stillgelegten Isoliermaterialfabrik ein neues Leben: Die internationale Wohltätigkeitsstiftung „Izolyatsia“ nahm dort ihre Arbeit auf. Den Mitgestaltern des Kunstraums war es wichtig, dass die Kultur die realen Probleme und den Kontext des Lebens der Einwohner von Donezk zeigt. Das zog immer mehr Menschen an. Doch im April 2014 wurde Donezk von den russischen Soldaten besetzt. Anstatt sich sofort zu evakuieren, beschloss Izolyatsia, das Spanische Filmfestival fortzusetzen, das zu dieser Zeit im Kunstraum stattfand. Ende April veranstaltete das Team das erste ukrainische Literaturfestival (unter der russischen Besatzung!). Das Thema der Veranstaltung lautete „Sprache und Gewalt“, was unter der Besatzung von Donezk durch russische Truppen durchaus relevant war. Auf dem Festival traten viele ukrainische Schriftsteller und Wissenschaftler auf.

Figur eines Hirsches auf der Bergehalde des Kunstzentrums Izolyatsia. Foto von Serhij Wahanow.

„Izolyatsia“ war bis Juni 2014 in Donezk tätig. Dann drangen bewaffnete russische Soldaten in das Gelände der Fabrik ein. Sie behaupteten, für humanitäre Hilfe der Russischen Föderation nutzen zu wollen. In Wirklichkeit verwandelten sie die mit Leben und Freude gefühlten kulturellen Räumlichkeiten in Donezk in ein Gefängnis mit Folterkammern.

Die Folterkammer von "Izolyatsia". Foto aus offenen Quellen.

Vor der Besatzung der Stadt 2014 besuchten prominente europäische Künstler die Stadt. So führte das Donezker Opern- und Balletttheater 2013 eine gemeinsame ukrainisch-deutsche Inszenierung von Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ auf, bei der die neuesten Technologien für das Bühnenbild eingesetzt wurden.

Seit der Besatzung 2014 und der darauffolgenden Repressionen kamen die ukrainischen und europäischen Kulturveranstaltungen in Donezk natürlich zum Erliegen.

Seitdem werden den Menschen im Bildungs- und Kultursystem in Donezk und auf dem gesamten Gebiet von „DNR“ ausschließlich russische Propaganda und russische Massenkultur aufgezwungen, u.a. durch den Fernseher.

In den unbesetzten Gebieten von Donetschyna fanden jedoch weiterhin Festivals und andere Kulturveranstaltungen statt, die unter anderem nicht nur über die Kultur, sondern auch über die Geschichte der Ukraine und ihren Unabhängigkeitskampf informierten. 2021 fand beispielsweise im Dorf New York direkt neben der Front ein großes Literaturfestival statt, das von vielen bekannten ukrainischen Schriftstellern wie Serhij Schadan, Tamara Horicha Sernja, Irena Karpa, usw. besucht wurde. Die Veranstaltung war zahlreich besucht: 600 Zivilisten und Militärangehörige wollten an den Diskussionen und Lesungen ukrainischer Werke teilnehmen. Leider wurde die Gründerin des Festivals, die Schriftstellerin und Aktivistin Wiktoria Amelina, beim russischen Beschuss eines Restaurants in Kramatorsk am 27. Juni 2023 schwer verletzt und starb einige Tage später an den Folgen ihrer Verletzungen.

Wiktorija Amelina. Foto: Facebook.

Donezk unter Besatzung und der Widerstand der Einwohner

Einwohner von Donezk berichten, dass im Februar 2014 unbekannte Personen mit ungewöhnlichem Akzent auf den Straßen der Stadt auftauchten. Im März organisierten dieselben – nicht lokal abstämmige – Personen zusammen mit lokalen Separatisten pro-russische Kundgebungen. Die Ukrainer gingen auf die Straße, um sich ihnen zu widersetzen. Nach verschiedenen Schätzungen versammelten sich am 5. März 2014 etwa 10.000 Menschen auf einer ukrainischen Kundgebung mit solchen Slogans wie „Donezk ist die Ukraine“ und „Die Ukraine ist vereint“. Einwohner Oleksandr Sobol erzählte einem lokalen Medienunternehmen:

„Man konnte den Unterschied zwischen den Trägern ukrainischer und russischer Fahnen sehen. Die Intellektuellen der Stadt – Professoren, Studenten, Unternehmer – waren auf unserer, der ukrainischen, Seite. Auf der anderen, der pro-russischen Seite waren viele Menschen aus der untersten Schicht, zum Beispiel, Drogenabhängige und ehemalige Häftlinge. Das Interessante daran ist, dass diese Männer sich damals nicht mal kannten. Zuerst verprügelten sie sich, und dann fanden sie heraus, dass sie alle aus Russland stammten.“

Bei einer Kundgebung am 13. März 2014 wurde der 22-jährige ukrainische Aktivist Dmytro Tschernjawskyj bei einem Zusammenstoß zwischen ukrainischen Demonstranten und pro-russischen Kräften getötet. Separatisten begannen, Barrikaden um die regionale Staatsverwaltung herum aufzurichten sowie diejenigen Ukrainer, die sich gegen den russischen Einfluss stellten, zu verfolgen. Am 6. April stürmten prorussische Demonstranten und Militante die regionale Staatsverwaltung von Donezk und verkündeten am nächsten Tag eine „Souveränitätserklärung der Volksrepublik Donezk“. Lokale Beamte verteidigten die regionale Staatsverwaltung nicht und erlaubten den Militanten und Separatisten den Zutritt. Sie begründeten es damit, dass sie keine Schießereien und Opfer verursachen wollten. Es kam ständig zu Zusammenstößen zwischen ukrainischen Aktivisten und Sicherheitskräften ohne Kennzeichen sowie Russen, die massenhaft in die Stadt gebracht worden waren. Die letzte pro-ukrainische Kundgebung fand am 28. April 2014 statt; dabei wurden die Teilnehmer mit Pfefferspray, Messern und Schlagstöcken angegriffen.

Die letzte ukrainische Kundgebung in Donezk, die von pro-russischen Aktivisten auf der Hauptstraße der Stadt brutal aufgelöst wurde. Foto: Serhij Wahanow.

Bereits im Mai 2014 begannen russische Truppen, ukrainisches Gebiet aktiv mit schwerer Artillerie zu beschießen. Die in der Ukraine Mitte April 2014 verkündete Anti-Terror-Operation (ATO) gewann an Fahrt.

Eine der schmerzhaftesten Seiten der Besetzung der Stadt war die Schlacht um den Flughafen Donezk zwischen den russischen Besatzungstruppen und den ukrainischen Streitkräften sowie Freiwilligengruppen. Die erste Schlacht fand Ende Mai statt, und die ukrainischen Truppen vertrieben die Besatzer aus dem Flughafen. Sechs Monate später, im September, nach der Unterzeichnung der Minsker Vereinbarungen, griff das russische Militär den Flughafen erneut an, diesmal wesentlich besser vorbereitet. Das Gebäude wurde mit Artillerie und Mörsern beschossen, regelmäßig gestürmt und mithilfe von Panzern und Kleinwaffen angegriffen.

Ukrainische Kämpfer auf dem Flughafen von Donezk. Foto: Serhij Lojko

Das Symbol der Verteidigung des Flughafens ist der Kontrollturm, der bis zuletzt von ukrainischen Truppen kontrolliert wurde. Er ermöglichte es den ukrainischen Streitkräften, ihre Stellungen rechtzeitig mit Artillerie zu decken. Russische bewaffnete Gruppen beschossen den Turm ständig und versuchten, ihn zu zerstören. Am 13. Janua, als sich ukrainische Soldaten im Turm befanden, stürzte er infolge eines lang andauernden russischen Panzerangriffes. Der Kommandant mit dem Rufzeichen „Green“ kommentierte dieses Ereignis wie folgt:

„Gott ,legte’ den Kontrollturm so runter, dass wir alle am Leben geblieben sind.“

Kontrollturm des Flughafens Donezk. Foto aus offenen Quellen.

Nach offiziellen Angaben dauerte die Verteidigung des Flughafens Donezk 242 Tage. Am 20. Januar 2015 sprengten die Russen das neue Terminal, in dem das ukrainische Militär stationiert war. Dies geschah während einer Waffenruhe, die von Diplomaten beider Seiten vereinbart wurde, damit die Russen die Körper ihrer Toten und die Verwundeten vom Schlachtfeld evakuieren konnten. Die ukrainischen Truppen zogen sich am 22. Januar 2015 aus dem Gebiet des völlig zerstörten Flughafens zurück. Sie sind im Volksmund als „Cyborgs“ bekannt, weil sie sich in der Hölle des Gefechts als extrem widerstandsfähig und unbezwingbar erwiesen. Sogar Militäranalysten waren über ihr militärisches Können und ihre Ausdauer verwundert.

2017 drehte der ukrainische Regisseur krymtatarischer Herkunft Achtem Seitablajew einen Spielfilm über die heldenhafte Verteidigung des Donezker Flughafens nach einem Drehbuch der ukrainischischen Autorin Natalka Woroschbyt. Der Film trägt den Titel „Cyborgs. Die Helden werden nie sterben“ zu Ehren der Soldaten, die an den Kämpfen teilgenommen haben.

2019 veröffentlichte Radio Liberty einen Dokumentarfilm über das Leben in Donezk unter der Besatzung. Es ist eine schmerzhafte, aber wichtige Geschichte über eine Stadt, die aufgrund der russischen „Befreier“ seit 2014 in der Zeit festzustecken scheint. Jedoch träumt die Stadt, aus diesem Teufelskreis auszubrechen und endlich zu ihren ukrainischen Wurzeln zurückzukehren. Der Film ist sehenswert, um den Kontext zu verstehen, in dem die Einwohner von Donezk seit mehr als 9 Jahren leben.

Donezk nach der Besetzung. Foto aus offenen Quellen.

Ab Januar 2023 gab es in Donezk Probleme mit der Wasserversorgung: nur zweimal pro Woche wurde Wasser geliefert. Noch schwieriger war es, Trinkwasser zu bekommen: In einigen Orten bekam man es in Flaschen nur nach dem Vorliegen des Ausweises.

Auch in einigen Gebieten mussten die Menschen ihre Häuser mit Kohle heizen. Die Bewohner berichteten, dass die Besatzungsbehörden minderwertige Kohle mit viel Schutt zur Verfügung stellten, so dass es nicht genug Wärme im Winter gab. Die Stadt wird nicht gepflegt, Wartungsarbeiten der städtischen Infrastruktur werden nur selten durchgeführt, und wenn, dann größtenteils nur zwecks Propagandabilder in russischen Medien.

Mehr über das Leben in Donezk seit der Besatzung bis zur landesweiten Invasion können Sie im bereits oben erwähnten Dokumentarfilm erfahren.

2022, nach der landesweiten Invasion Russlands in die Ukraine, wurden viele Einwohner von Donezk zur russischen Armee eingezogen. Aufgrund des Mangels an Arbeitskräften werden Bergwerke und andere Unternehmen geschlossen, der Wohnungs- und Versorgungssektor funktioniert nicht gut, und die Arbeitslosigkeit steigt. Die lokalen Besatzungsbehörden kompensieren den akuten Mangel an Medikamenten, medizinischer und Schulausstattung mit Hilfe von Gütern, die vom russischen Militär in den neu besetzten Gebieten der Ukraine gestohlen wurden. Seit 2014 hat ein Großteil der pro-ukrainischen Bevölkerung das Gebiet des vorübergehend besetzten Donezk verlassen, aber es gibt dort immer noch Menschen, die auf die Rückkehr der Ukraine warten.

Soldaten der russischen Armee (vermutlich der sogenannten DNR) in der Nähe des Dorfes Bugas in Donetschyna. Foto aus offenen Quellen.

Unter den Menschen, die heute noch in Donezk leben, gibt es welche, die trotz des Drucks und der Gefahr für ihr Leben weiterhin Widerstand gegen die russischen Besatzer leisten. So schließen sich beispielsweise ukrainische Aktivisten der „Gelber Band“-Bewegung an. Ihre Teilnehmer hängen heimlich gelbe Bänder, Flugblätter und Plakate mit ukrainischen nationalen Symbolen in der Stadt auf und malen Graffiti, um ihren zivilen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen. Diese gewaltlosen und vom ersten Blick unbedeutenden Aktionen erinnern andere Bewohner der besetzten Gebiete daran, dass die Ukraine ihre Menschen unterstützt und plant, ihre Gebiete zurückzuerobern. Die Besatzer werden wiederum daran erinnert, dass die Zeit der Haftung bald kommen wird, wenn sie für alle ihre Verbrechen haften werden müssen.

Ein Flugblatt in Donezk: „Donezk ist eine ukrainische Stadt”. Foto: Telegrammkanal der „Gelber Band" Bewegung.

Darüber hinaus wird in den Nachrichten in letzter Zeit vermehrt über den „plötzlichen“ Tod von russischen Propagandisten, Vertretern der Besatzungsbehörden und Kollaborateuren in Donezk und seiner Umgebung berichtet. All dies deutet darauf hin, dass es in der Stadt offensichtlich eine ukrainische Widerstandsbewegung gibt. Wir können dies mit Zuversicht sagen: Donezk wartet auf die Ukraine, und die Ukraine wartet auf Donezk.

Hissen der Nationalflagge vor der staatlichen Regionalverwaltung von Donezk am Tag der Ukrainischen Flagge. Foto: Serhij Wahanow.

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