Die Stimmen Mariupols. Das Leben zwei Jahre später. Halyna

Share this...
Facebook
Twitter

„Hört die Stimme Mariupols“ ist eine Serie von Geschichten über die Leute, die im belagerten Mariupol überlebt und es geschafft haben, zu fliehen. Zwei Jahre später haben wir sie wiedergetroffen und mit ihnen darüber gesprochen, wie sich das Leben für sie und wie sich auch ihre Einstellung zur vollumfänglichen Invasion geändert haben.

In diesem Artikel sprechen wir mit Halyna Balabanowa, die die Freiwilligenzentrale von „Chalabuda“ koordinierte, in der sich Freiwillige aus Mariupol zusammengeschlossen hatten, um den Einwohnern und dem Militär zu helfen.

Vor fast zehn Jahren, im Frühling 2014, besetzten pro-russische Kräfte zum ersten Mal Mariupol. Die Stadt war genau zwei Monate lang unter ihrer Kontrolle ‒ vom 13. April bis zum 13. Juni. Dann wurde sie durch mehrere Kampfeinheiten befreit, darunter auch durch das neu gegründete Freiwilligenbataillon „Asow“, das zu einem Symbol für Mariupol wurde.

Quelle: „Asow“

Doch Russland gab seine Versuche, ukrainisches Land zu erobern, nicht auf. Im Jahr 2022 begann eine vollumfängliche Invasion mit dem Ziel, nicht nur die Region Donezk (Donetschtyna), sondern die gesamte Ukraine einzunehmen. Mariupol war eine der ersten Städte, die angegriffen wurden. Die Mariupoler, die es gewohnt waren, nahe der Frontlinie zu leben, konzentrierten alle ihre Kräfte auf Freiwilligenarbeit und gegenseitige Hilfe.

Freiwilligenarbeit in Mariupol vor der großangelegten Invasion

Als die ukrainische Armee Mariupol 2014 befreite, wurde die Stadt zum Wohnort für Tausende von Menschen aus verschiedenen Teilen der Region Donetsk, deren Städte und Dörfer leider immer noch unter russischer Besatzung stehen. Geflüchtete und Freiwillige aus Mariupol fingen an, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren, um einander zu helfen. Sie eröffneten Freiwilligenzentren und Räume für Kreativität, Freizeit und soziale Interaktion. Über einige dieser Zentren haben wir bereits im Jahr 2017 berichtet.

Foto: Dmytro Bartosch

Für Halyna, eine gebürtige Bewohnerin Mariupols, begann der Weg als Freiwillige ebenfalls im Jahr 2014. Sie half der öffentlichen Organisation „Skhidna Brama“ („Östliches Tor“) aus Mariupol, die später als Hub unter dem Namen „Chalabuda“ bekannt wurde. Das dortige Team organisierte Bildungs- und Kulturprojekte, unterstützte Unternehmen und förderte die soziale Entwicklung. Im Hub, der als offener Raum diente, fanden verschiedene Veranstaltungen statt. Es wurde Umsiedlern bei der Evakuierung, Unterkunft und humanitärer Hilfe geholfen, sowie Veteranen und allen, die es benötigten. Der Hub „Chalabuda“ war einer dieser Orte, die Mariupol zum Besseren veränderten und zeigten, dass man selbst in der Nähe der Front leben und eine Zukunft aufbauen konnte.

Foto: Dmytro Bartosch

Doch die imperialen Ambitionen der Russlands machten alles zunichte. Halyna und die andere Chalabuda-Aktivisten begannen bereits am Morgen des 24. Februar 2022, die Räumlichkeiten des Zentrums dafür vorzubereiten, Opfer unterzubringen, dort humanitäre Hilfe zu ermöglichen und Unterstützung für die örtliche Zivilbevölkerung und für das Militär zu bieten. Als die Situation in der Stadt kritisch wurde, entschied sich Halyna zur Evakuierung. Sie verließ die Stadt am 16. März, dem Tag, an dem die Russen eine Bombe auf das Theater von Mariupol abwarfen und Hunderte von Zivilisten töteten.

Foto: Chrystyna Kulakowska

Wie sich das Leben von Halyna in zwei Jahren verändert hat

Nach der Evakuierung von Mariupol ließ sie sich in Lwiw (Lemberg) nieder, wo bereits viele Binnenflüchtlinge lebten, die vor der russischen Aggression geflohen waren. Nach zwei Jahren hat sie sich an das Leben in Galizien gewöhnt, obwohl sie den Unterschied zwischen dem Leben in dieser Region und in Pryasowja (eine Region am Asowschen Meer) bemerkt:

„Für mich hat sich nicht nur der Ort, sondern auch der Rhythmus meines Lebens stark verändert. Lwiw ist für mich viel langsamer, und anfangs hat mich das sehr geärgert. Aber nach etwa einem Jahr wurde mir klar, dass es vielleicht besser für meinen emotionalen Zustand ist, als ständig irgendwohin zu rennen. Als ich Mariupol verließ, habe ich sofort, sobald ich Mobilfunkempfang hatte, einem Bekannten geschrieben, der bei Facebook nach einem Projektteam vor Ort in den Regionen gesucht hat, und gesagt: ‚Ich bin bereit, lass uns loslegen.‘ Das war also so eine Euphorie von ‚lass uns weiterrennen‘, aber das Leben zeigt einem wohl ein wenig deutlicher den Weg. Und deshalb hatte ich vielleicht Glück, auf den etwas langsameren Rhythmus von Lwiw zu treffen.“

In der Zeit hat Halyna auch ihren Tätigkeitsbereich geändert, daher ist „Chalabuda“ jetzt ohne sie aktiv:

„Meine Aufgabe im ersten Jahr bestand darin, das Team dort unabhängig zu machen, ihnen alles beizubringen, was ich wusste und konnte, und ihnen zu helfen, das zu entwickeln, was für sie vor Ort interessant war. Das gesamte Team beschäftigt sich jetzt mit Dingen, die sie aktuell interessieren, und nicht mehr mit dem, was wir früher in Mariupol gemacht haben. Als ich merkte, dass meine Aufgabe im Wesentlichen erfüllt war, habe ich mich mehr in eine beratende Rolle zurückgezogen.“

Foto von den Heldin zur Verfügung gestellt

Nach der Evakuierung aus Mariupol ließ sich „Chalabuda“ in Tscherkassy nieder. Wie in Mariupol helfen die Mitglieder den Bewohnern der Stadt und der benachbarten Siedlungen mit humanitärer Hilfe, organisieren Veranstaltungen und reparieren Drohnen für das Militär. Der Hub fungiert als Coworking Space und als Raum für zivilgesellschaftliche Initiativen. Eines der wichtigsten Projekte des Teams war auch die Organisation eines Unterstützungskreises:

„Dies ist ein Unterstützungs- und Schulungsprojekt zur Kommunikation mit Menschen, die auf ihre Verwandten aus der Gefangenschaft oder der Armee warten: ‚Hier sind die Verwandten, und hier sind diejenigen, die mit ihnen sympathisieren‘. Das Projekt umfasste auch Vertreter verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen, die auf solche Zielgruppen spezialisiert sind. Diese NGOs haben den Leuten beigebracht, wie man sensibel kommuniziert.“

Nachdem Halyna das Team von „Chalabuda“ verlassen hatte, beschloss sie, weiterhin an ähnlichen Projekten teilzunehmen. Sie sagt, viele Gemeinschaften und Organisationen hätten sie eingeladen, mit ihnen zu arbeiten. Aber sie spürte eine gewisse innere Barriere:

„Es war für mich sehr schwierig, Jobangebote anzunehmen, weil es nicht mein Team war, es war nicht ein Team, das wie ‚Chalabuda‘ von Grund auf entstanden ist. Es war kein Team, das sich aus einem Freundeskreis oder einem Kreis Gleichgesinnter heraus gebildet hat. Und für mich waren die letzten paar Monate so experimentell, nicht einmal Monate, schon mehr als ein halbes Jahr. Ich habe ein wenig in verschiedenen Teams gearbeitet, mich ihnen als Beraterin angeschlossen und ausprobiert, wie gut ich emotional mit anderen Menschen, mit etablierten Teams zusammenarbeiten kann.“

Foto von den Heldin zur Verfügung gestellt

Jetzt hat Halyna eine Stelle im Programm zur Förderung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten „Dolutschajsja“ von USAID. Zuerst zögerte sie, ob es sich lohne, sich in der neuen Rolle zu versuchen, doch schließlich erkannte sie, dass ihre „Chalabuda“-Phase vorbei ist, und sie bereit war, weiterzuziehen:

„Ich arbeite bereits mit Organisationen zusammen, die sich um Finanzierung bewerben, um etwas in der Ukraine zu tun.“

Nachrichten aus Mariupol

Halyna erhält die neuesten Nachrichten aus ihrer Heimatstadt hauptsächlich von Menschen, die sie persönlich kennt:

„Ich habe einige Leute, die nicht zu meinem engeren Freundes- und Bekanntenkreis gehören, aber die sich derzeit in Mariupol befinden. Sie schreiben gelegentlich Beiträge und nehmen Kontakt zu mir auf. Für mich ist das eine Informationsquelle, um zu verstehen, was dort wirklich passiert, anstatt nur auf die Informationen zu schauen, die von allen möglichen russischen Quellen kommen.“

Wenn sie Nachrichten über Mariupol liest, stellte Halyna fest, dass der Aggressorstaat auch zwei Jahre nach der „Befreiung“ nicht in der Lage ist, den Bewohnern von Mariupol, die aus verschiedenen Gründen in der Stadt geblieben sind, ein normales Leben zu ermöglichen. Die russische Propaganda tut ihr Bestes, um zu zeigen, dass das Leben in dieser Stadt normal verläuft, aber das ist nur eine Illusion, die sich sofort auflöst, sobald die Kamera der russischen Journalisten ausgeschaltet wird.

„Für mich ist dies eine Simulation von Mariupol, die Schaffung einer Simulation – von etwas Unwirklichem, der Nachahmung der Stadt, der Bewohner und Aktivitäten auf allen Ebenen.“

Durch die Kampfhandlungen wurde Halynas Haus in Mariupol teilweise zerstört und brannte aus. Da es jedoch im Stadtzentrum liegt, hat die Besatzungsbehörde die Fassade für ein schönes Bild repariert. Doch es gibt keine Bewohner mehr darin.

Foto von den Heldin zur Verfügung gestellt

Wenn man sich vom Zentrum von Mariupol entfernt, das die Russen demonstrativ reparieren, und sich die Vororte oder die umliegenden Dörfer ansieht, sieht man, dass sie immer noch zerstört sind. Die Bewohner der Randgebiete müssen ihre Häuser und Infrastruktur selbst reparieren, da die Besatzungsbehörde sich nicht darum kümmern will.

„Natürlich leben die Menschen dort größtenteils in Privathäusern, was es für sie etwas einfacher macht. Wenn du dort einen kleinen Wald oder einen Garten hast, kannst du zumindest heizen, aber einige von ihnen, wie zum Beispiel meine Bekannten, waren über ein Jahr lang einfach ohne Strom. Im Winter kann ich mir das noch vorstellen, wenn du Lebensmittel draußen hast, bei +3°C +5°C, aber im Sommer ist das unrealistisch.“

Die Bekannten von Halyna sagen, dass die Häuser, die im Fokus der russischen Propaganda stehen, zwar an Versorgungsleitungen wie Gas und Strom angeschlossen sind, aber die Qualität der bereitgestellten Dienste nicht die beste ist. Die Heizung fehlt gelegentlich, und das Wasser ist fast unbrauchbar.

„Das Wasser ist furchtbar, ich weiß nicht, woher sie (die Besatzer. – Anm. d. Red.) es jetzt nehmen, ob aus unserem Reservoir. Ich meine, es ist nicht nur technisches Wasser, wie es früher war, es ist eigentlich nicht einmal zum Geschirrspülen geeignet, ich glaube nicht einmal, dass man mit diesem Wasser den Boden wischen kann, aber es ist da und fließt aus den Wasserhähnen.“

Das Problem mit den Arbeitsplätzen bleibt bestehen. Die russischen Besatzungsbehörden können den Einwohnern von Mariupol nur anbieten, Trümmer zu beseitigen und öffentliche Verkehrsmittel zu betreiben. Aber es gibt sehr wenige Transportmittel, denn der Buspark von Mariupol wurde von den russischen Militärs während der Einnahme der Stadt zerstört, was eine zusätzliche Belastung für die Fahrer darstellt:

„Ein Bekannter erzählte, dass seine Verwandten dort (in Mariupol – Anm. d. Red.) eine solche Arbeit bekommen wollten, aber die Gehälter sind sehr gering für die ziemlich harten Arbeitsstunden. Man muss um vier Uhr morgens aufstehen, um Fahrgäste zu befördern. Es bleibt also das Problem, dass es nicht genügend öffentliche Verkehrsmittel gibt. Die Menschen dort können nur mit ihren eigenen Autos oder mit einigen verrückten Umsteigemöglichkeiten – drei Stunden von einem Ende der Stadt zum anderen fahren.“

Deshalb verdienen diejenigen, die ein eigenes Auto haben, Geld, indem sie Taxidienste anbieten, obwohl diese Art von Tätigkeit gefährlich sein kann. Halyna erzählt eine Geschichte von ihren Freunden: Ein Bekannter begann als Taxifahrer zu arbeiten und verschwand gleich bei seiner ersten Schicht.

Die Heimweh nach Heimatstadt

Das erste Jahr in Lwiw verbrachte Halyna damit, aktiv nach einer Wohnung und einer Arbeit zu suchen. Aber die traumatischen Erinnerungen wurden wieder wach in ihr, daher musste sie eine Pause einlegen, damit sie sich um sich selbst kümmern konnte.

Foto von den Heldin zur Verfügung gestellt.

„Ich würde das nicht Urlaub nennen. Es war mehr so wie Sommerferien für mich: malen, therapeutische Literatur lesen, die Geschichten von Leuten, die ich kenne, lesen. Danach erschien das Buch von Tetjana Kasjan (ukrainische Schriftstellerin – Anm. d. Red.), das ich übrigens noch nicht zu Ende gelesen habe. Ich habe nur die Hälfte gelesen und dachte: ‚Das ist genau das, was ich jetzt brauche‘ – nicht Retraumatisierung, sondern Reflexion, nicht das Wiedererleben dessen, was passiert ist, sondern dessen Reflexion, zu sehen, wie Menschen über dasselbe nachdenken, was auch du durchgemacht hast.“

„Unser. Gemeinsames. Wie man den Menschen in sich während und nach dem Krieg bewahrt“
Ein Buch der ukrainischen Schriftstellerin und Journalistin Tetjana Kasjan. Darin geht es darum, wie die Ukrainer den Ausbruch des großen Krieges erlebt haben, wie sich die Eskalation auf uns ausgewirkt hat und welche Folgen der Krieg für die Gesellschaft haben wird.

Halyna fügt hinzu, dass es ihr am Anfang schwer fiel, Literatur zu lesen, in der Mariupol beschrieben wird, ebenso wie alles andere, was sie irgendwie an das Trauma des Krieges erinnerte. Aber sie hielt es für wichtig, wieder eine Verbindung zu ihrer Heimatstadt und auch zu Pryasowja und der Region Donezk (Donetschtyna) zu spüren, zumindest durch die Bücher. Veröffentlichungen, die sich mit diesen Regionen befassen, erinnern sie an ihre Heimat. Sie sagt, dass sie auf fast jeder Seite Orte erkennt, die ihr vertraut sind, auch Straßennamen oder sogar Nachnamen.

Foto: Andrij Bolotonow

Als Fotografin schenkt Halyna dem Fotobuch von Myroslaw Kobyljanskyj „Mein Mariupol und die Welt“ besondere Aufmerksamkeit. Die Fotos aus diesem Buch wurden für sie zu einem guten Weg, ihr emotionales Trauma zu lindern. So hatten etwa Besuche in Selbsthilfegruppen nicht den gleichen Effekt auf sie.

Halyna sagt, dass das Heimweh nach ihrer Stadt, das viele Geflüchtete spüren, sie daran hindert, sich anderswo ganz zu Hause zu fühlen:

„Ich hatte sogar Hemmungen, am Telefon zu sagen: ‚Ich komme nach Hause‘, und ich dachte: ‚Nicht nach Hause, sondern zum Haus.‘ Jetzt versuche ich, loszulassen. Ich meine, ‚nach Hause‘ ist einfach ein Ausdruck, aber die Konnotation des Wortes ist immer noch nicht dieselbe wie ‚Zuhause‘.“

Foto von den Heldin zur Verfügung gestellt

Halyna vermisst ihre Heimatstadt Mariupol, die Menschen und das Meer. Sie versucht, den Kontakt zu denjenigen aufrechtzuerhalten, die es geschafft haben, aus der blockierten Stadt herauszukommen, oder die in der Stadt geblieben sind, aber Kontakt aufnehmen können. Sie spricht mit denen, die verschwunden sind, in ihren Gedanken. Aber das Asowsche Meer, das die Küste von Mariupol umspült, ist nicht zu ersetzen. Sie sagt, sie hat in ihrer neuen Wohnung einige Dinge, die sie an das Meer erinnern:

„Ich habe viele Postkarten. Freunde bringen sie mit, wenn sie irgendwohin reisen, Postkarten mit dem Meer, mit etwas Blauem. Und das hängt bei mir in einem Zimmer, hebt die Stimmung ein wenig. Und ich habe einen kleinen Teller mit Salz anstelle von Sand, und darin sind Muscheln aus verschiedenen Ländern. Leider gibt es dort keine aus Mariupol, aber ein paar Steine aus dem besetzten Berdjansk wurden mir übergeben, und die liegen im Schlafzimmer. Ich stehe jeden Morgen auf und sehe sie, und das ist wohl eine psychologische Unterstützung.“

Meine Geschichte erzählen

Im Herbst 2022 wurde Halyna zusammen mit anderen Einwohnern von Mariupol, die der Blockade entkommen waren, zu einer Veranstaltung in Deutschland eingeladen. In Berlin erzählten sie, was sie in Mariupol erlebt hatten:

„Wir wurden mitgenommen wie sprechende Tiere, die Ausländern gezeigt wurden, und es hieß, diese Leute sind aus Mariupol, sie sind echt, sie haben dies und das erlebt, sie können sprechen, man kann mit ihnen reden und ihnen Fragen stellen.“

Foto von den Heldin zur Verfügung gestellt

Sie vergleicht ähnliche Auftritte mit den Geschichten, die sie in ihrer Kindheit von ihrer Großmutter über den Zweiten Weltkrieg gehört hat – für die Zuhörer ist es wie eine spannende Überlebensgeschichte, aber sie verstehen überhaupt nicht, wie es ist, eine solche Erfahrung selbst zu durchleben. Halyna fügt hinzu:

„Und dann, als du schon ein bisschen älter warst, hat sich deine Großmutter irgendwie verplappert, dass sie einem deutschen Soldaten Erste Hilfe geleistet hat. Warum den Deutschen? Was haben die hier (in der Ukraine – Anm. d. Red.) gemacht? Und ein kleines persönliches Detail aus der Geschichte einer bestimmten Person entrollt dir das Knäuel dessen, was wirklich passiert ist, wie dieser Soldat hierher gekommen ist. Du fragst: Und warum warst du gezwungen, das zu tun? Wo waren unsere Soldaten? Und was ist überhaupt passiert?“

Es fällt Halyna schwer, ihre Geschichte zu erzählen, besonders, ins Detail zu gehen. Aber sie glaubt, dass nur durch das Teilen solcher persönlicher Erfahrungen das Interesse der Zuhörer an den Ereignissen geweckt wird. Und somit die Chance steigt, dass die Menschen die Wahrheit über den großen Krieg, insbesondere die Blockade von Mariupol, erfahren.

Halyna erinnert sich an die Dichterin Oksana Stomina als ein Beispiel für jemanden, der eindringlich seine Erfahrungen teilt. Sie, wie Halyna, kommt aus Mariupol und entkam aus der belagerten Stadt. Die Dichterin hat zusammen mit der Regisseurin Anna Zhukovets in Berlin ein Projekt über Mariupol organisiert, in dem sie ihre ins Deutsche übersetzten Gedichte vorträgt. In ihrer Poesie erzählt Oksana vom Krieg, von Mariupol und auch von ihrem Mann Dmytro Paskalov, der sich seit über 600 Tagen in russischer Gefangenschaft befindet. Er war Zivilist und arbeitete bis zum 24. Februar 2022 als Hafendirektor. Danach versteckte er sich im „Asowstal“ – Stahlwerk zusammen mit vielen anderen Menschen.

„Der nächste Gefangenenaustausch. Ihr Mann Dmytro ist immer noch nicht dabei, aber sie (Oksana – Anm. d. Red.) hat die Kraft und schreibt Briefe an ihn in Gedichtform, und reist durch europäische Städte, sogar einfach zu Schulen, nicht nur zu Amtsträgern und in Büros, sondern einfach zu Schulen. Und nachdem sie ihre Gedichte vorgetragen hat, bitten die Schüler sie zu bleiben und noch mehr zu erzählen. Sie haben viele Fragen: ‚Wie kann das sein‘, ‚Wie ist es möglich, dass es keinen Kontakt gibt?‘, ‚Kann das wirklich immer noch so sein?‘, ‚Es sind schon zwei Jahre vergangen, wie kann es in Mariupol immer noch keine stabile Telefonverbindung geben?‘ Oder, wenn sie hören, dass man das Leitungswasser nicht trinken kann, fragen sie: ‚Wieso kannst du es nicht trinken, warum? Und warum konntet ihr während der Belagerung von Mariupol nicht die Rettungsdienste anrufen?‘

Foto: Chrystyna Kulakowska

Geschichten darüber, was Menschen manchmal tun müssen, um zu überleben, können den Leser erschrecken oder ihn im Gegenteil skeptisch gegenüber dem Gelesenen machen. Oft sehen wir nur den Text und nicht die echte Person dahinter. Die Wahrnehmung solcher Geschichten ändert sich jedoch, wenn man die Person im wirklichen Leben trifft. Deshalb ist es wichtig, den Menschen einen sicheren Raum zu geben, damit sie ihre Erfahrungen teilen können, betont Halyna:

„Geschichten über das Trinken von geschmolzenem Schnee und das Essen von Tauben sind leicht zu lesen, und man denkt: ‚Das ist wahrscheinlich eine künstlerische Übertreibung.‘ Aber wenn man die Person sieht, die solche Erfahrungen gemacht hat, nimmt man das ganz anders wahr. Ich denke, genau jetzt ist die Zeit für solche persönlichen Geschichten gekommen. Wir können vielleicht nicht die großen strategischen Kommunikationswege beeinflussen, aber durch viele kleine Geschichten und kleine Tropfen können wir diesen Felsen [der Propaganda] unterhöhlen.“

Beitragende

Gründer von Ukraїner:

Bogdan Logwynenko

Interviewerin:

Chrystyna Kulakowska

Autorin des Textes:

Darija Tschernjak

Redakteurin:

Alina Sabolotnja

Chefredakteurin:

Anja Jablutschna

Bildredakteur,

Koordinator der Fotografen:

Jurij Stefanjak

Übersetzerin:

Yuliia Kovach

Übersetzungsredakteur:

Björn Milbradt

Keno Verseck

Koordinatorin der Übersetzung:

Olga Haider

Koordinatorin von Ukraїner International:

Julija Kosyrjazka

Chefredakteurin von Ukraїner International:

Anastasija Maruschewska

Content-Managerin:

Anastasija Schochowa

Transkriptionist:

Oleksandr Kuchartschuk

Grafiker:

Arsen Schumejko

Grafiker,

Koordinatorin der Designabteilung:

Oleksandra Onoprijenko

Koordinator der Abteilung Partnerschaften:

Marjan Manko

Koordinatorin der Produktionsabteilung:

Maryna Myzjuk

Koordinatorin der Abteilung Text:

Olessja Bogdan

Koordinatorin der Drehbuchautoren:

Karyna Piljugina

Koordinatorin der Kameraleute:

Olha Oborina

Koordinator der Filmeditoren:

Mykola Nossok

Koordinatorin der Transkriptionisten:

Oleksandra Titarowa

Texterin:

Sofija Kotowytsch

Cheftexterin:

Wladyslawa Iwtschenko

Koordinatorin der Content-Manager:

Kateryna Jusefyk

Leiterin Marketing und Kommunikation:

Tetjana Frantschuk

PR-Managerin:

Walentyna Kowaltschuk

Marketerin:

Daryna Iwanowa

Targetologe:

Wladyslaw Iwanow

SMM-Koordinatorin:

Anastasija Hnatjuk

Manager für Unternehmenspartnerschaften:

Serhij Bojko

Operations-Managerin:

Ljudmyla Kutscher

Finanzfachmann:

Serhij Danyljuk

Finanzfachfrau:

Kateryna Danyljuk

Ruslana Hluschko

Jurist:

Oleksandr Ljutyj

Archivarin:

Wiktorija Budun

Event-Managerin:

Lisa Zymbalist

Verantwortlicher für das technische Equipment:

Oleksij Petrow

Folge der Expedition