1996 unterzeichneten sechs Schwarzmeerländer den Strategischen Aktionsplan für die Wiederherstellung und den Schutz des Schwarzen Meeres. Der Bedarf an einem solchen Dokument ergab sich aus der Gefahr der Zerstörung des einzigartigen Ökosystems des Schwarzen Meeres durch den Menschen. Heutzutage ist der Schutz des Schwarzen Meeres dringender nötig denn je, da es auch von der russischen Invasion betroffen ist. Wie beeinflusst der Krieg das Schwarze Meer und was kann getan werden, um die Folgen für Natur und Menschen zu überwinden?
Gemeinsam mit Sofija Sadohurska, Meeresbiologin und Klimaspezialistin bei der NGO „Ecodija“, werden wir herausfinden, was am Schwarzem Meer so einzigartig ist, warum es notwendig ist, seine biologische Vielfalt zu schützen, und wie sich der Krieg auf seine Ökosysteme auswirkt. Wir werden auch beleuchten, ob es Hoffnung für die Wiederherstellung des Meeres gibt und wie die Folgen des Krieges überwunden werden können.
Der Zustand des Schwarzen Meeres vor dem Krieg und heute
Das Schwarze Meer und seine Küsten sind für Millionen von Ukrainern ein Ort, an den sie sich gerne erinnern. Diese Region, die seit Jahrtausenden am Knotenpunkt europäischer und asiatischer Handelsrouten liegt, ist auch aus historischer, biologischer und geographischer Sicht von großer Bedeutung – als außergewöhnliches Meeresbecken mit einer einzigartigen Kombination klimatischer und natürlicher Faktoren und dazu noch einer reichen biologischen Vielfalt.
Die Schwarzmeerküste. Foto: Serhij Swerdelow.
Das Schwarze Meer ist ein einzigartiges Gewässer, das sich von anderen Meeren und Ozeanen abhebt. Geografisch gesehen ist es ein halb umschlossenes Binnenmeer, das auf allen Seiten vom Land umgeben ist und durch ein System von Meerengen nur begrenzt mit dem Weltmeer verbunden ist. Zahlreiche Flüsse münden in das Schwarze Meer und führen erhebliche Mengen Süßwasser mit sich, sodass der Salzgehalt des Schwarzen Meeres nur fast halb so hoch ist wie der des Ozeanwassers. Dieses Meer hat noch eine weitere Besonderheit: Es ist das größte meromiktische Becken der Welt. Das heißt, die obere Wasserschicht vermischt sich nicht mit der unteren, sauerstofffreien Schicht, die eine hohe Konzentration an Schwefelwasserstoff enthält und mehr als 80% des Gesamtvolumens des Beckens einnimmt. Daher gibt es nur in der sauerstoffhaltigen oberen Wasserschicht eine reiche Artenvielfalt.
Das moderne Meeresbecken entstand erst vor 6–8.000 Jahren, als sich die Bosporus-Meerenge bildete und das salzige Wasser des Mittelmeers in das damalige Süßwasserbecken eindrang. Die heutige Artenvielfalt des Schwarzen Meeres setzt sich aus Arten zusammen, die schon vor diesem Ereignis hier ansässig waren, und aus Arten, die aus dem Mittelmeer hergeführt wurden. Die Kombination aus außergewöhnlichen Bedingungen und der Isolation dieses Meeresbeckens hat somit die Grundlage für die Entstehung einer einzigartigen biologischen Vielfalt geschaffen, zu der auch das Vorkommen endemischer Arten gehört, die nirgendwo sonst auf der Welt zu finden sind.
Aufgrund seiner weitgehend in sich geschlossenen Lebensräume und des großen Volumens an sauerstofffreiem Wasser ist das Schwarze Meer jedoch anfällig für menschliche Einflüsse sowie den Klimawandel. Die industrielle und landwirtschaftliche Verschmutzung in den Flussbecken, die Einführung gebietsfremder Arten und die Überfischung in den späten 1980er Jahren brachten die Ökosysteme des Schwarzen Meeres durch erhöhte Konzentrationen organischer Verbindungen, Sauerstoffmangel und Veränderungen in den Nahrungsketten fast zum Zusammenbruch. Hinzu kamen moderne Herausforderungen: Klimawandel, Meeresverschmutzung durch Kunststoffe und Chemikalien (Erdölkohlenwasserstoffe, chlor- und fluororganische Verbindungen, Antibiotika, Schwermetalle usw.), die im Wasser der großen Flüsse ins Meer gelangen.
Verpackung von Fertigprodukten in der Fischkonservenfabrik von Kertsch, 1950er Jahre. Foto: babel.ua.
Dennoch gibt es seit den 1990er Jahren Hoffnung auf eine Verbesserung der Meeresumwelt: Wissenschaftler:innen haben Anzeichen für eine Erholung einiger Ökosysteme im nördlichen Teil des Schwarzen Meeres bemerkt. Dies ist insbesondere auf die Verringerung des Nährstoffabflusses aus den Flüssen und dem daraus resultierenden Rückgang der organischen Verbindungen in der Schelfzone des Schwarzen Meeres zurückzuführen.
Die russische Invasion seit 2014 bedroht jedoch sowohl das menschliche Leben als auch den Zustand des Meeres. Der Einfluss der militärischen Aggression Russlands auf das Meer ist komplex und mehrdimensional, denn er hat nicht nur die Sicherheit in der Schwarzmeerregion untergraben, sondern auch zu Veränderungen in der Schifffahrt und der Wasserwirtschaft geführt, die meeresbiologische und hydrologische Forschung beeinträchtigt, welche ukrainische Wissenschaftler:innen seit Jahrzehnten betrieben. Dies alles ist zu einer neuen ökologischen Herausforderung geworden.
Die Kriegshandlungen beeinflussen Naturschutzgebiete, führen zu einer toxischen Verschmutzung des Meeres durch versenkte Geräte und zerstörte Küsten-Infrastrukturen und beeinträchtigen auch die Ökosysteme der Küsten.
Der Einfluss des Kriegs auf Meer und Küste
Seit dem Ausbruch des russisch-ukrainischen Krieges im Jahr 2014 sind viele Naturschutzgebiete besetzt. Einige von ihnen leiden unter mangelndem Schutz und Änderungen ihres Status, während andere Gebiete direkt von den Handlungen der Besatzer betroffen sind. So ist beispielsweise die Militarisierung der Halbinsel Krim, einschließlich Truppenübungen in der Nähe oder sogar in geschützten Gebieten, zu einer Herausforderung geworden. Mehrere Jahre führten die Russen in der Nähe vom Küstenvorsprung Tschauda auf der Halbinsel Kertsch großangelegte Truppenübungen durch, die sich direkt auf die Steppen-, Küsten- und Meeresökosysteme des Oputsk-Naturschutzgebiets auswirkten. In Gebieten mit intensiver Militarisierung und Übungen haben die Besatzer eine große Menge an Munition (besonders im Meer) verwendet, die verheerend für dortige Lebewesen ist und Böden, Luft und Wasser verschmutzt. In einigen Fällen wurden geschützte Gebiete durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die Errichtung von Steinbrüchen beschädigt oder zerstört, wie zum Beispiel die Bakal-Nehrung im Norden der Halbinsel Krim, die ein regionaler Landschaftspark ist. Die Besatzer bauten dort illegal Sand ab, um zahlreiche Bauprojekte auf der Halbinsel zu versorgen. Aber auch große Infrastrukturobjekte selbst können eine Bedrohung darstellen. So kann die berüchtigte Brücke von Kertsch, die 2018 fertiggestellt wurde, zu Veränderungen der Ökosysteme und hydrogeologischen Bedingungen der Kertsch-Meerenge und des gesamten Asowschen Meeres führen, da die natürlichen Lebensräume der Insel Tusla in der Kertsch-Meerenge für den Bau der Brücke vollständig zerstört wurden und die Brücke selbst die Wanderrouten von Meerestieren unterbricht.
Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte vor der Krim-Küste. Screenshot aus dem Video.
Seit dem Beginn des landesweiten Angriffskrieges im Februar 2022 ist der Einfluss auf das Meer noch größer und deutlicher geworden. Die Schutzgebiete entlang des Schwarzen und des Asowschen Meeres leiden sowohl unter der Besatzung als auch unter den Kriegshandlungen an sich. Alle ukrainischen Naturschutzgebiete, die Meeresfläche umfassen, sind besetzt, darunter sieben nationale Küsten-Naturparks und ein Biosphärenreservat. All diese Schutzgebiete und Reservate wurden geschaffen, um einzigartige Meeres- und Küsten-Lebensräume zu bewahren: Seegraswiesen, Unterwasserwälder aus Algen, Sanddünen, Lagunen und die Vielfalt der Lebensräume, die das Schwarze und Asowsche Meer kennzeichnen.
Einige dieser Gebiete liegen direkt in dem Gebiet, in dem Kriegshandlungen stattfinden oder in denen russische Truppen stationiert sind, wie z. B. die Kinburn-Nehrung oder die Dscharylhatsch-Insel im Schwarzen Meer. Der Bau von Befestigungen und Schützengräben, die Bewegung von Militärmaschinen und zahlreiche Explosionen schädigen die Pflanzen- und Bodenbedeckung. Brände, die direkt durch Kriegshandlungen oder andere Ursachen verursacht werden, haben einen zusätzlichen negativen Einfluss auf die Gebiete. Die Situation wird durch die Besatzung, Verminung und Zerstörung von Feuerwehrausrüstung durch die Besatzer noch verschärft. Im Jahr der großangelegten Invasion wurden auf der Kinburn-Nehrung 131 Brände verzeichnet. Die Brände von 2022 waren die größten auf der Kinburn-Nehrung in den letzten Jahrzehnten und betrafen mehr als 5.000 Hektar, einschließlich Steppen- und Küstenökosystemen und Nistplätzen für etwa 100 Vogelarten.
Brände auf der Kinburn-Halbinsel im Mai 2022. Quelle: Radio Swoboda (Radio Freiheit).
Aus Satellitendaten geht hervor, dass die Besatzer in der Küstenzone der Halbinsel Krim Befestigungsanlagen und Militäreinrichtungen errichten. Einige dieser Gebiete sind Teil des Smaragd-Netzwerks der Ukraine, das Gebiete und Wasserflächen umfasst, die in Europa seltene Lebensräume erhalten sollen. Neben dem Smaragd-Netzwerk gibt es an der Schwarzmeerküste weitere Wasserflächen und Küstengebiete, die für die Erhaltung von Arten und deren Lebensräumen von großer Bedeutung sind, und die nicht nur in der Ukraine, sondern auch weltweit selten sind.
Ramsar-Gebiet – der See Bile, ein Naturgebiet von internationaler Bedeutung. Foto aus offenen Quellen.
Die Katastrophe im Wasserkraftwerk Kachowka am 6. Juni 2023, als Russen den Damm sprengten, hatte auch verheerende Auswirkungen auf die Natur. Mehrere Naturschutzgebiete wurden überflutet, darunter der Nyschnjodniprowsk-Nationalpark, der zur Erhaltung der natürlichen Auenkomplexe des Dnipro-Deltas eingerichtet wurde. Bestimmte Arten und Ökosysteme waren akut in ihrer Existenz bedroht.
Verschmutzung der Meeresumwelt
Die Zerstörung des Wasserkraftwerks Kachowka hatte zur Folge, dass riesige Mengen an Süßwasser, das mit Düngemitteln, Brenn- und Schmierstoffen sowie Abwässern kontaminiert war, ins Schwarze Meer gelangten. Nach der Sprengung des Wasserkraftwerks Kachowka gelangte das kontaminierte Flusswasser bis zur Donaumündung und bedeckte mehr als 7 300 Quadratkilometer Meeresfläche. Im Golf von Odessa haben Wissenschaftler:innen eine rasche Entsalzung des Wassers und zeitweise in einigen Küstengebieten sehr hohe Stickstoffkonzentrationen festgestellt, was auf eine Wasserverschmutzung durch Abwässer hindeuten könnte. Der starke Rückgang des Salzgehalts hat zum Absterben einiger Unterwasserlebewesen wie Muschelkolonien, Fischbrut und -rogen geführt, was das gesamte Ökosystem der Küste weiter beeinträchtigen kann. Durch das Eindringen von derartigen Mengen verschmutztem Wasser begann das Meerwasser aufgrund der massiven Entwicklung von Mikroalgen zu blühen.
Kartenschema der Verteilung verschmutzter Flusswässer nach der Explosion des Kachowskaja-WKW-Staudamms gemäß Satellitenbildern.
Leider ist dies kein Einzelfall, bei dem die Zerstörung einer Infrastrukturobjekte zu einer Verschmutzung des Meeres geführt hat. Zahlreiche russische Angriffe an der Schwarzmeerküste haben zur Zerstörung von Kläranlagen und Hafeninfrastruktur geführt, sodass Schadstoffe ungehindert ins Meer fließen konnten. Nach Angaben der Überwachungsgruppe CEOBS gab es allein in der Bug-Mündung bei Mykolajiw mehrere solcher Vorfälle. Viele Industrieanlagen am linken Ufer der Flussmündung wurden von den Russen angegriffen: das Aluminiumoxid-Werk Mykolajiw (dort wurden Tanks für die Lagerung von Treibstoff, Natriumhydroxid und recycelten Materialien beschädigt), Getreideterminals und ein Terminal mit Sonnenblumenöl, das in die Gewässer gelangte und die Wasseroberfläche verschmutzte.
Ein russisches Kriegsschiff im Asowschen Meer hinter einem gesunkenen ukrainischen Schiff im Frachthafen von Mariupol. Foto aus offenen Quellen.
Weitere Quellen der Meeresverschmutzung sind versenkte Militärtechnik, Schiffe und Munition, die chemische Verbindungen, Rückstände von Raketentreibstoff und Schwermetalle in die Meeresumwelt abgeben. Versenkte Schiffe und Flugzeuge sind auch eine Quelle der Ölverschmutzung. Aufgrund von Verminung ist der Zugang zum Schwarzen Meer für Wissenschaftler:innen derzeit begrenzt, aber im Falle von Öl- und anderen Schadstoffverschmutzungen können sie Informationen aus Satellitenbildern nutzen. Nach Angaben der Wissenschaftler:innen hat die Ölschicht zehntausende Quadratkilometer der ukrainischen Meeresschutzgebiete bedeckt. Indem das Öl das Wasser mit einer dünnen Schicht bedeckt, verhindert es, dass Sauerstoff ins Wasser eindringt, was der Unterwasserwelt enormen Schaden zufügt und oft zu einem Massensterben führt. Öl sowie Kraft- und Schmierstoffe sind giftig für Wasserlebewesen, insbesondere für die kleinsten Organismen, die das Plankton und Neuston (eine Ansammlung von Organismen, die nahe der Wasseroberfläche leben) bilden. Ölrückstände können lange Zeit an der Meeresoberfläche verbleiben, von Strömungen mitgerissen und an Land gespült werden oder sich auf dem Meeresboden absetzen und so über viele Jahre hinweg Schaden anrichten.
Der Hafen von Otschakiw. Foto: Schenja Sawilow.
Der Einfluss des Kriegs auf Meerestiere
Ein weiteres langfristiges Problem ist die Verminung in Gewässern und weiten Landesteilen der Ukraine. Minen können die Umwelt nicht nur mit Sprengstoffen und Schwermetallen verschmutzen, sondern auch durch versehentliche Detonationen das Leben im Meer beeinträchtigen. Unterwasser-Explosionen können Wasserlebewesen schädigen, und damit ein massives Fischsterben auslösen oder Verletzungen durch Minenexplosionen verursachen. Dies kann auch negativ Wale und Delfine beeinflussen, von denen es im Schwarzen Meer drei Arten gibt: Große Tümmler, Weißstreifendelfine und Gemeine Tümmler (Schweinswale). Sie alle stehen im Roten Buch der Ukraine und benötigen schon in Friedenszeiten einen besonderen Schutz, doch während des Krieges sind sie noch stärker gefährdet. Neben Explosionen kann auch der Einsatz von Sonaren (hydroakustische Stationen) durch U-Boote eine zusätzliche Gefahr für Meeressäuger darstellen. Dies beeinträchtigt die Fähigkeit der Delfine zur Echoortung, die für ihre Navigation und Kommunikation wichtig ist.
Eine Vakuumbombenexplosion auf dem Testgelände Opuk. Foto: BlackSeaNews.
Seit Februar 2022 haben Wissenschaftler:innen Fälle von Massensterben von Walen und Delfinen in fast dem gesamten Schwarzen Meer festgestellt. Die Gesamtzahl der im ersten Jahr des Krieges getöteten Delfine liegt bei etwa 1.000 und ist damit zwei- bis dreimal höher als in den Vorjahren. Die tatsächliche Zahl der toten Tiere könnte sogar noch höher sein. Ungewöhnlich hoch war auch die Zahl der Delfine, die noch lebend an der Küste gefunden wurden.
Ein toter Delfin an der Schwarzmeerküste. Foto: Iwan Rusew / Facebook.
Gleichzeitig müssen die Wissenschaftler:innen Proben und Obduktionen durchführen, um die genaue Ursache für den Tod der Tiere zu ermitteln. So lässt sich feststellen, ob der tote Delfin ein akustisches Trauma erlitten hat und ob sein Tod mit den Kriegshandlungen zusammenhängt. Bei der Obduktion werden Gewebe- und Organproben entnommen, die untersucht werden. Diese Arbeiten werden derzeit von spezialisierten Wissenschaftler:innen in Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden durchgeführt, da die ukrainische Staatsanwaltschaft eine strafrechtliche Untersuchung des Massensterbens der Wale eingeleitet hat.