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Nowa Kachowka ist eine junge Stadt im Norden Tawrijas, die in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts für die Bauarbeiter des Kachowker Wasserkraftwerkes gegründet wurde. Alle Gebäude wurden damals hastig nach einem Plan errichtet, daher sind sie einförmig und unscheinbar geworden. Zur selben Zeit kam in die Stadt der Künstler Hryhorij Dowschenko, der Nachfolger der Bojtschuksschule. Zusammen mit seinen Kollegen schuf Dowschenko 80 eingeschnittene Wandbilder, die die Wände aller Häuser zierten und somit das neue Stadtbild prägten. Später wurde Dowschenko von sowjetischen Fachmedien für die „architektonische Ausschweifung“ kritisiert. Heute gelten seine Werke als ein einzigartiges künstlerisches Phänomen und werden als „Steinwyschywankas“ bezeichnet. Wegen der Gebäudedämmung und „Modernisierung“ der Fassaden befinden sich die Ornamente jedoch in Zerstörungsgefahr. Nur dank der freiwilligen Helfer werden die „Steinwyschywankas“ wieder entdeckt.

Im Jahre 1958 erschien der Film „Poem vom Meer“, der vom Bau der Stadt Nowa Kachowka und des lokalen Wasserkraftwerkes handelte. Als ein paar Jahre zuvor der berühmte Schriftsteller und Regisseur Oleksandr Dowschenko in die Stadt kam, um das Drehbuch des geplanten Filmes zu schreiben, war er über die Fadheit und Trübsal der dortigen Gebäude erstaunt. Auf seine schriftliche Bitte sandte die Akademie für Architektur in die neu gegründete Stadt eine Gruppe von Künstlern und Architekten, damit sie die Fassaden aller Gebäuden dekorieren. Unter ihnen war auch Hryhorij Dowschenko. Die Künstler arbeiteten an diesem Projekt bis 1955 und zierten jedes Gebäude in der Stadt: von Wohnhäusern über Schulen bis hin zu Amtsgebäuden. Insgesamt wurden 180 Gebäude mit einzigartigen Ornamenten nach Skizzen von Dowschenko dekoriert.

In seinen Werken brachte Dowschenko die Grundideen der Bojtschuksschule (Vertreter der Monumentalkunst, Anhänger und Nachfolger von Mychajlo Bojtschuk – Verf.) zum Ausdruck. Sie zeigten sich in der Natürlichkeit der traditionellen Figuren, den Flechtwerken mit Vögel- und Pflanzenornamenten, sowie in der Popularisierung der ukrainischen Kunst und der Verbindung von Schönheit und Alltäglichkeit. Auch der Sohn von Dowschenko, Taras, und die Vertreter der Bojtschuksschule, unter anderem Oleksandr Mysin, haben an den Ornamenten gearbeitet. Alle Wandbilder sind fest wie Stein, sodass sie bis jetzt gut erhalten sind.

Das Geheimnis der Festigkeit liegt in einem besonderen Stuckmörtel, dessen Rezept Hryhorij Dowschenko entwickelte und patentierte. Als Grundstoff für den Stuck diente Polychlorvinylharz, das die Arbeit der Künstler erleichterte, da die Wandmalerei mehr Zeit als sonst zur Erstarrung brauchte. In den von sowjetischen Fachmedien nach 1955 veröffentlichten Beiträgen über Nowa Kachowka wurden Dowschenkos Ornamentreliefe als unnötiges Ausschmücken bezeichnet. Heutzutage sind sie allerdings als Architekturdenkmäler anerkannt worden und werden von der Gemeinde und den Aktivisten geschützt.

Die Initiative

Die Architektin Tetiana Jewsejewa zog 1986 nach Nowa Kachowka von Russland um. Sie berichtete noch während ihres Architekturstudiums über Nowa Kachowka als Beispiel der nach einem festen Plan gebauten Stadt erfahren zu haben. Als sich die Frage stellte, ob die Altstadt abgerissen werden sollte, setzte sich Tetiana gemeinsam mit anderen Aktivisten für die Bewahrung der einmaligen Architekturformen ein. So wurde 2011 der Verein „Nowokachowker Gemeinde des Kulturgutschutzes“ gegründet. Eines der Hauptziele dieses Vereins besteht in der Bewahrung der Werke von Dowschenko, sowie in der Popularisierung seiner Kunst. Tetiana ist jetzt Leiterin des Vereins und ihre Stellvertreterin ist Diana Iwannikowa. Bei der Entscheidung sich mit dieser Sache zu beschäftigen spielte eben Tetianas Beruf die ausschlaggebende Rolle, da sie als Architektin den Stellenwert der Ornamente am besten versteht.

„Diese Gebäude tun mir wirklich leid. Es gibt ein Viertel in der Stadt, in dem bereits neue Häuser errichtet worden sind, und diese alten werden jetzt einfach abgebrannt und abgerissen. An ihrer Stelle will man Kasten aus Gasbeton, mit Schaumstoff als Dämmung und Metall-Kunststoff als Verkleidung bauen. Das Viertel ist aber ein echtes Architekturjuwel, das bereits in den 80er Jahren in die Liste der historischen Siedlungen aufgenommen wurde. Damals hat man den Stellenwert der Gebäude erkannt, heute vergessen wir allerdings darüber, obwohl sie dem Weltniveau entsprechen.“

Tetiana ist überzeugt, dass die Gebäude mit den Wandbildern als nationale Denkmäler anerkannt werden sollen. Zusammen mit ihren Kollegen bereitet sie die Unterlagen vor, um die „Steinwyschywankas“ als ein Denkmal offiziell anzumelden. Im Süden der Ukraine gibt es keine andere Stadt, in der man etwas Ähnliches vorfinden kann.

Wyschywankas aus Stein

Tetiana und andere Aktivisten haben sich lange die Idee des Projektes überlegt, viel über die Ornamente gesprochen und am Programm gearbeitet. Der entscheidende Moment war aber die Entdeckung des Namens die „Steinwyschywankas“.

Der Begriff tauchte 2015 bei der gemeinsamen Besprechung des Projektes unter den Vereinsmitgliedern auf. Es gab einige weitere Varianten, man blieb jedoch beim Namen „Steinwyschywankas“: Er war klar sowohl für Architekten als auch für Touristen und gefiel den Einwohnern, weil der Wandbilderstil mit den geometrischen Ornamenten an die traditionelle ukrainische Stickerei erinnerte.

Alle Gewände sind einzigartig und man findet keine sich wiederholende Ornamente. Tetiana betont, dass die Künstler sich viel Mühe gegeben haben, solches Gewinde zu schneiden.

„Die Besucher von Nowa Kachowka erinnerten sich daran, wie fasziniert sie waren: Alle Gebäude standen weiß, es gab viel Grün und viele Blumen und die Ornamente glänzten. Als Hintergrund nutzten die Künstler Farben von verschiedener Intensität: violett, grün, lila, und das Muster schien ein weißes Geflecht zu sein. Viele hatten den Eindruck, als wäre die Stadt mit Spitzen bedeckt.“

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Die meisten Pflanzenornamente erinnern an die Elemente des ukrainischen Wyschywankas. Man findet hier eigenartige Vasen, Kumanzi (Keramikgefäße, eine Abart des ukrainischen traditionellen Geschirrs – Verf.), „Bäume des Lebens“, aus denen Sonnenblumen, Mais und Weizenähre wachsen.

Tetiana und Diana behaupten, dass fast alle „Steinwyschywankas“ restauriert werden können. Das Schwierigste ist die Ornamente von mehreren Farbschichten zu säubern.

Im Rahmen des Projektes wurden schon ein paar Werke von Dowschenko restauriert: Noch vor Dezember 2018 wurden 8 Gebäude erneut. Die „Steinwyschywankas“ kehren wieder zum Leben zurück.

Die ersten gemeinsamen Restaurationsarbeiten dauerten einige Monate. Als der Besitzer des Bürogebäudes vorgenommen hatte, seine Fassade zu renovieren, schlugen die Aktivisten vor, „Wyschywankas“ zu erneuern, damit das Gebäude ihr ursprüngliches Gesicht bekommt. Es war eines der Hauptviertel in Nowa Kachowka, in dem alle Gebäude fast jedes Jahr gestrichen wurden, deswegen mussten die Aktivisten lange Zeit daran arbeiten, um verrußte Mörtelschicht zu entfernen. Doch am Ende waren alle mit dem Ergebnis zufrieden.

Die Ornamente an der Tür des Nachbarhauses, die zum Andenken an gefallenen Soldaten restauriert wurden, sind beeindruckend.

„In diesem Haus wohnt die Familie unseres Soldaten Witalij Haleta, der bei dem Anti-Terror-Einsatz ermordet wurde. Wir haben uns entschieden, die Ornamente an seinem Haus zum Tag des Verteidigers der Ukraine zu erneuern, daher haben wir uns bemüht, die Arbeiten bis zum Tag von Mariä Schutz und Fürbitte (das Fest, das in der Ukraine als ‚Pokrowa‘ bekannt ist, wird am 14. Oktober gefeiert – Üb.) fertig zu stellen.“

Gemeinschaftliche Rekonstruktion

Tetiana und Diana freuen sich darüber, dass die Stadt ihre Initiative unterstützt. Einer der Kommunikationskanäle ist die Facebook-Gemeinschaft „Nowa-Kachowka-Freilichtmuseum für Steinwyschywankas-Monumentalkunst“, in der man alte Stadtfotos veröffentlicht und Versammlungen ankündigt. Die lokalen Unternehmer versorgen die Aktivisten mit allen nötigen Werkzeugen und Materialien, andere Einwohner schließen sich den Restaurationsarbeiten an. Darunter sind nicht nur Fachleute, die sich mit der Steinmetzerei beschäftigen, sondern auch Schüler und Studierende.

„Einige Stadteinwohner waren skeptisch gegenüber der Ornamentenrenovierung. Sie haben gemeint, man solle besser die Fassaden renovieren und die Dächer reparieren. Damit sollen sie sich übrigens selbst beschäftigen. Wir haben ihnen erklärt, dass Studierende, Lehrer und Schüler in ihrer Freizeit die Ornamente ehrenamtlich restaurieren werden. Bald haben auch die Einwohner uns geholfen: Sie haben Kuchen und Tee gebracht, Picknicks gemacht.“

Als wir am dritten Haus gearbeitet haben, brachte ein Junge am ersten Tag einen Eimer mit Grundanstrich und Mörtel für die Fassade und wollte gerne mitmachen. Da kamen auch weitere Jungen von der Nachbarschaft, um uns zu helfen. Wir gaben ihnen Werkzeuge, Farben und eine Treppe, und sie säuberten das Ornament über ihren Haustüren und dann noch eines am Nachbarhaus.

Das neue Stadtbild

Die Aktivisten versuchen immer mehr Menschen zu engagieren, um die lokale Architektur attraktiver und erkennbarer zu machen. Eine der Ideen für die Zukunft ist die Organisierung der Camps für die Studierenden aus verschiedenen Hochschulen und Universitäten, insbesondere für diejenigen, die Architektur als Hauptfach studieren. Die freiwilligen Helferinnen Tetiana und Diana freuen sich immer auf diejenigen, die mitmachen möchten. Sie hoffen bald mit den ausländischen Experten für Urbanistik und Monumentalkunst zusammenarbeiten zu können.

Diana erzählt, dass sie schon früher Spiele und Quests für Kinder veranstaltet haben. So haben Aktivisten am Silvester die Fotos von zwei Hühnerornamenten in Sozialnetzwerken veröffentlicht und die Benutzer herausgefordert, sie in der Stadt zu finden. Ihr nächstes Ziel sind Sommeraktivitäten für Kinder.

Tetiana ist sicher, dass die „Steinwyschywankas“ mehrere Touristen anlocken werden, weil sie eine richtige Würze der Stadt sind.

„Als Stadtführerin merke ich oft, dass viele Menschen aus Krywyj Rih, Enerhodar, Odessa und Saporischschja kommen, um ‚Steinwyschywankas‘ zu besichtigen. Darüber hinaus organisierte unsere Stadtverwaltung die Führungen die Uferstraße entlang, um die Hauptgebäude im Stadtzentrum zu zeigen. Doch die Besucher wollten unbedingt die ‚Steinwyschywankas‘ sehen. Diese Gebäude sind wirklich einzigartig.“

Ich möchte, dass die von Dowschenko geschaffenen Ornamente weiterhin an modernen Gebäuden unverletzt bleiben und zudem zum Prägebild der Stadt werden.

„Die Ornamente können auch in angewandter Kunst, vor allem in der Kleidung verwendet werden. Wir haben auch daran gedacht, Kinderspiele, Ausmalbücher oder Schnittbilder aus Papier mit diesen Ornamenten herzustellen. Zudem könnte man den Studierenden beibringen, wie man den Mörtel zubereitet und damit richtig arbeitet. Die Wyschywankas können übrigens ein vielfältiges Weiterleben im Design, in der Werbung, im Branding finden.“

Veränderungen: Umgebung und Leute

In der Zusammenarbeit mit den Aktivisten und den Verwandten von Hryhorij Dowschenko wurden die illustrierten Materialien zur Geschichte der Stadt herausgegeben. Tetiana ist auch froh, dass der Sohn des Architekten, Taras Dowschenko, seine Erinnerungen über den Vater und ihren Arbeitsprozess in Nowa Kachowka schreibt. Schritt für Schritt werden die Stadteinwohner über ihr Kulturerbe informiert, man fängt an es zu schätzen und zu popularisieren. Immer mehr Menschen begeistern sich für die „Steinwyschywankas“. Die Aktivistin meint, positive Veränderungen seien bereits spürbar.

„Ich hoffe, durch unsere Aktion die Gewohnheiten der Menschen verändern zu können. Als wir an der Botschaft den Film gedreht haben, habe ich dem Regisseur über Dniprobud erzählt. Vor dem Haus saß eine Frau, sie trank Kaffee und bat sie nicht zu filmen. Später gab sie jedoch zu, dass sie der Gestaltung des Gebäudes erst nach meiner Erzählung achtgegeben hat, obwohl sie dort 18 Jahre lang gearbeitet hat. Auf solche Weise möchten wir die Menschen auf die Schönheit um sie herum aufmerksam machen. Es war üblich, die Fassaden der Gemeinschaftsgebäuden zu dekorieren, aber in diesen Gebäuden sind auch die Eingänge ornamentiert. Wenn man nach einem schweren Tag von der Arbeit in seine ärmliche Wohnung zurückkehrt und diese Schönheit am Eingang erblickt, erlebt man eine richtige Feierstunde.“

Dank solchen Initiativen gelingt es nicht nur die wertvollen Architekturdenkmäler zu erhalten, sondern auch die Schönheit der ukrainischen Kultur zu zeigen.

„Die Künstler, die das Dniprobud-Gebäude renoviert haben, erinnerten sich daran, dass sie nach der ukrainischen Kunst strebten, und die ‚Steinwyschywankas‘ sind eines der Beispiele dafür. Sie selbst trugen gestrickte Hemde (Wyschywankas) und bauten die neue Ukraine auf, und hofften ihr Traum zu verwirklichen.“

unterstützt durch

Diese Geschichte wurde dank der Unterstützung von der Botschaft der Ukraine in Österreich ins Deutsche übersetzt und publiziert.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Wasylyna Haran

Redakteurin:

Kateryna Lehka

Projektproduzentin:

Olha Schor

Fotograf:

Mykyta Sawilinskyj

Fotograf,

Kameramann:

Pawlo Paschko

Kameramann:

Oleksandr Sloboda

Filmeditorin:

Marija Terebus

Regisseur:

Mykola Nossok

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

Transkriptionistin:

Julija Kostenko

Content-Managerin:

Kateryna Jusefyk

Übersetzer:

Oleksandr Lupaschko

Übersetzungsredakteurin:

Diana Melnyk

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