Share this...
Facebook
Twitter

Die ukrainische Ethnie besteht aus mehreren Dutzenden an ethnografischen Gruppen. Jede Subethnie hat ihre eigenen Besonderheiten in Bezug auf Sprache und Alltagskultur. Die ursprünglichen Traditionen dieser Gruppen haben sich seit Jahrhunderten geformt, aber heutzutage integrieren sie sich wegen den Entwicklungsbedingungen der Städte und der Wirtschaft immer mehr, so dass ihre Unterschiede allmählich verschwinden. Man nimmt an, dass die ukrainischen Subethnien am besten in den Gebieten der ukrainischen Karpaten und in Transkarpatien erhalten sind. Die Bojken sind eines der größten ethnischen Gruppen der Bergregion. Ihre Alltagskultur zählt genügend Jahrhunderte auf, um die Schichten verschiedener Epochen und Bräuche zu verbinden, weswegen sie ein großes Gemeingut für die nationale Kultur darstellen.

Bojken, oder Werchowynzi, Pidhirjany, Dolynjany sind eine ukrainische ethnografische Gruppe, die den zentralen Teil der ukrainischen Karpaten, ab den Flüssen Limnyzja und Tereswa im Osten, bis zu den Flüssen Usch und Sjan im Westen, bewohnen. Das Territorium der Bojkiwschtschyna grenzt an andere historisch-ethnografische Regionen, wie Lemkiwschtschyna und Hutsulschtschyna.

Es gibt sehr viele Theorien über die Herkunft der Bojken, aber die Forscher konnten sich bis jetzt nicht auf eine plausibelste und überzeugendste Erklärung einigen. Der, am meisten verbreiteten, Behauptung nach, kommt das Ethnonym „Bojky“ vom Namen des keltischen Stamms der Boier, die in der Spätantike im Gebiet der heutigen Tschechien und Österreich angesiedelt waren. Außerdem werden die Bojken als Nachkommen des Stamms der Weißen Kroaten angesehen, welche vor etwa tausend Jahren an der Formung des ukrainischen Volkes teilgenommen haben. Es wurde versucht die Abstammung des Namens dieser karpatischen Subethnie vom polnischen Wort „bojak“, also „Ochse“, dem rumänischen „boj“, dem russischen „bojkij“, „bojek“, dem ausgedachten Wort „wojko“, dem ukrainischen Verb „bojatysja“ (Angst haben — Üb.) oder der lokalen Bezeichnung des Gotts, „bohojko“, abzuleiten. Aber keine dieser Annahmen wurde jedoch aufgrund fehlender überzeugender Argumente anerkannt.

Die Dörfer der Bojken sind meistens in den Flusstälern gelegen und haben überwiegend einen gemischten Charakter. Viele Orte dieser Region haben einen alten Ursprung, da sie noch in der Galizisch-Wolhynischen Chronik und anderen mittelalterlichen Quellen erwähnt sind. Die geistige Kultur der Bewohner der Region Bojkiwschtschyna hat ihre regionalen Besonderheiten. In den lokalen Bräuchen und Riten kann man einen engen Zusammenhang mit dem alltäglichen Leben eines Menschen beobachten.

Der Dialekt der Bojken, der zum südwestlichen Dialekt der ukrainischen Sprache gehört, erregt die Aufmerksamkeit der Gelehrten. Er umfasst die Dialekte der Nordhänge der Karpaten, grenzt im Westen an den Dialekt der Lemken, im Osten an den der Huzulen. Der Bojken-Dialekt wird als einer der archaischsten bezeichnet, da bei diesem mehrere Anzeichen der altukrainischen und urslawischen Sprachen erhalten sind. Er hat die phonethischen, grammatikalischen und lexikalischen Besonderheiten, die bis heute von den Bewohnern der Region verwendet werden.

Die Bojken haben ihr Ethnofestival, „Wseswitni bojkiwski festyny“ (Welt-Bojken-Fest — Üb.). Dieses wird von den Bojken aus verschiedenen Ländern besucht. Die Veranstaltung findet im Turka-Bezirk, beginnend mit 1992, alle 5 Jahre statt. An diesem Fest nehmen sowohl Ethno- Folkbands aus den Bojken-Regionen der Ukraine, wie auch die aus Bojkiwschtschyna stammenden Besucher, welche heute außerhalb des Heimatregions leben, teil. Sie spielen Kolomyjkas (ein Genre in der ukrainischen Volksmusik — Üb.) und andere traditionellen Lieder, welche nirgends außer der kleinen Heimat gesungen werden.

Die Ihnatysch Schwestern

Das Dorf Lybochora hat mehr als 2.000 Einwohner, weshalb sich nicht jeder kennt. Es gibt eine Legende, die den Ortsnamen erklärt: früher nannte man das Dorf Oleksanka, da der Gründer Oleksa hieß. Er war ein reicher Mann, der einen privilegierten Brief vom König erhielt, in dem dieser das Besiedeln des Gebiets erlaubte. Später hat hier ein anderer bekannter reicher Mann gelebt, der eine Tochter, Ljuba, hatte von der alle reichen Leute aus anderen Ortschaften schwärmten. Als sie später erkrankte, haben alle gesagt „Ljuba chwora! Ljuba chwora!“ (Ljuba ist krank — Üb.). Es wird gesagt, dass später „ju“ mit „y“ ausgetauscht wurde, weshalb das Dorf heute Lybochora heißt.

Im Dorf Lybochora leben und arbeiten die Geigerinnenschwestern Lesja und Wasylyna Ihnatysch. Sie sind Mitglieder und Leiterinnen der Ethno-Folkband „Beskyd“ (Gebirgszug — Üb.). Diese Band, welche vor einem halben Jahrhundert von ihrem Vater gegründet worden ist, singt die traditionellen Lieder der Bojken bei den Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten. Das Musikensemble zählt 7–8 Mitglieder, die auf altertümlichen Musikinstrumenten spielen: Außer der Geige gibt es noch das Hackbrett (ein Musikinstrument, deren Saiten mittels Klöppeln angeschlagen werden — Aut.), die Basolja (ukrainisches celloähnliches Streichinstrument — Aut.), das Tamburin, die Maultrommel und die Kernspaltflöte.

„Unser Vater hat uns bereits an die Band angenähert. Seit den 80er Jahren sind wir bereits ordentliche Mitglieder. Unser Vater hat uns in die Musikschule geschickt, obwohl er selber keine musikalische Ausbildung hatte.“

Lesja sagt, dass auch ihre Söhne Bandmitglieder geworden sind. Sie können die Maultrommel, das Hackbrett, die Basolja und das Tamburin spielen. Beide studieren Musik in Drohobytsch, der ältere ist ein Geiger, der jüngere ein Saxofonist. Auf diese Weise entsteht eine Dynastie — die vierte Musikergeneration.

„Unser Vater war ein Geiger bei den Hochzeiten. Er war ein Autodidakt, aber konnte perfekt spielen. Unser Großvater, Iwan Mychajlowytsch Ihnatysch, war zu der Zeit auch ein bekannter Bojken-Geiger. Von seiner Musik gibt es aber keine Aufnahme, es ist nichts geblieben. Wir haben unseren Großvater nicht spielen gehört. Von unserem Vater gibt es Aufnahmen, es gibt eine CD.“

Wasylyna und Lesja sagen, dass sie die jüngsten Trägerinnen der bojkischen Folklore sind. Es gibt auch ältere Frauen, die dieses Wissen haben, aber diese Tradition verschwindet allmählich.

„Die Jugend interessiert sich heutzutage dafür kaum. Uns hat es von klein an fasziniert, denn unser Vater hat uns sehr viel Wissen weitergegeben. Er wurde überall in der Gegend zu den Hochzeiten eingeladen und wir, als kleine Mädels, sind ihm hinterher gerannt und haben alles mitgehört. Jetzt geben wir alles aus der Erinnerung wieder. Wir haben auch sehr oft die Kühe gemeinsam auf die Weide gebracht und währenddessen redeten wir sehr viel miteinander und sangen gerne. Unser Vater spielte die Kolomyjkas auf der Kernspaltflöte und dafür sind wird ihm enorm dankbar. Er sagte zu uns: ‚Irgendwann mal werdet ihr das brauchen, ich werde dann nicht mehr da sein, aber ihr müsst es in der Erinnerung haben‘.“

Die Schwestern haben ein Paar Ladkankas gesungen — dreistrophige Lieder bei denen die erste Strophe über ein Geschehnis erzählt und die zweite und dritte wiederholen sich. Die Ladkankas werden bei verschiedenen Zeremoniellen vorgeführt: bei den Hochzeiten, für das Vieh, zur Erntezeit und zum Beginn der Aussaat.

„Es gibt Ladkankas am Beginn einer Hochzeit. Als die Hochzeit in der Bojken-Region angefangen hatte, so haben die bereits verheirateten älteren Frauen begonnen, diese Lieder zu singen. Das waren Ladkankas, die sich auf Immergrün und Kränze bezogen, jede Hochzeitsetappe hatte ihre eigenen Ladkankas.“

Das Dorf Lybochora liegt zwischen den Bergen, weshalb Lesja und Wassylyna genau die Kolomyjkas ausgesucht haben, welche in den Tälern gesungen werden. Diese werden beim Hüten der Kühe und Schafe in den Tälern gesungen. Die Menschen schufen solche Gesänge in einer engen Verbindung mit dem Erlebten und dem Alltag.

Share this...
Facebook
Twitter
Share this...
Facebook
Twitter

Eine weitere Gesangsart in der Bojken-Region heißt Wiwkannja. „Wiwkaty“ bedeutet wörtlich „etwas auszurufen“.

„Als die Hirten, schon erwachsene Jungen und Mädchen, das Vieh hüteten, haben sie einander von einem Berg zum anderen gerufen. Heutzutage gibt es das Handy, man kann einander einfach anrufen, früher hatte man aber gewiwkt. Man glaubte, dass wenn ein Mädchen auf diesen Ruf antworten würde, es eine Zuneigung gegenüber dem Jungen gab. Und man konnte gut hören, denn das Echo ist stark im Tal.“

Über eine ähnliche Gesangstechnik der Huzulen können Sie in unserem Artikel lesen „Huzulisches Brot für die Karpaten“

Wasylyna und Lesja erzählen, dass Bojkiwschtschyna relativ wenig erforscht wurde, aber dafür gibt es viele Forschungsmeinungen über die Herkunft der Bojken.

„Es gibt Meinungen, die besagen, dass die Bojken von Kroaten oder Serben abstammen. Was den Namen angeht, so wird von manchen behauptet, dass die Menschen hier sehr kämpferisch waren (‚bojowyj‘ — kämpferisch – Üb.). Die anderen sagen aber, dass wir, Bojken, viel ‚bo‘ (weil — Üb.) verwenden. Auch heutzutage sprechen wir so. Wir haben unseren eigenen Dialekt, den wir meistens sprechen.“

Bei offiziellen Veranstaltungen sprechen die Schwestern Ihnatysch die Standardsprache, aber sie regen dazu auf den bojkischen Dialekt zu verwenden um diesen einzigartigen Dialekt wiederzubeleben. Als Beispiele geben sie einige typische Ausdrücke:

„Zum Beispiel nennt man einen Krug ähnlichen Gefäß für das Sammeln der Blaubeeren ‚Denerko‘, in anderen Regionen würde man dazu ‚Zbanok‘ sagen. Die Blaubeeren (ukr. ‚Tschornyzi‘ — Üb.) nennt man bei uns ‚Jafeny‘. Zu Fleischsuppe sagen wir ‚Dzjama‘. Wenn man die Bojken zuhören würde, würde man nicht genau verstehen, was sie gegessen haben.“

Wasylyna und Lesja erzählen, dass während der Aktion Weichsel ihre Familie in die Donezk-Region zwangsumgesiedelt wurde. Schon längst verließ die Familie diese Region, da sie in der Nähe des Kriegsgebiets gelebt hatte.

„Unsere Mutter wurde in die Donezk-Region zwangsumgesiedelt, aber ihr hatte das Leben dort nicht gefallen, weshalb sie nach Boryslaw zurückkehrte. Unser Vater spielte dort auf einer Hochzeit, so haben sie sich kennengelernt. Danach übersiedelte die Mutter hierher, in die Berge. Sie wurde ausgelacht, die Leute sagten: ‚Wohin gehst du? In die Berge, in irgendein vergessenes Dorf?‘. Es war die Liebe, die sie hierher brachte. Sie hat niemals ihre Entscheidung bereut.“

Die Schwestern Lesja und Wasylyna sind in die traditionellen feierlichen Trachten gekleidet. Früher wurden solche Trachten für die heilige Messe angezogen, zuhause wurde einfachere Kleidung getragen.

„Diese Weste, ‚Kamazelka‘, und diese Hemde sind aus dem Dorf Tschorna, aus dem Nyschni Ustryky Bezirk (Ustrzyki Dolne, heutiges Polen — Üb.), woher unsere Mutter abstammte. Die Röcke sind von hier, aus der Lybochora. Man kann sagen, dass wir die beiden Bojken-Gebiete somit zusammengefügt haben. Unsere Schuhe werden ‚Chodaky‘ genannt, dieser Name wird in der gesamten Bojken-Region verwendet. Früher gab es Handwerker, die diese angefertigt haben. Der Rock wird hier ‚Fartuch‘ (Schürze — Üb.) genannt, und die Schürze — ‚Prypynka‘ oder ‚Sapaska‘.“

Die Komarnyzkyj Familie

Der Name des Dorfes Borynja kommt vom Wort „bir“ (Nadelwald — Üb.). Diese Gebiete sind insbesondere dadurch bekannt, dass im 18. Jahrhundert sich die deutschen Kolonisten hier niederließen und in verschiedenen Gewerben tätig waren, deren Waren sie nach Europa exportierten.

Bohdan Komarnyzkyj kennt die Geschichte seines Gebiets gut. Er erzählt, dass das Dorf im 16. Jahrhundert erstmals erwähnt wurde.

„Die Kroaten gründeten ihre Dörfer auf den Territorien der bereits bestehenden Siedlungen. Sie haben somit die Niederlassungen vergrößert und ihnen eigene Namen gegeben. Borynja wurde nicht umbenannt. Der byzantinische Kaiser, Konstantin Porphyrogennetos (Konstantin VII. — Üb.), schrieb, dass hinter Turka die weißen, also die ungetauften, Serben leben. Diese leben zwischen Ungarn und den Kroaten. Ein Bojko ist ein Herr des Viehs. Wie die Cowboys in den USA. Einer der Meinungen nach, waren die Serben ein starkes Stamm, der von den Kroaten abstammte und der der Bojkiwschtschyna ihren Namen gegeben hat.“

Bohdan erzählt, dass seine Eltern aus dem Dorf Komarnyky, welches 12 km von Borynja entfernt ist, stammen. Das kann man von seinem Nachnamen, Komarnyzkyj, ablesen.

„Es gibt Nest-Dörfer, wo jeder den gleichen Nachnamen hat. In Jaworiw heißen alle Jawornyzkyj, in Ilnyk sind alle Ilnyzkyj, usw. Jeder Klan hatte seine eigene Endung. So konnte man gleich wissen welchem Stamm diejenige Person angehörte. Später ging es verloren. Zum Beispiel, Bojko (gängiger Nachname in der Westukraine — Üb.), der könnte irgendwo aus Bojkiwschtschyna stammen. Aber es gab die Kosakengebiete, wo einem ein Pseudonym gegeben werden konnte. Einfach Bojko. Vielleicht stammte er aus einer anderen Gegend, wer weiß, nur das Pseudonym ist bis heute geblieben.“

Die Komarnyzkyj Familie belebt im Dorf Borynja die alten Traditionen der Käse- und Brotproduktion wieder. Bohdan und die Ehefrau Natalja haben bei ihren Kollegen aus Transkarpatien, die ihr Wissen aus der Schweiz mitgenommen haben, gelernt einen „lebendigen“ Käse herzustellen. Bohdan sagt, dass die Natur selbst ihn dazu anleitete, sich professionell mit der Lebensmittelherstellung zu befassen.

„Wenn man sich mit authentischen Dingen befasst, so helfen einem die höheren Mächte. Ich sehe, dass mein Leben sich zu verbessern anfing. Je mehr ich über meine Vergangenheit nachdenke, desto besser sehe ich die Zukunft. Irgendwie ist es so. Eine nachhaltige Entwicklung ist die Überreichung der Information von einer Generation zur nächsten.“

Share this...
Facebook
Twitter
Share this...
Facebook
Twitter

Die Komarnyzkyjs nehmen die Milch für ihre Käseproduktion von 4–5 Familien. Für ein Kilogramm Käse benötigen sie 11–12 Liter Milch.

„Natalja kann bereits unterscheiden, ob die Milch von einer Kuh stammte, die mit Antibiotika gefüttert wurde, oder nicht. Solche Milch lehnen wir sofort ab. Die Besitzer, welche die Milch mit Wasser verdünnen, kontaktieren mich nicht, denn sie wissen, dass ich sie öffentlich verspotten würde.“

Der Käse wird von der Familie mit dem Bus in Richtung Lwiw gebracht. Dieser wird auch gerne von den Touristen gekauft oder für verschiedene Veranstaltungen, wie Hochzeiten, Präsentationen, u. dgl. bestellt.

„Dieses Jahr kamen Gäste aus Polen, den USA, Italien. Es sind auch Ukrainer aus verschiedenen Städten gekommen: u. a. Charkiw, Mariupol, Saporischschja, Ternopil, Kyjiw. Noch nie habe ich etwas Negatives von den Leuten gehört.“

Bohdan zeigt ein Brot aus grobem Mehl ohne Hefezusatz, das er mit seiner Gattin bäckt. Meistens verwenden sie Backformen aus Ton, was den Geschmack des Gebäcks beeinflusst.

„Wenn wir ein Mehl nehmen, der in gewöhnlichen Geschäften zu kaufen ist, wird uns das fehlen, was in einem normalen Mehr sein sollte. Im groben Mehl gibt es das volle Korn und Kleie, die für den Mensch wichtig sind. Das volle Korn gibt dem Mensch die Energie und die Kleie reinigt den Körper von Innen. Roggen diente immer als eine Basis für das Brot, Weizen war nur als ein Zusatz gedacht.“

Im Vergleich zu anderen produzieren Bohdan und Natalja relativ wenig Brot, etwa 50 Brotlaibe pro Woche. Diese liefern sie auf Anfrage an einzelne Familien und verkaufen ihren Brot in der Stadt Stryj.

„Wenn man unseren Verkaufspreis, für das ähnliche Produkt, mit dem in Kyjiw vergleicht, so verkaufen wir um das Vielfache billiger. Ich kaufe Getreide bei einem Bauer, der dieses speziell für uns züchtet. Ich habe selber Roggen und Weizen hier bei uns gezüchtet, eine ausgezeichnete Ernte.“

„Wenn man sich mit authentischen Dingen, die noch unsere Vorfahren gemacht hatten, beschäftigt, so bekommt man plötzlich Kraft und das Leben verbessert sich. Irgendwie kommt es von selbst.“

Bohdan erzählt, dass andere Dorfbewohner sein neues Hobby nicht gleich ernst wahrgenommen haben. Anfangs gab es Verspottung, aber später kam ein Verständnis dafür, warum die Komarnyzkyj Familie diesen Weg gewählt hat.

„Der Prozess dauert immer sehr lange, nichts kann plötzlich entstehen. Die Menschen sind es gewöhnt, dass alles einem Standard entsprechen und in irgendwelchen Rahmen sein müsste. Aber ich selber habe verstanden, dass der einzig richtige Weg ist eine Wiedergeburt. Sei es Lebensmittelherstellung oder etwas anderes. Manchmal wird mir gesagt, dass ‚die ganze Welt sich fortbewegt und du nach hinten blickst‘. Ich sage ja nicht, dass man die neue Technik ablehnen sollte. Aber wenn es eine jahrhundertelange Tradition der Käseherstellung gibt, wieso sollte man keinen qualitativ hochwertigen Käse produzieren? Die Instrumente können zeitgenössisch sein, aber der Prozess soll wie damals bleiben.“

Anatolij

Anatolij Wysotschanskyj widmete 19 Jahre der Tourismusbranche. Er arbeitete als Tourguide, wanderte viel in den Bergen, erstellte neue Wanderrouten und erzählte den Touristen über die Bojken-Region.

„Ich habe Tours mit Leuten aus Kyjiw und den GUS-Staaten gemacht. Als ich noch jung war, schliefen wir auf der Route oder bei den Wanderstationen und gingen am nächsten Tag wieder weiter. Später habe ich in der Allgemeinschule gearbeitet. 42 Jahre lang.“

Anatolij Wysotschanskyj ist im Dorf Mochnate, das im Turka-Bezirk liegt, geboren, wo er bis heute lebt. Gemeinsam mit seiner Ehefrau ziehen sie vier Kinder auf. Anatolijs Sohn spielt mit seinem Vater bei den Hochzeiten die traditionelle bojkische Musik.

„Ich bin der Leiter der Folkband ‚Widlunnja Karpat‘ (‚Echo der Karpaten‘ — Üb.). Bei den Hochzeiten spielen wir die rituellen Lieder aus Werchowyna, Bojkiwschtschyna und Huzulien. Wir geben auch Konzerte oder machen Musikabende, es kommt drauf an wer was bei uns bestellt. Uns interessiert die Folklore, denn hier geht es allmählich verloren und keiner will die alten Traditionen wiederbeleben. Und wenn auch wir es vernachlässigen würden, unsere Traditionen und verschiedene altertümlichen Zeremonielle zu beachten, dann sind wir keinen Preis wert.“

Anatolij sagt, um bei einer Hochzeit zu spielen, ist es notwendig, viele Rituale zu kennen und zu berücksichtigen, dass diese sich in jeder Region unterscheiden. Der Musiker hat schon in vielen Orten gespielt. Er war auch schon in sehr hohen Bergen gewesen, wohin man nicht einmal mit einem Fuhrwerk gelangen kann.

„Es gibt die bojkischen Kolomyjkas, die beim ersten Treffen des Brautpaares gesungen werden. Diese werden als eine Art von Segen angesehen. Es gibt noch Ladkas, diese singt man, wenn es um ein Segen für den Bräutigam oder die Braut gebeten wird. Zuerst segnet der Vater, dann die Mutter, mit Brot, Salz, einem Kranz und Korowaj (traditionelles Hochzeitsbrot – Üb.). Das ist die bojkische Tradition.“

Anatolij Wysotschanskyj hat mit sechs Jahren angefangen Musikinstrumente zu spielen. Als er gerade acht Jahre alt wurde, spielte er das chromatische Knopfakkordeon gemeinsam mit älteren Musikern bei den Hochzeiten.

„Ich habe selbst gelernt zu spielen. Auch ohne Musikschule habe ich auf hohem Niveau gespielt. Ich spiele alles nach Gehör, ich kenne die Musiknoten ein bisschen, aber sehr schwach. Spielen kann ich allerdings gut.“

Anatolij erzählt, dass in der Bojkiwschtschyna noch Dörfer gibt, wo bis heute die traditionellen Hochzeiten gefeiert werden:

„Die Braut zieht sich ein besticktes Tracht an und auch den Tschepez (traditionelle Kopfbedeckung bei den Hochzeiten — Üb.). Das ist die bojkische Hochzeit hier, im Turka-Bezirk. Tamada (Bankettmeister — Üb.) und Starosta (Leiter der Hochzeit — Üb.) sind verpflichtet, die Riten zu kennen, denn diese sind vom Bezirk zu Bezirk sehr unterschiedlich. Hier bei uns, bei den Bojken, wird die Braut zum Beispiel anders gekleidet und auch der ‚goldene Tanz‘, bei dem die Braut das Geld von den Hochzeitsgästen einsammelt, ist anders. Hier darf auch jeder mit ihr tanzen.“

Anatolij Wysotschanskyj hat sowohl Schüler innen in der Allgemeinschule, als auch im Kindergarten. Er unterrichtet Gesang und Musik.

„Im Kindergarten unterrichte ich sowohl den jüngeren als auch den älteren Kindern. Vier Mal die Woche arbeite ich dort. Ich habe ihnen etwas am chromatischen Knopfakkordeon vorgespielt, sie haben sich enorm gefreut. Man kann den Kindern viel mehr beibringen, als es die Schule macht. Als mein Sohn noch klein war, ging er einmal zur Ostern-Gottesdienst. Nachdem er nach Hause zurückkam, sagte er: ‚Papa, jetzt haben wir Zeit fürs Essen, aber spiel mir lieber vorher etwas vor‘. Verstehen sie? Es war für ihn wichtiger, als zu essen. Das ist sehr gut. Das bedeutet, dass aus ihm ein guter Mensch wird.“

Anatolij meint, dass die Bojken als sehr nette Menschen charakterisiert werden können. Aus historischer Sicht gesehen, waren die Bojken nie eine reiche Ethnie gewesen, da in dieser Gegend es relativ kühl ist, weswegen die Weinranke und andere Pflanzenkulturen nicht wachsen können.

„Die Bojken beschäftigten sich immer mit Viehzucht und Ackerarbeit. Sie lebten von dem, was ihnen die Erde gab. In heutiger Zeit pflanzt keiner nicht einmal Weizen an. Ganz im Gegensatz ist die Viehzucht, diese ist Weltklassik. Es fällt einem sehr leicht, da es viele Grundstücke gibt, die keiner bebaut. Man kann so viel Heu vorbereiten, wie viel man möchte, so dass auch 100 Tiere gehalten werden können. Wenn ein Bojko satt ist, bei ihm zuhause alles gut läuft und es noch dazu eine gute Kartoffelernte gibt, so ist er überglücklich: Er singt und tanzt mit seiner Frau mitten im Zimmer. Er lässt sich ein Gläschen Samohonka (Schnaps — Üb.) einschenken, nimmt seine Frau in die Arme und beginnt wie ein Teufel zu tanzen.“

Da es früher eine viel kleinere Vielfalt an Unterhaltung gab, gab es daher viel mehr Musikern und diese waren sehr talentiert. Jeder hatte eine Geige und spielte auf die eigene Art und Weise.

„Heutzutage hat jeder eine Geige zuhause. Man kann eine Geige sogar um 100 Hrywnjas (ukrainische Währung — Üb.) kaufen. Aber spielen will keiner. Um Musik machen zu können, muss man diese hören. Hier kann einem keiner helfen, weder die Eltern, noch das Geld, gar nichts. Das Kind sollte sich selber bemühen. Weil wenn man später wie ein Baum auf der Bühne steht, können einem die Eltern nicht weiterhelfen. Man soll artistisch sein und mit Menschen arbeiten, damit denen die Kunst gefällt. So etwas kann man mit Geld nicht kaufen.“

Anatolij Wysotschanskyj erinnert sich, dass er bei mehr als anderthalb Tausend Hochzeiten spielte. Jetzt sind es weniger geworden, die Menschen feiern heutzutage bescheidener, aber früher gab es solche Feierlichkeiten, bei denen einem kaum Zeit für den Schlaf übrig blieb.

„Wir haben viel gespielt. Früher spielten wir ausschließlich die authentische Instrumentalmusik, später haben wir den Gesang eingefügt. Wir spielen immer live. Wir kennen sehr viele Lieder. Mein Sohn weiß mehr als zweieinhalb Tausend Lieder auswendig. Ich spiele ausschließlich die Folklore, sei es bojkisch, huzulisch oder Csárdás. Die jungen Burschen spielen gerne auch etwas zeitgenössisches, die ukrainische Musik welche im Radio zu hören ist.“

Anatolij meint, dass er im Laufe seines Lebens nicht viel verdient hatte, aber das ist für ihn auch nicht das wichtigste gewesen. Er hat viel für die Menschen gemacht, weswegen nichts umsonst gewesen ist.

„Ich glaube, dass ich spirituell bereichert bin und das mich die Leute respektieren. Das ist sehr gut. Wenn ich sterbe, so werden sie zu meinem Begräbnis kommen und für meine Seele beten, vielleicht werden sie sich später an mich erinnern. Und das ist das wichtigste im Leben. Ich habe für die Menschen gearbeitet, damit sie fröhlich wären und mir war es deswegen auch fröhlich gewesen. Nach mir verbleiden meine Kolomyjkas und verschiedene Altertümlichkeiten, die ich bei den Hochzeiten verwendet habe. Ich habe nicht umsonst gelebt.“

Wie wir gedreht haben

Sie können mehr über unsere Reise durch die ukrainischen Karpaten, über unsere Begegnungen mit Bojken in verschiedenen Dörfern Bojkiwschtschynas, über ihre Musik, Käse- und Brotherstellung, wie auch über den traditionellen Gesang im Videoblog erfahren.

Beitragende

Projektgründer:

Bogdan Logwynenko

Autorin des Textes:

Natalija Ponedilok

Redakteurin:

Kateryna Lehka

Projektproduzentin:

Olha Schor

Fotograf:

Dmytro Bartosch

Kameramann:

Pawlo Paschko

Wasyl Hoschowskyj

Filmeditorin:

Lisa Lytwynenko

Regisseur:

Mykola Nossok

Bildredakteur:

Olexandr Chomenko

Transkriptionistin:

Daryna Salo

Wiktorija Woljanska

Maryna Rjabykina

Übersetzerin:

Solomija Hussak

Übersetzungsredakteurin:

Elina Fojinska

Folge der Expedition